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Mord und Mythos

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Nach einem anonymen Telefonanruf wurden am 1. Juni 1972 mit Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe drei der am meisten gesuchten RAF-Terroristen in Frankfurt am Main von der Polizei verhaftet. Noch zwei Wochen zuvor hatte die RAF mit einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier des 5.U.S.-Corps ihre sogenannte „Mai-Offensive“ als Antwort auf die von US-Präsident Nixon verhängte See-Blockade gegen Nordvietnam eröffnet. An vier weiteren Tagen im Mai folgten Anschläge in München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg, bei denen vier Soldaten getötet und 25 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. 1977 ermordeten RAF-Terroristen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen Fahrer, den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto und entführten den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie Hanns Martin Schleyer, vier seiner Begleiter wurden bei dieser Aktion erschossen. Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt blieb jedoch selbst nach der Entführung der Lufthansa-Boeing „Landshut“ durch vier palästinensische Terroristen hart und verweigerte die Freilassung von RAF-Mitgliedern. Nach der Erstürmung der „Landshut“ wurde Schleyer von seinen Entführern durch Genickschüsse ermordet. In der Strafvollzugsanstalt Stammheim verübten Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin Selbstmord. Ein Jahr zuvor hatte sich bereits Ulrike Meinhof in ihrer Zelle erhängt. Die Geschichte der ersten RAF-Generation fand damit ihr Ende. Die heftige Debatte, die inzwischen über eine Ausstellung zur RAF entbrannt ist, die das Berliner Ausstellungshaus Kunstwerke unter seinem Leiter Klaus Biesenbach veranstalten will, ist von einer gedanklichen Unschärfe, die typisch ist für das parasitäre Verhältnis, das die intellektuelle und politische Klasse der Bundesrepublik schon immer zum Gegenstand, um den es geht, hatte. Vor über 30 Jahren wies Günter Rohrmoser in einem Vortrag über die Hintergrunde des Linksradikalismus in der BRD darauf hin, daß dessen „geistige Herausforderung“ viel zu lange ignoriert wurde. Niemand reagierte darauf, die RAF wurde weiterhin als eine Bande von Bankräubern, Entführern und Mördern klassifiziert, was sie ja auch war, die ideologiekritische Auseinandersetzung mit bedenklichen Tendenzen der Gesellschaft als theoretische Begründung der Stadtguerilla wurde hingegen nicht einmal ansatzweise diskutiert. Während sich die linken Intellektuellen von der geschäftigen RAF-Lobby unter Druck setzen ließen und von „Folter“ und „Isolationshaft“ der pivilegierten Häftlinge phantasierten, hatte die politische Klasse außer Plattitüden über „junge Mitbürger auf so furchtbaren Abwegen“ (Ex-Bundespräsident Walter Scheel) oder Anschuldigungen gegen die Frankfurter Schule als intellektuelle Vorstufe der RAF, der man kurzerhand die „terroristischen Konsequenzen“ (Ex-Ministerpräsident und Unionspolitiker Hans Filbinger) anlastete, nichts zu bieten. Auf die Beschuldigungen führender deutscher Politiker – „ungeheuerlicher Skandal“ (CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz), „einseitige Auseinandersetzung“ (FDP-Parteivorsitzender Guido Westerwelle) – reagierten die Veranstalter des mit 100.000 Euro aus dem Hauptstadt Kulturforum unterstützten Projekts mit der Ankündigung, die bereits für Herbst 2003 geplante Ausstellung „wegen noch nötiger Vorbereitungen“ um ein Jahr zu verschieben. Jan Philipp Reemtsma, der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, aus dessen Haus Wolfgang Kraushaar kommt, der die Schau wissenschaftlich begleiten soll, hat sich inzwischen vorsorglich von der Ausstellung distanziert, während der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz dafür plädiert, das Ganze „auf Eis zu legen“ und sein Parteikollege und Innenminister Otto Schily hat den Hinterblieben des Vorstandschef der Treuhandanstalt Rohwedder und des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer schriftlich bestätigt, daß ihre Bedenken berechtigt seien. Den Stein ins Rollen gebracht hatten die Angehörigen des 1989 von der RAF ermordeten Rohwedder und der Sohn von Hanns Martin Schleyer, die eine unreflektierte Mythologisierung der RAF befürchteten. Dieser Verdacht war nicht ganz unangebracht, war doch in einer ersten Konzeption der Ausstellungsmacher noch davon die Rede, daß man auch untersuchen wolle, welche Ideale der RAF ihren Wert bis heute behalten hätten. Auch der Ausstellungstitel „Mythos RAF“ trug nicht gerade dazu bei, die über dreißig Morde, die auf das Konto der Terroristen gehen, im Licht einer von der Ausstellung offiziell angestrebten „Entmystifizierung und Historisierung“ zu sehen. Tatsächlich wäre gegen eine Ausstellung zur RAF, die den Blick zurück von jeder nostalgischen Trübung befreit und vor allem die gemeinsamen „antiimperialistischen“ Motive der legalen und terroristischen Linken nicht leugnet, nichts einzuwenden. Für die Linke würde dies vermutlich eine moralische Strapaze bedeuten, für die Konservativen ein ungeschminkter Rückblick auf ihre chronische politische Impotenz. Das wäre doch immerhin etwas!

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