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Gründung der Sowjetunion: 100 Jahre Gründung der Sowjetunion: Die Russen behielten das Sagen

Gründung der Sowjetunion: 100 Jahre Gründung der Sowjetunion: Die Russen behielten das Sagen

Gründung der Sowjetunion: 100 Jahre Gründung der Sowjetunion: Die Russen behielten das Sagen

Das Foto zeigt einen festlich geschmückten Saal zur 50-Jahres-Feier der Sowjetunion.
Das Foto zeigt einen festlich geschmückten Saal zur 50-Jahres-Feier der Sowjetunion.
Die Feier des 50. Jahrestages der Gründung der Sowjetunion im Kreml in Moskau 1972 Foto: picture-alliance/ dpa | Tass
Gründung der Sowjetunion
 

100 Jahre Gründung der Sowjetunion: Die Russen behielten das Sagen

Wer das heutige Rußland verstehen will, tut gut daran, die Geschichte der Sowjetunion zu kennen. Im Dezember 1922 auf den Trümmern des Zarenreichs gegründet, dehnte sich der Vielvölkerstaat über mehrere Jahrzehnte aus. Doch Lenins Versprechungen hatten nichts mit der Realität zu tun. Eine Analyse von JF-Autor Thomas Schäfer.
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Das russische Kaiserreich war ein riesiges Völkergefängnis, in dem wahrscheinlich über 160 Ethnien lebten. Nach dem Ende der Zarenherrschaft im Jahre 1917 erklärten viele größere Nationen an der Peripherie des russischen Kerngebietes ihre Unabhängigkeit und proklamierten eigene Staatsgebilde der unterschiedlichsten Art. Demgegenüber verfolgten die Bolschewiki das Ziel, auf den Trümmern des kollabierten Imperiums der Romanow-Dynastie ein ebenso gigantisches „Paradies der Werktätigen“ unter ihrer Führung zu errichten. 

Zunächst mußten sie jedoch als Sieger aus dem Bürgerkrieg gegen zahllose in- und ausländische Gegner hervorgehen, was ihnen sukzessive bis zum Sommer 1922 gelang. Allerdings herrschte danach trotzdem keine Ruhe in der 1917 gegründeten Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR): Meutereien, Unruhen und Bauernaufstände prägten weiterhin das politische Klima dieser Zeit. Daher standen im Dezember 1922 immer noch 38 Gouvernements, Oblasten und Autonome Republiken im Lande unter Kriegsrecht. Ungeachtet dessen sah sich die bolschewistische Führung nun aber in der Lage, den Zusammenschluß der RSFSR mit drei umliegenden Sowjetrepubliken zu erzwingen. Dem vorausgegangen war massiver Druck auf die Nachbarn – auch und gerade mit militärischen Mitteln, wobei vor allem der Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Banditen als Vorwand für das Eingreifen der Roten Armee und der Geheimpolizei Tscheka herhalten mußte.

Das Bild zeigt eine alte schwarz-weiß-Aufnahme von Lenin vor einer Menschenmenge. Die Sowjetunion blieb jedoch hinter den eigenen Ansprüchen von Wohlstand und Frieden zurück.
Lenins Versprechungen wurden nie eingehalten Foto: picture-alliance / brandstaetter images/Schostal Archiv | Anonym

Dabei hatte Lenin drei Jahre zuvor feierlich versprochen: „Wir wollen ein freiwilliges Bündnis der Nationen, ein Bündnis, das keinerlei Gewaltanwendung einer Nation gegenüber einer anderen zuläßt, ein Bündnis, das auf vollem Vertrauen, auf klarer Erkenntnis der brüderlichen Einheit, auf völlig freiwilliger Übereinkunft gegründet ist.“ Doch als der X. Allrussische Sowjetkongreß, welcher zu dieser Zeit faktisch das oberste Regierungsorgan der RSFSR darstellte, am 23. Dezember 1922 zusammenkam, war der Revolutionsführer nach einer ganzen Serie von Schlaganfällen dem Tode deutlich näher als dem Leben, weswegen nun Stalin das Sagen hatte. 

Bollwerk gegen internationalen Kapitalismus

Der amtierte seit dem 3. April des gleichen Jahres als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki) und appellierte eindringlich an die 1.727 RSFSR-Delegierten und 488 Gäste aus der Ukraine, Weißrußland und Transkaukasien, sie mögen allesamt dafür stimmen, „daß wir durch die Bildung unserer Unionsrepublik ein verläßliches Bollwerk gegen den internationalen Kapitalismus schaffen“. Darüber hinaus äußerte Stalin die euphorische Erwartung, „daß der neue Unionsstaat ein weiterer entscheidender Schritt auf dem Wege der Vereinigung der Werktätigen der ganzen Welt in einer Sozialistischen Sowjetrepublik sein wird.“ Daraufhin beschloß der Kongreß am 30. Dezember 1922 den Zusammenschluß der RSFSR mit der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR), Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) und der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (SSFSR) zur nunmehrigen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR).

