Mit seinem Roman „Eschenhaus“ gelang Jörg Bernig „ein Meisterstück“ (Uwe Tellkamp): Er verschränkt darin die Fiktion einer nahen Zukunft, in der Deutschland einer neuen ethnisch-religiösen Mehrheit anheimfällt, mit Begebenheiten aus der noch nicht fernen Vergangenheit der DDR, in der Andersdenkende diskreditiert und ausgegrenzt wurden
„Mehr als ein zeitkritisches Pamphlet ist ‘Eschenhaus’ aber der Roman einer inneren Einkehr, einer reflexiven Selbst- und Weltanalyse.“, so JF-Autor Dietmar Mehrens, der dessen „ungemein präzise, plastische Sprache“ lobt. Kaum erwähnenswert, daß der Roman vom Hauptstrom der Medienwelt ignoriert wird. Dennoch wurde er zum Bestseller für den Verlag Edition Buchhaus Loschwitz.
Jörg Bernigs neue Essaysammlung: 20 Texte aus 20 Jahren
Anläßlich des 60. Geburtstags von Jörg Bernig erschien nun ein neuer Essayband des Autors: Unter dem Titel „Habe Mut. Begleitschreiben“ enthält er mehr als 20 Texte aus ebenso vielen Jahren: Wie die Elbe, an der Bernig im umfassenden Sinn beheimatet ist, mäandern sie durch unterschiedliche Gebiete von Literatur und Sprache zur Migrationspolitik, von Meinungsfreiheit und Medienkritik bis zu Fragen zu Demokratie und Totalitarismus.
In seiner chronologischen Reihung läßt der Essayband eine Entwicklung nachvollziehen – eine Entwicklung nicht nur des Verfassers selbst, sondern auch der Verfaßtheit unserer Gesellschaft. Bernig ist dabei sowohl Chronist als auch Kommentator des Lebens, der Kultur und des Wandels in Sachsen, Ost- wie Mitteleuropa sowie dem am Rande Europas liegenden Wales. Ein Blick, der zuweilen das persönliche Umfeld beleuchtet, um sich dann umfassend zu erweitern.
Zu erweitern auch in Richtung der Vergangenheit, aus der Bernig literarische und politische Denker wie Eichendorff, Gryphius, Heine, Klemperer und Kant für seine Ausführungen heranzieht. In Zeiten, in denen leere Rhetorik und blanke Propaganda die öffentliche Auseinandersetzung bestimmen, sind Bernigs Texte – mal vermittelnd, mal zornig, immer aber umfassend durchdacht – ein erfrischendes „Wahr-Sprechen“ (Foucault) fernab des narkotisierenden Konsenses.
Victor Klemperer als Inspirationsquelle
Nicht nur angesichts der absurden Scharmützel um die Klemperer-Lesung anläßlich des letztjährigen Gedenktags zum 9. November in Dresden gelangt Bernigs Vortrag „Klemperer und die Dissidenten“ (2012) zu neuer Aktualität. Wir erinnern uns: Der 1960 in Dresden verstorbene deutsch-jüdische Philologe Victor Klemperer hatte in „LTI – Notizbuch eines Philologen“ die Sprache des Dritten Reiches (Lingua Tertii Imperii) auf ihre propagandistische Struktur hin analysiert.
Als die Dresdner Stadtratsfraktion „Freie Wähler/Freie Bürger“ eine Lesung daraus ankündigte, sahen sich etablierte Antifaschisten durch vermeintliche Vertreter der „Neuen Rechten“ in ihrer Kulturhoheit düpiert und versuchten erfolglos, dies zu verhindern. Der Sprachkritiker Klemperer hätte seine helle Freude an diesem Vorgang gehabt.
Mit diesem Text der Friedlichen Revolution von 1989 zu gedenken ist allerdings sinnvoll für Gegenwart und Vergangenheit: Klemperers „LTI“ hatte, so zeigt Bernig, immense Auswirkungen auf junge DDR-Bürger und Autoren wie Siegmar Faust und Jürgen Fuchs, ja gehörte für sie „zur Grundausstattung eines kritischen Geistes“ (Joachim Walther). Eine in der DDR durchaus gefährliche Lektüre, die wie im Falle Utz Rachowskis zu widerständigen Aktionen und schließlich zu Gefängnishaft führte.
Bernig warnt vor Moralisieren im Diskurs
Eine Lektüre auch, die – so Bernig – zu einem „poetischen Bestreben“ führt, das „den mittels Beobachtung, Analyse und Distanzgewinnung zu findenden ‘Ausweg aus der Betroffenheitsliteratur’ hervorhebt“. Bernigs kenntnisreicher literaturhistorischer Beitrag verweist implizit auch auf die ideologisierte Sprache unserer Tage: Schon Klemperer fand, das vermerkte er in seinen Tagebüchern, in beiden Teilen Nachkriegsdeutschlands Strukturen, die er als LQI, als Sprache des vierten Reiches, bezeichnete – und die sich auch heute wieder in einer aggressiven Abgrenzung zum politischen Gegner erkennen lassen.
