BERLIN. Der britische Historiker Niall Ferguson hat Deutschland eine schwierige politische Lage seit dem Ende der Regierungszeit von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) bescheinigt. „Vor dem Ukrainekrieg habt ihr in Deutschland ein wahnhaftes Leben geführt und geglaubt, daß Mutti euch dauerhafte Stabilität verschafft hat“, sagte er der Welt.
Das Erbe der Christdemokratin sei jedoch, daß „Deutschland wieder der Michel ist, der es im 19. Jahrhundert war“. Der militärische Konflikt in der Ukraine habe gezeigt, wie abhängig die Bundesrepublik von russischem Gas, von Exporten nach China und von Amerikas Sicherheitsgarantien sei.
Was in Deutschland und in Europa geschehe, hänge wesentlich von den Entscheidungen ab, die in Washington, Moskau und Peking getroffen würden, betonte der Historiker und Publizist. Für Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei die jetzige Regierungszeit deshalb mit größeren Herausforderungen verbunden als damals bei Merkel. Scholz sei dadurch mehr Objekt als Subjekt.
Ferguson: Deutschland ist für Bündnisfreiheit zu schwach
Wieder zum Subjekt zu werden, sei sehr schwer. Dafür brauche Deutschland „bedeutsame militärische Kapazitäten und Unternehmen auf der Höhe der Zeit“, gab Ferguson zu Bedenken. „Hinzu kommt, daß es zunehmend schwieriger werden wird, die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen in dieser Form aufrechtzuerhalten, wenn sich die Beziehungen zwischen den USA und China weiter verschlechtern. Deutschland wird dabei nichts anderes übrigbleiben, als sich an die Seite Amerika zu stellen, denn für Bündnisfreiheit ist es viel zu schwach.“
Einen pro-europäischen Präsidentschaftskandidaten gebe es in den USA aktuell nicht. Für Washington sei klar: „China ist der Feind, auf den Pazifik kommt es an, und Europa ist ein Museum.“ Die Globalisierung sei nicht tot, aber der Handel verlagere sich weg von Gütern hin zu Dienstleistungen, allen voran Onlineservices. Da liege Europa im weltweiten Vergleich schlicht zurück. (zit)