Wie schreibt man als Boomer, der gerade 71 Jahre alt geworden ist, über eine Rockband wie Led Zeppelin? Über Kerle also, die inzwischen über 80 sind. Mein Gothic-Rock-Freund winkte nur ab und meinte, er sei zu jung dafür, dabei geht er auch schon auf die 60 zu. Ach, irgendwie ist das alles traurig …
Vielleicht beginnt man besser mit einem Buch über feministische Heldinnen, das ebenfalls gerade im guten alten Reclam-Verlag erschienen ist: „Revolutionärinnen“ von Alexandra Bleyer über „Frauen, die Geschichte schrieben“, so der Untertitel. Ein spannendes Sujet, todsicher interessant. Aber man könnte es auch als Ablaßhandel lesen und verstehen für dieses andere, das wenige Wochen zuvor im selben Verlag erschienen ist: die Monographie über die lauteste Rockband der 1970er Jahre, diesen Vulkanausbruch Led Zeppelin.
Bob Spitzers Buch „Led Zeppelin“ enthält auf knapp 800 Seiten eine nach heutigem Verständnis hemmungslose Orgie an Frauenfeindlichkeit von höchster Oktanzahl und alle möglichen Verstöße gegen jede woke Sitte und den Anstand. Keine andere Band hat derartig ungeniert und abgedreht jene verwüstende Dreiheit der Jugendkultur abgefeiert, die da lautet: Sex, Drugs and Rock’n’Roll.
Die Rolling Stones waren im Vergleich harmlos
Sie waren die Lautesten. Die Versautesten. Die Maßlosesten. Kein Wunder, daß sie Geschichte geschrieben haben – nicht nur musikalisch.
Da waren die vorwärtstreibenden Basslinien von John Paul Jones und die stampfenden Drums des Berserkers John „Bonzo“ Bonham in „Whole Lotta Love“, auf denen Robert Plants Lustschreie in den Himmel stiegen: „I’m gonna give you every inch of my love“. Da war der „Lemon Song“ im Gitarrengewitter mit der Zeile „Squeeze me, baby, till the juice runs down my leg“.
Wie harmlos waren doch die Rolling Stones nur ein paar Jahre früher, als Mick Jagger sang „Let’s spend the night together“, eine Zeile, die er für einen Auftritt in der Ed-Sullivan-Show abändern sollte in „Let’s spend some time together“. Natürlich hat er sich nicht daran gehalten.
Robert Plant schrie sich bis zum Mond
Aber mit Led Zeppelin begann eine neue Zeitrechnung im Rockzirkus. Sie hatten den dynamischen Beat des Rock’n’Roll, so Bob Spitz, „komprimiert, auseinandergenommen, wahnwitzige Verzerrungen hinzugefügt und ihn in eine kühne neue Richtung geschossen“.
Da wurden Schallmauern durchbrochen, besonders die an Lautstärke, wofür ein gewisser Jim Marshall verantwortlich war. Der Ingenieur, der nebenbei Schlagzeug unterrichtete, baute Verstärker, mit deren Leistungen Robert Plants Stöhnen noch auf dem Mond zu hören war.
Wenn Robert Plant mit seiner Löwenmähne und den engen Satinhosen, die weit unterhalb des Bauchnabels endeten, in dem Song „Ramble On“ brüllte: „I wanna be your backdoor man“, schoß das wie ein pornographischer Kriegsschrei in die schon abgeschlaffte Hippieseligkeit des „All you need is love“ der Beatles.
Led Zeppelin waren schon als Gerücht überlebensgroß
Obwohl diese auf dem White Album schon mit „Helter Skelter“ vorgelegt hatten in Sachen Lärm und Metal, einem Song, dem Charles Manson seinen Mordauftrag abgelauscht haben will. Aber wer wollte es dem braven Sir Paul McCartney schon abnehmen, wenn er es auf demselben Album dreckig versuchte mit: „Why don’t we do it in the road …“
Led Zeppelin waren schon als Gerücht überlebensgroß, damals, 1968, als Jimmy Page von den Yardbirds eine neue Gruppe gründete und seinen Bassisten John Paul Jones mitnahm und den unbekannten Robert Plant aus einer Gruppe der Birmingham-Szene anheuerte und dessen Schlagzeuger John „Bonzo“ Bonham gleich mit, der ein Kraftwerk war und beide waren blutjung.
