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Buchrezension: Rußland und seine Bodenschätze – Von Lenin bis Putin

Buchrezension: Rußland und seine Bodenschätze – Von Lenin bis Putin

Buchrezension: Rußland und seine Bodenschätze – Von Lenin bis Putin

Das Bild zeigt Wladimir Lenin, Josef Stalin und Wladimir Putin. Rußland hat viele Bodenschätze.
Das Bild zeigt Wladimir Lenin, Josef Stalin und Wladimir Putin. Rußland hat viele Bodenschätze.
Wladimir Lenin, Josef Stalin und Wladimir Putin (v.l.n.r.) als Matroschkapuppen: Rußland hat Vor- und Nachteile mit seinen gewaltigen Bodenschätzen. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Artem Priakhin
Buchrezension
 

Rußland und seine Bodenschätze – Von Lenin bis Putin

Jeronim Perović analysiert in seinem neuen Buch die Geschichte Rußlands und dessen Rohstoffpolitik. Neben den Vorteilen, zeigt der Autor auch die Gefahren der beinahe endlosen Bodenschätze für Moskau auf.
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Der Autor Jeronim Perović, Forscher an der Universität Zürich, erzählt eine spannende Geschichte sehr nüchtern und faktenorientiert, nämlich den Aufstieg des spätzaristischen Rußlands über die Irrwege des Bolschewismus bis zu einer der führenden Weltmächte fossiler Rohstoffe unter Wladimir Putin, die jedoch stets von ausländischem Kapital, Fördertechnologien und Absatzmärkten abhängig blieb – und deshalb aktuell in dieser Rolle wieder gefährdet ist. Die Energiebrücke, die jahrzehntelang zwischen Rußland und Mitteleuropa aufgebaut wurde, wurde zwar nach der Oktoberrevolution 1917, nach 1945 im Kalten Krieg unter Stalin, sowie aktuell nach 2022 unter Putin nachhaltig demoliert, doch nach 1921 und ab 1968 zum gemeinsamen Nutzen immer wieder repariert.

Es begann mit der Erschließung der Ölfelder des Südkaukasus mit dem Kapital der Rockefeller, Nobel und Rothschild, die 1917 von den Bolschewiken enteignet und vertrieben wurden. Nach der Rückeroberung der verwüsteten Ölfelder von Baku durch die Rote Armee erkannte Lenin in dem vom Bürgerkrieg und Kriegskommunismus verheerten Land, daß es zur Elektrifizierung der Sowjetunion mehr als nur einen Zehn-Jahresplan sondern ab 1921 in seiner Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) auch westliche Konzessionäre für die Wiederbelebung der Ölförderung brauchte. Der Aufschwung dauerte bis in die dreißiger Jahre an, als Stalin auch Tausende von Ölingenieuren als Spione und Saboteure erschießen ließ.

Rohstoffe kompensieren Mißwirtschaft

Erst mit dem Vorstoß der Wehrmacht in den Nordkaukasus Ende 1942, der die südkaukasischen Erdölfelder bedrohte, erkannte er den Wert der im Südural in den muslimischen Republiken Tatarstan und Baschkirien gelegenen neuentdeckten Ölfelder auch für die mobile Kriegsführung mit Panzern und Flugzeugen – denn bislang hatten Sowjetplaner immer die proletarische Kohleförderung favorisiert. Auch die Ölfelder Rumäniens, Ungarns und des Nordirans wurden von den Sowjets nach 1945 ausgeplündert. Das Erdgas, das bisher nur als lästiges Nebenprodukt abgefackelt wurde, wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg nutzbar gemacht.

Das Bild zeigt ein Cover eines aktuellen Buchs über Rußland.
Jeronim Perovic: „Rohstoffmacht Rußland – Eine globale Energiegeschichte“ Jetzt im JF-Buchdienst bestellen

Unter Nikita Chruschtschow begann mit dem Bau der „Druschba“-Erdölpipeline 1964 die Versorgung der Satellitenstaaten nach dem Muster: Energie gegen Fertigprodukte, und an sowjetische Verbündete in der Dritten Welt wie Kuba, Ägypten, Syrien, Angola und Indien gegen Kompensationsgeschäfte: Zucker, Baumwolle, und mit Finnland gegen Lokomotiven.

Nach der ersten Ölkrise durch die OPEC wurde die Sowjetunion ab 1973 ein alternativer Lieferant von Öl und Gas für Westeuropa. Im Zuge der Entspannungspolitik galt als Muster: westliche Lieferungen von Stahlröhren – die die Sowjetunion nicht in der nötigen Qualität herstellen konnte –, Pipelinetechnik und Bankkredite gegen ihre Tilgung durch langfristige Lieferverträge. Nach dem Bau der Gaspipeline „Bratstwo“ vom westsibirischen Urengoi bis Uschgorod nach Mitteleuropa wurde die Sowjetunion bis 1984 mit verdoppelten Erdgasexporten zur unstrittigen Energiegroßmacht. Achtzig Prozent ihrer Deviseneinnahmen bestanden aus Öl und Gas, die sie allerdings hauptsächlich angesichts ihrer Mißernten und Mißwirtschaft für Weizenimporte aufwenden mußte.