Dieses neue Staatsgebilde erhielt zum 1. Januar 1924 seine erste Verfassung und wuchs seitdem um weitere formell eigenständige Sowjetrepubliken, welche freilich in allen wichtigen Belangen wie beispielsweise Außenpolitik und Verteidigung Moskau die Entscheidungen überlassen mußten. So wurden 1925 beziehungsweise 1929 die ehemaligen mittelasiatischen Kolonien Rußlands Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan als Sozialistische Sowjetrepubliken eingegliedert, nachdem sie zuvor freilich bereits schon unter der faktischen Kontrolle des Kreml gestanden hatten. Das gleiche galt für Kirgisien und Kasachstan, die am 5. Dezember 1936 von Autonomen Republiken im Verbund der RSFSR zu Sozialistischen Sowjetrepubliken avancierten. Am selben Tag traten zudem auch die Armenische, Aserbaidschanische und Georgische SSR, welche im Zuge der Auflösung der Transkaukasischen Sowjetrepublik entstanden waren, der UdSSR bei.

Ihre größte Ausdehnung erreichte die Sowjet-union indes aber erst im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges beziehungsweise kurz danach. 1940 konnte sie zunächst noch Estland, Lettland, Litauen, Moldawien sowie den finnischen Teil von Karelien annektieren und in Unionsrepubliken verwandeln oder der RSFSR anschließen. Dazu kamen bis Ende 1945 Tannu-Tuwa, ein nunmehr liquidierter UdSSR-Marionettenstaat an der Grenze zur Mongolei, die eigentlich zu Japan gehörigen, aber bei Kriegsende der RSFSR-Oblast Sachalin zugeschlagenen Kurileninseln Iturup, Kunaschir, Schikotan und Chabomai, die nördliche Bukowina und Ostgalizien, zwei Regionen, welche in die Ukrainische SSR eingegliedert wurden, sowie das nördliche Ostpreußen mitsamt Königsberg, das zur Kaliningradskaja Oblast mutierte und heute eine von Polen und Litauen umschlossene Exklave Rußlands an der Ostsee bildet. Außerdem mußte die Tschechoslowakei 1946 die Karpato-Ukraine an die Sowjetunion abtreten.

Sowjet-Renaissance ist Traum nationalistischer Russen

Ab dieser Zeit umfaßte das vermeintliche sozialistische Paradies vielerlei gleichberechtigter Völker, in dem aber letztlich wie früher die Russen das Sagen hatten, eine Fläche von 22,4 Millionen Quadratkilometern und somit fast ein Siebtel des Festlandes der Erde, wobei die RSFSR über 78 Prozent des Gebietes der UdSSR einnahm. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hatte eine Außengrenze von 19.025 Kilometern Länge und erstreckte sich in Ost-West-Richtung über insgesamt elf Zeitzonen beziehungsweise rund 10.000 Kilometer von der Bering-Straße bis ins Baltikum und in Nord-Süd-Richtung über etwa 5.000 Kilometer von den Inseln im Arktischen Ozean bis zu den Bergketten des Kaukasus und Hindukusch.

Allerdings waren nur 27 Prozent ihres Territoriums landwirtschaftlich nutzbar – im Gegensatz beispielsweise zu den USA, wo dieser Anteil bei 45 Prozent liegt. Das resultierte daraus, daß fast die Hälfte des UdSSR-Staatsgebietes aus Permafrostboden bestand. Dazu kamen ausgedehnte Waldgebiete in Sibirien und zahlreiche unfruchtbare Wüsten und Halbwüsten an der südlichen Peripherie.

In den 15 Sowjetrepubliken wurden zuletzt rund 290 Millionen Einwohner gezählt. Darunter befanden sich 147 Millionen Russen, 52 Millionen Ukrainer, 20 Millionen Usbeken, 16 Millionen Kasachen und zehn Millionen Weißrussen. Der Zerfall dieses seinerzeit größten Staatsgebildes der Welt begann am 11. März 1990, also jenem Tag, an dem sich die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik (LiSSR) als erster Gliedstaat der UdSSR offiziell für souverän erklärte. Danach dauerte es keine zwei Jahre mehr, bis die Alma-Ata-Deklaration vom 21. Dezember 1991 das Ende der UdSSR zum 31. Dezember des selben Jahres besiegelte.

Eine nochmalige Wiedererrichtung des einstigen Imperiums der Zaren beziehungsweise der Sowjets dürfte unwahrscheinlich sein, obgleich so mancher russische Ultranationalist davon träumt. Denn das Scheitern des Blitzkrieges gegen die Ukraine zeigt, daß die Situation heute nicht einmal annäherungsweise mit der vor einhundert Jahren vergleichbar ist.

JF 52/22

Die Feier des 50. Jahrestages der Gründung der Sowjetunion im Kreml in Moskau 1972 Foto: picture-alliance/ dpa | Tass
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