Sie hatten noch unter dem Namen The New Yardbirds ihr erstes Album eingespielt, bis sie durch die hämische Bemerkung des Who-Drummers Keith Moon, ihre Band werde abstürzen wie ein Zeppelin aus Blei, ihr Firmenlogo fanden: Led Zeppelin. Denn zu einer regelrechten Firma wurde die Band, mit ihren Topverkäufen, den Konzerten in Riesenarenen, dem eigenen Jet, dem eigenen Plattenlabel. Sie waren das Spektakel der siebziger Jahre.

Das erste Album war ein Underground-Hit
Bob Spitz’ Monographie, die der Musiker Heinz Rudolf Kunze mit wunderbarer Lakonik übersetzt hat, setzt ein mit einem Konzert der noch unbekannten Gruppe im Januar 1969 im Club Boston Tea Party, deren erstes Album allerdings bereits über den gerade entstandenen Rock-Sender WBCN nahezu pausenlos gespielt wurde. „Dazed and Confused“ war ein Underground-Hit und der Club ein ehemaliges Gebetshaus mit Kanzel und dem eingemeißelten Spruch „Preiset den Herrn“, und er war überfüllt.
Dabei waren sie doch nur Rock’n’Roller, die aus dem Blues kamen, und im Blues verwurzelt blieben, der immer vom Begehren erzählte, sei es bei Chuck Berry oder Muddy Waters, Howlin‘ Wolf oder Little Richard – mit den Zeppelin eben nur auf höchster Dezibel-Zahl.
Schon Album Nummer zwei schlug alle Verkaufsrekorde, brachte neben „Whole Lotta Love“ und „Ramble On“ auch akustische Gitarrenklänge sowie ein Drum-Solo von John Bonham auf „Moby Dick“, das er in Live-Auftritten durchaus auf gute 30 Minuten ausdehnen konnte – er war ein Tier. Besonders wenn er trank, war er das, und er trank ständig und zertrümmerte ganze Hotelsuiten; überhaupt gehörte das Schmeißen von Fernsehgeräten aus dem elften Stock zu den unschuldigen Vergnügungen dieser lustigen verschwitzten Rock-Rangen.
Bei Groupies wurde nicht aufs Alter geschaut…
Ein anderes begeistert ausgeübtes Hobby – ich erinnere mich gut – war der sogenannte „Geschlechtsverkehr,“ der da ständig beschworen, herbeigeschluchzt und herbeigebrüllt wurde. Ihm wurde auf den After-Show-Partys eifrig nachgegangen ohne Ansehen des Alters, mit Schwärmen minderjähriger Mädchen aus dem Valley um Los Angeles, die den Türstehern im Chateau Marmont „Me too!“ zuriefen und es ganz anders meinten, als es heute gebräuchlich ist.
Ich hatte einst das berühmteste dieser Groupies, Pamela Des Barres, getroffen, als sie ihre Autobiographie veröffentlichte, und sie gefragt, was sie am meisten bedauere. Sie sagte: „Daß ich zu Jimi Hendrix nein gesagt habe, aber da war ich gerade erst 14 geworden.“ Aber immerhin, mit 15 hatte sie dann Jimmy Page, später auch Mick Jagger und Keith Moon und viele andere, und sie erzählte mir davon, kalifornisch sonnig und schön und mit umwerfender Unschuld und durchaus einem entzückenden Hau.
Mittlerweile ist sie 76 und bereitet ihre dritte Autobiographie vor, die „Sex, God and Rock’n’ Roll“ heißen soll und ihre Gottsuche beschreibt. Aber 1971 waren die Prioritäten noch andere, denn bereits mit dem dritten Album hatten die Zeppelin Legendenstatus erreicht, und die kleine Pamela gewöhnte sich an die Peitschenspielchen, die Jimmy Page mit ihr trieb, der neben dem Satanisten Aleister Crowley auch den Marquis de Sade verehrte.