Gorbatschow hatte keine Wahl

Mit dem Einbruch der Weltölpreise Mitte der achtziger Jahre blieben jedoch zu wenig Petrodollars, um die Lücken zu stopfen, gleichzeitig die Rüstung und den Afghanistankrieg zu finanzieren und mit einer rückläufigen Förderung mit einer veralteten Fördertechnik auch zu wenig, um die „Verbündeten“ mit der Energie als dem „Kitt des sozialistischen Lagers“ zu versorgen.

Insofern hatte Michail Gorbatschow, der 1985 zunächst mit Lenins NÖP und der Zulassung von Kleinunternehmern experimentierte, keine Wahl, um den drohenden Systemkollaps durch Radikalreformen abzuwenden zu versuchen. Doch zunächst einmal beschleunigte die von Westen empfohlene „Schocktherapie“ nur den Untergang des sowjetischen Zwangsreiches. Nach dem Ausverkauf des Staatseigentums (außer Gas und Bodenschätze) unter Jelzin an diverse Oligarchen und dem Zusammenbruch der meisten staatlichen Dienstleistungen, einem faktischen Staatsbankrott und einer außer Kontrolle geratenen Inflation, wurde von Jelzin der vormalige FSB-Boß Putin zum Nachfolger ernannt.

Dieser wurde vom Welt-Ölpreis einzigartig begünstigt. Von einem absoluten Tiefpunkt von zwölf US-Dollar pro Faß (Barrel) 1998 stieg er bis 2008 auf über hundert US-Dollar pro Faß und spülte so ohne Anstrengung 650 Milliarden US-Dollar in Rußlands Energieunternehmen und den Fiskus. Dazu hatten zu Jelzins Zeiten ausländische Konzessionäre massiv in die Modernisierung der maroden russischen Energieinfrastruktur und Fördertechnik investiert, so daß ihre Vertreibung und die Enteignung der unabhängigen Oligarchen durch Putin nunmehr den von ihm kontrollierten Staatskonzernen Gazprom und Rosneft zugute kam.

Sanktionen treffen Rußland kaum

Als kolossales Energieunternehmen bleibt die „Rußland AG“ mit mehr als der Hälfte ihrer Exporteinnahmen aus fossiler Energie jedoch weiter von den Weltmarktpreisen abhängig. Westsanktionen bei den Fördertechnologien hatten von 2014 bis 2022 noch wenig Auswirkungen, solange die Felder noch genügend Ertrag abwarfen. Öl- und Gasexporte wurden weiter als politische Waffen eingesetzt: Unbotmäßige wie Moldawien, Georgien und die Ukraine gestraft, Weißrußland durch günstige Preise und Liefermengen belohnt. Nordstream 1 und 2 sollten schließlich dank Gerhard Schröder die Ukraine als Transitland mit seinen Transitgebühren ausschalten.

Nach 2022 konstatiert Perović trotz des weitgehenden Ausfalls des westeuropäischen Hauptabsatzmarkts und stark diskontierter Verkäufe an die Türkei, China, Brasilien und Indien dank der weiter hohen Weltmarktpreise kaum Einnahmeverluste für den Kreml. Die wichtigsten EU-Sanktionen sind auf eigene Kosten ohne Einfluß auf den Kriegsverlauf also bisher ins Leere gelaufen. Allerdings, so warnt er, hätten die Fördermengen in den alten Feldern dank zunehmend alternder Technologie ihren Zenit längst überschritten. Dazu sei der teure und schwierige Pipelinebau von Ostsibirien nach China kein Ersatz für die existierenden Stränge in den Westen.

Für eine europäische Abkehr von fossilen Energieträgern ist Rußland natürlich auch denkbar schlecht vorbereitet. Genausowenig wie Europa ein Interesse an einer dauerhaften Zuwendung Rußlands an China, dem Iran und Nordkorea haben kann. Perović hat ein sehr sachliches und hervorragend annotiertes Buch zu einem Thema geschrieben, das auch festgeglaubte Wahrheiten in Frage stellt. Dies ist schon einmal ein großes Verdienst. Vor allem die Zeit des Breschnew-Niedergangs und der Gorbatschow-Reformen werden spannend dargeboten. Die Lektüre lohnt sich also unbedingt.

Aus der JF-Ausgabe 17/25.

Wladimir Lenin, Josef Stalin und Wladimir Putin (v.l.n.r.) als Matroschkapuppen: Rußland hat Vor- und Nachteile mit seinen gewaltigen Bodenschätzen. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Artem Priakhin
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