Nach dem Urteil war die Aufregung groß. Selbst zu Todesdrohungen gegen das Amtsgericht Regensburg soll es laut Mittelbayerischer Zeitung gekommen sein. Denn ein junger Afghane hatte in der Hauptstadt des bayerischen Regierungsbezirks Oberpfalz zwischen 2019 und 2022 vier Frauen begrapscht und belästigt, eine weitere zum Oralsex gezwungen sowie eine Minderjährige vergewaltigt – und verließ nun den Gerichtssaal als freier Mann.
Zwar hat er bereits sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen, 22 Monate auf Bewährung sowie die Auflagen bekommen, seinen Alkoholkonsum zu mäßigen und ein Antiaggressionstraining zu absolvieren. Aber daß der Täter nicht für längere Zeit hinter Gittern verschwindet, löst bei vielen Menschen verständlicherweise Entsetzen und Unverständnis aus. Und da Opfer einer Vergewaltigung häufig ihr Leben lang unter der Tat leiden, müssen die Betroffenen das Urteil als blanken Hohn, mindestens aber als Ignoranz gegenüber ihrem Leid empfinden.
Zudem wird die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung häufig als ein Freispruch, wenn auch zweiter Klasse, empfunden, aber nicht als das, was sie eigentlich sein sollte, eben eine Strafe. Denn immerhin kann der Täter das Gericht ja verlassen, muß nicht weiter im Gefängnis sitzen – für die Opfer und auch deren Angehörige ein Schock und für viele Bürger ein Versagen des Rechtsstaates.
Gericht nennt Täter „Musterbeispiel“ für Integration
Hinzu kommt in diesem Fall, daß – laut einer Aussage des Anwalts der Verteidigung gegenüber der Bild-Zeitung – der Richter dem Täter bescheinigt habe, „eigentlich ein Musterbeispiel dafür (zu sein), wie man in Deutschland gut ankommen kann“. Hintergrund ist, daß der heute 23jährige in Deutschland seinen Hauptschulabschluß mit der Note 1,0 und eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker absolviert hat, als Heizungsmonteur tätig sowie in einem Fußballverein aktiv ist und sich nüchtern stets unauffällig verhielt.
Dennoch ist angesichts seiner Taten, von einem Musterbeispiel an Integration zu sprechen natürlich absurd und taktlos gegenüber den Opfern. Integration beginnt schließlich damit, die Gesetze, Regeln und die Wertvorstellung einer Gesellschaft vom Umgang miteinander zu akzeptieren. Alles das aber hat der Angeklagte seit Jahren mit Füßen getreten, und die Vergewaltigung ist trauriger Gipfelpunkt seiner kriminellen Energie. Diese Begründung ist also eine schallende Ohrfeige für die Opfer.
„Im Zweifel für den Angeklagten“
Dennoch muß man das Urteil einordnen: Da der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat unter 21 Jahre alt war, hatte er sich vor einem Jugendschöffengericht zu verantworten. Und das Jugendstrafrecht folgt nicht dem Sühne-, sondern dem Erziehungsgedanken. Viele erzürnt, daß es überhaupt angewendet wurde, doch ergibt sich dies meist aus dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Da der damals 18 Jahre alt war, sind Zweifel an der persönlichen Reife immerhin nicht völlig lebensfremd. Dabei hat seine Herkunft, wie es auch sein soll, keine Rolle gespielt, denn auch vergleichbare deutsche Täter erfahren diese Nachsicht.
Das aber führt zum Kern des Problems, das im Ganzen gesehen nicht in diesem speziellen Urteil besteht, sondern in der üblichen Praxis, die überhaupt erst zu ihm geführt hat. Denn in Deutschland kommt bei sexueller Nötigung/Vergewaltigung – laut Ostendorf-Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz, Stand 2018 – das Jugendstrafrecht in 93 Prozent der Fälle zur Anwendung. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr sind es bei fahrlässiger Körperverletzung nur 31, bei fahrlässiger Tötung sogar nur 27 Prozent.
Reformen sind nötig
Hier sollte also dringend reformiert werden! Denn wir sprechen bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung in aller Regel nicht von unreifen Kindern, die nicht begreifen, was sie da tun. Schließlich weiß jeder normale Mensch in unserem Land selbst vor dem 18. Lebensjahr, daß Mädchen und Frauen Respekt und Achtung verdient haben und daß es schweres Unrecht bedeutet, ihre körperliche Integrität auf diese schäbige Weise zu verletzen.
Weiter stellt sich die Frage: Kann man mit einer Haftstrafe einen 23jährigen Mann noch erziehen? Wohl kaum, zumal er bereits eine mehrmonatige Untersuchungshaft hinter sich hat. Deshalb ist die Aussetzung zur Bewährung sicher rechtsfehlerfrei, wenn auch nur schwer zu ertragen. Auch das ist also geltendes Recht in Deutschland. Allerdings könnten die Auflagen den Täter schneller wieder hinter Gittern bringen, als sich viele vorstellen. Zwar ist die Einhaltung der auferlegten 0,5-Promille-Grenze beim Alkohol nur schwer zu kontrollieren und wird möglicherweise erst bei einer erneuten Tat auffallen, sie kann aber einen Widerruf der Bewährung sehr erleichtern.
Der eigentliche Skandal
Daß der Täter zuvor schon aufgefallen war, das ist in diesem Fall der eigentliche Skandal. Der Vergewaltigung vorausgegangen war schließlich eine Serie von Übergriffen, und trotzdem blieb er in unserem Land. Doch auch das ist leider kein Einzelfall. Oft schon waren schreckliche Verbrechen nur der letzte Höhepunkt einer ganzen Reihe von Straftaten, ohne daß die zuständigen Behörden rechtzeitig eingegriffen und den Aufenthalt beendende Maßnahmen ergriffen haben. Das muß sich ändern!
Dazu kommt der Umstand, daß der junge Mann, der 2015 als Flüchtling in unser Land gekommen ist und angibt, in seiner Heimat verfolgt zu werden, dort den Jahreswechsel 2022/23 verbrachte, bevor er nach Deutschland zurückflog. Und auch hier muß festgestellt werden, daß es sich leider um keinen Einzelfall handelt; es aber vielen Bürgern nicht zu vermitteln ist, daß Menschen dort Urlaub machen oder familiäre Angelegenheiten regeln, wo sie angeblich an Freiheit, Leib oder Leben aufs Ärgste bedroht sind.
Immerhin hat sich der Afghane inzwischen bei der Vergewaltigten entschuldigt und ihr einen finanziellen Täter-Opfer-Ausgleich angeboten. Daß sie beides aber ablehnt, zeigt auf, welch katastrophale Verwüstung er in der Seele der jungen Frau angerichtet hat.
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Rainer Wendt, 66, ist Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und Polizeihauptkommissar a. D.