Eine Erfahrung, die auch Jörg Bernig machen mußte: Seine hochreflexive Kamenzer Rede zur Rezeption Gotthold Ephraim Lessings markierte 2016 einen Wendepunkt in seiner öffentlichen Wahrnehmung. Unter dem Titel „Habe Mut …Eine Einmischung“ äußerte sich Bernig zur Massenmigration als einem Höhepunkt der kulturellen Veränderung Deutschlands und Europas. Er kritisierte die Bundesregierung für die „Souveränitäts- und Staatsaufgabe nicht nur des Jahres 2015“ sowie „ihre Unfähigkeit, in kulturellen Dimensionen zu denken“.
Anstelle der Ratio, der großen Errungenschaft der Aufklärung, walte heute ein aggressives Moralisieren: „Eine Gefahr für unser aufgeklärtes und demokratisches Zusammenleben.“ Spätestens seit diesen Äußerungen gilt Bernig als „umstritten“ – eine abwertend gemeinte Zuschreibung, die allerdings längst zu einem Qualitätssiegel avanciert ist. Selbstredend führte Bernigs in verschiedenen Medien geäußerte Kritik an der ungeregelten Massenzuwanderung dazu, daß er fortan als „rechts“ (vulgo als „Nazi“) stigmatisiert wurde.
Die Wende als vertane Chance für mehr Freiheit
Das schlug sich nicht zuletzt auf seine Bewerbung als Kulturamtsleiter von Radebeul nieder: Sein fachliches Konzept hatte zwar die Mehrheit des Stadtrats überzeugt, doch wurde er von den „Falschen“ gewählt, nämlich überwiegend von CDU und AfD. Umgehend erhob sich – man kennt den Vorgang – massive Empörung inklusive der üblichen Schmähungen aus einer Phalanx der „Richtigen“. Die demokratische Wahl wurde annulliert.
Dabei hatte Bernig wie auch eine Vielzahl der DDR-Bürger doch geglaubt, daß dies nun überstanden sei: „Überstanden die offenen und die versteckten Drohungen, die Einschüchterungen, die Anfeindungen, die Verleumdungen, die Lügen und auch die Denunziationen. Wir glaubten, wir hätten das hinter uns gelassen mit jenem großen Leipziger Schritt ins Freie am 9. Oktober 1989 – dem Tag, an dem wir nicht erschossen wurden.
“ Was den Autor in diesen nun gesammelt erschienenen Essays umtreibt, sind die Veränderungen Deutschlands und Europas in bezug auf Kultur, Sprache und nicht zuletzt auf die demokratisch geführte Debatte. Die Massenmigration und ihre Auswirkungen (man betrachte dazu nur die aktuell erschienene Kriminalstatistik) ist hierfür weniger Ursache als Symptom einer das Irrationale verabsolutierenden Politik, die jede Gegenposition als unmoralisch und menschenverachtend diskreditiert.
Bernig regt zum Denken an
Ein Symptom allerdings, das nicht nur die Lebensweise des Einzelnen, sondern des gesamten Kontinents bis hin zu den Beziehungen zwischen den EU-Nationen in Ost und West beeinträchtigt. Und die nicht zuletzt Fluchtbewegungen der schon länger hier lebenden Bürger provoziert. Allein: wohin?
Der Essay „Am Rande des Randes“ von 2017 entwickelt sich zu einem sehr persönlichen Reisebericht; eine Reise nicht nur nach Wales (wo Bernig einige Jahre lebte und an der University of Wales in Swansea unterrichtete), sondern auch aus einer als bedrängende Uniformität erlebten Gegenwart in der Mitte des Kontinents hin zu einer nostalgisch gefärbten Vergangenheit in die weitab am Rande gelegene, als ursprünglich memorierte Region. Nicht weitab genug, wie sich im Verlauf der Reise herausstellen wird, doch immer noch mit tragenden Beziehungen und der träumerischen Hoffnung, Wales würde unbeschadet in den mystischen Nebeln des Atlantiks davondriften.
Womit der Text grundsätzliche Gedanken des Romans „Eschenhaus“ vorwegnimmt. Bernigs Sprache, stets überlegt, klug und verbindlich, ist weit von dem entfernt, was heute gern als „propagandistische Schmährede“ etikettiert wird. Argumentativ reichhaltig regen seine ausgesprochen lesenswerten „Begleitschreiben“ angesichts unserer eingeschränkten Debattenkultur zum Denken an, ermöglichen auch die Gegenrede, die Diskussion. Sofern möglich, denn Bernig konstatiert auch: „Die Freiheit des Wortes ist bereits zum Opfer eines politisch-medialen Komplexes geworden. Aber die Freiheit des Wortes und dessen Wahrheit gehören zusammen.“