Das vierte Album gehört zu den meistverkauften Musikalben überhaupt
Album drei von 1970 war merkwürdig hippiehaft aufgemacht, mit einer Menge Schmetterlinge und Krimskrams auf der Hülle. Musikalisch kam es mit Folk-Anklängen daher, „Tangerine“ war geradezu feenhaft zart, aber mit dem „Immigrant Song“ ließ Robert Plant die Furien aus der nordischen Mittsommernacht herabheulen, ja er setzte seine Stimme ein wie ein Instrument. Das hat er sich bei der Blues-Legende Robert Johnson abgehört. „Ich habe auf die Liaison zwischen Stimme und Gitarre geachtet … als ob die Gitarrensaiten seine Stimmbänder wären.“
Mittlerweile wurden die Partys und die Prügeleien härter. „Bonzo“ und ein Roadie hängten einen Kerl kopfüber aus einem Fenster im zehnten Stock, Manager Peter Grant bestand auf Bar-Auszahlungen, die er in großen Tüten mit sich herumtrug und damit an der Steuer vorbei. Sie hingen mit Elvis ab und mit George Harrison auf einer Poolparty in Hollywood, und allmählich wurde Koks – Berge davon – durch das verhängnisvolle Heroin ersetzt, das Anfang der siebziger Jahre tatsächlich überall die Runde machte, auch in Berlin.
Doch zuvor noch das legendäre vierte Album, erschienen Anfang November 1971. Es hat keinen Titel, nur diese Ziffer IV, auch der Bandname fehlt. Das Cover ziert das kolorierte Bild eines Hutzelmännchens mit Reisig-Bündel auf der Schulter. Diese Nummer vier von Led Zeppelin zählt zu den meistverkauften Musikalben überhaupt. Und womit? Mit Recht!
Jimmy Page ließ sich extra eine doppelhalsige Gitarre anfertigen
Schon im Eröffnungssong „Black Dog“ brennt Robert Plant mit seiner Stimme, wie immer zwei Oktaven zu hoch, das Dach ab, gefolgt von dem Tornado „Rock and Roll“, um dann mit „Stairway to Heaven“ („There’s a lady who’s sure all that glitters is gold …) in die womöglich beste Heavy-Metal-Ballade der Rockmusikgeschichte einzusteigen, zunächst mit Flötenklang und einem Riff, das Jimmy Page einer Bach-Sonate abgelauscht haben könnte … Und dann geht es einfach nur hoch und immer höher und ab!
Jimmy Page hatte sich eigens für diesen Song seine legendäre doppelhalsige Gibson anfertigen lassen, er nutzte den oberen zwölfsaitigen Hals für das akustische Intro, um dann, übergangslos, auf dem unteren elektrischen sechssaitigenTeil in sein Solo aufzubrechen.
Vier Alben in nur drei Jahren! Aber trotz großartiger weiterer Platten („Physical Graffiti“, 1975, Platz vier der deutschen Albumcharts) konnte man diesem Flugunternehmen besonders auf ihren Live-Auftritten nur noch beim langsamen Verglühen zuschauen.
1980 starb der Schlagzeuger
Die Einschläge kamen näher. Robert Plant brach sich 1975 bei einem Autounfall sämtliche Knochen, 1977 verlor er seinen jungen Sohn an eine tückische Viruserkrankung. Jimmy Page lag fest in der Betäubungsumarmung von „Smack“ (Heroin), Bonzo Bonham brach im Suff über seinem Schlagzeug zusammen, und als er im September 1980 von Bassist und Arrangeur John Paul Jones zu Proben abgeholt werden sollte, lag er tot im Bett, erstickt an seinem Erbrochenen.
Das war dann auch das Ende der Gruppe, sie wußten, daß sie nur in dieser Besetzung und nur zu viert funktionierten. Allerdings gab es tatsächlich noch eine Ausnahme: ein Benefiz-Konzert 2007 für die Stiftung von Ahmet Erteguns, des verstorbenen Chef von Atlantic Records. Innerhalb von Stunden gingen 20 Millionen Vorbestellungen ein, jeder wollte nach fast drei Jahrzehnten die Gruppe noch einmal erleben, und das schloß die Rockaristokratie ein, Mick Jagger, Jeff Beck, Paul McCartney, die Gallaghers von Oasis, Peter Gabriel und viele mehr.
Die Band trat nie wieder auf
Sie konnten sich ergötzen an einem auch musikalisch fulminanten Best-of-Abend mit diätbewußten, gesunden, älteren Herren, bis auf den Schlagzeuger, der war jung und hieß Jason Bonham – der Sohn von Drummer John.
Womit unsere Moritat von den bösen und zügellosen Buben an ein Ende gekommen wäre, die Band trat nie wieder auf, und wer sich darüber hinaus ein Bild machen möchte von Blut, Schweiß und Tränen dieser Schwermetall-Kampfgruppe, möge sich den Doku-Film „Becoming Led Zeppelin“ anschauen, der soeben in die Kinos gekommen ist, und todsicher demnächst auch bei irgendeinem Netflix um die Ecke – oder wie das heißt.