BERN. Die ehemaligen Mitglieder der linksextremen Terrororganisationen „Rote Armee Fraktion“ (RAF) und „Bewegung 2. Juni“, Karl-Heinz Dellwo und Gabriele Rollnik, haben während einer Lesung in einer Bibliothek im schweizerischen Bern ihre früheren Mordtaten verherrlicht, wie die Schweizer Tageszeitung Der Bund berichtet. Die Lesung fand Anfang November statt.
In der Bundesrepublik der 70er Jahre sei der Klassenkampf entpolitisiert und eingefangen worden, sagte Dellwo während seines Vortrags. „Erst der bewaffnete Kampf hat das wieder aufgebrochen.“ Das sei dessen „historisches Verdienst“.
Über seine Opfer sprach Dellwo währenddessen nicht. Rollnik erwähnte ihre eigene Beteiligung an einem Mord in einem Nebensatz. Sie hatte 1974 mit ihrer Organisation den Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann entführt, um auf diese Weise RAF-Mitglieder freizupressen.
Veranstalter bekunden Sympathien für RAF-Taten
Als der Handel mißlang wurde von Drenkmann ermordet – was Rollnik, als wäre es ein unwichtiges Detail, nebenbei fallen ließ: „Die Aktion schlug fehl, von Drenkmann wurde dabei erschossen und das ’Volksgefängnis‘ erst im Februar 1975 mit Peter Lorenz, dem CDU-Kandidaten fürs Berliner Bürgermeisteramt, belegt.“
Die Beibehaltung des linksextremen ’68er-Jargons war dabei offenbar kein Zufall. So sprach Rollnik während des Vortags mehrfach von Deutschland als „fortlebenden Nazistaat“.
Die Sympathien für die Taten der RAF wurden bereits im Ankündigungstext der Veranstaltung deutlich. Anlaß war der 50. Todestag des RAF-Terroristen Holger Meins, der sich 1974 im Gefängnis selbst zu Tode hungerte.
Linke Szene bewundert RAF noch immer
„Diese Barbarei gegen eine kleine Gruppe Militanter erschütterte damals Teile der Gesellschaft. Wie weit ist der Staat bereit zu gehen und was mutet er seiner Bevölkerung zu? Wie sieht das heute, vor dem Hintergrund von Moria, den tausenden Toten im Mittelmeer oder auch dem aktuellen Gaza-Krieg aus?“, fragten die Veranstalter. „Zwei Ehemalige aus der bewaffneten Bewegung“ würden dazu sprechen.
Auch im Anschluß an die Veranstaltung blieb der Tonfall martialisch. Angesichts der „aktuellen Repression“ bliebe ihnen nur, sich „von dieser Entschlossenheit inspirieren zu lassen“.
Auch 26 Jahre nach ihrer offiziell bekannten Auflösung erfreut sich die RAF einer großen Popularität im linken Lager. Als die Berliner Polizei das ehemalige Mitglied Daniela Klette im Februar überraschend in Kreuzberg aufspürte und festnahm, kam es rasch zu Solidaritätserklärungen der linken Szene.
600 Personen demonstrierten gegen Klette-Verhaftung
In Berlin stellten Unbekannte eine Matratze in der Stadt ab, auf der sie der festgenommenen Frau „viel Kraft“ wünschten. Ihren beiden sich noch im Untergrund befindenden Mitstreitern, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub, wünschten sie „Glück“. Auch das linksextreme Zentrum „Rote Flora“ in Hamburg präsentierte ein Banner, auf dem der Zusammenhalt innerhalb der Szene betont wurde.
Etwa anderthalb Wochen nach der Festnahme demonstrierten etwa 600 Personen in Kreuzberg, um ihre Unterstützung für Klette auszudrücken. Die Verhaftung einer wegen Mordversuchen und Raubüberfällen gesuchten Frau bezeichneten die Demonstranten als „Staatsterrorismus“.
Unterstützerszene ist in Berlin ansässig
Der Journalist Butz Peters, der mehrere Bücher zur RAF geschrieben hatte, zeigte sich wenig überrascht. „Kreuzberg ist ein einmaliges soziales Biotop in dieser Republik. Dicht besiedelt, in Teilen schnieke, in weiten Teilen traditionell alternativ. Hier zählen für viele Gesetze und Staat nicht viel. Wenn ich abtauchen müßte, wäre Kreuzberg für mich erste Wahl.“ Er vermute, daß es Unterstützung für die Untergetauchten gegeben habe, sagte Peters der Berliner Zeitung.
Karl-Heinz Dellwo hatte sich als junger Mann der linksextremen Szene Hamburgs angeschlossen. Mitte der 70er Jahre ging er in den Untergrund und trat der RAF bei. Im April 1975 beteiligte er sich an einer Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm und nahm dort gemeinsam mit fünf weiteren Terroristen mehrere Geiseln.
Die Namen der Mörder nennt Dellwo nicht
Die Geiselnehmer verlangten die Freilassung der RAF-Führungsriege, die zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis saß. Als ihre Forderungen nicht erfüllt wurden, ermordeten sie zwei Geiseln. Die Belagerung endete erst, als einer der Geiselnehmer, vermutlich unabsichtlich, einen Sprengsatz zündete.
Wer die beiden Geiseln, den Militärattaché Oberstleutnant Andreas von Mirbach und den Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart erschoß, ist bis heute unklar. Auch Dellwo brach das Schweigegelübde der Organisation bislang nicht.
Einen ganz ähnlichen Weg hat Gabriele Rollnik hinter sich. Als West-Berliner Studentin schloß sie sich 1974 der linksextremen Terrorgruppe „Bewegung 2. Juni“ an und beteiligte sich an mehreren Aktionen. Darunter die Entführung und Ermordung des Präsidenten des Kammergerichts Berlin, Günter von Drenkmann, im November 1974 sowie die Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz ein Jahr darauf.
Meins hungerte sich zu Tode
Als Wendepunkt seiner Entwicklung beschrieb Dellwo später den Tod des RAF-Mitglieds Holger Meins – an dessen Todestag die Veranstaltung stattfand. Noch 2016 betonte er während eines Fernsehinterviews mit dem Sender Phoenix, daß der Selbstmord von Meins seiner Ansicht nach vom Staat verschuldet gewesen sei.
Meins war zunächst ein deutscher Filmstudent, der sich während der Studentenproteste der 60er Jahre linksextremen Strukturen in Berlin anschloß. 1970 sorgte er dafür, daß der Gründungsaufruf der RAF in der linksextremistischen Untergrund-Zeitung Agit 883 veröffentlicht wurde.
Kurz darauf wurde Meins selbst Mitglied der Terrorgruppe. Er beteiligte sich mutmaßlich an Bombenanschlägen auf amerikanische Militärkasernen in Frankfurt und Heidelberg und wurde im Juni 1972 gemeinsam mit der RAF-Führung in Frankfurt verhaftet. Im Januar 1973 trat er erstmals in den Hungerstreik. Den Folgen seines dritten Hungerstreiks erlag er im November 1974. (lb)