Der Tenor vieler Älterer lautet häufig gleich: Die jüngeren Generationen sind verweichlicht. Keiner will mehr hart arbeiten, niemand mehr richtig anpacken. Disziplin, Ordnung und Leistungsbereitschaft haben dieses Land bekanntlich groß gemacht. Und heute? Wohin man auch schaut, nur noch Trägheit, so lautet der Vorwurf insbesondere aus der Babyboomer-Generation, die sich bald zu großen Teilen aus dem Arbeitsleben verabschieden wird.
In den kommenden 15 Jahren werden rund 12,9 Millionen der heutigen Erwerbstätigen das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das sind immerhin knapp 30 Prozent der derzeit dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehenden Personen. Wie soll es danach weitergehen? Müssen die Deutschen immer länger arbeiten? Sollen weiterhin jedes Jahr Hunderttausende Einwanderer ins Land geholt werden, um zu versuchen, die klaffenden Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen? Eine schlüssige Antwort hat bis dato niemand parat, schon gar nicht das konservative Lager.
Was auch zur entscheidenden Frage führt, die im Hagel der Vorwürfe stets ausgelassen wird. Wofür geht ein junger Mensch heute eigentlich noch arbeiten? In welchem Verhältnis stehen Aufwand und Nutzen? Denn die kaum zu leugnende Antriebslosigkeit vieler junger Menschen vollzieht sich in den meisten Fällen nicht zwingend aus einem Gefühl der bösartigen Faulheit heraus, sondern resultiert aus der aufgetischten Perspektivlosigkeit. Arbeit benötigt stets einen intrinsischen Sinn, sie wird nicht einfach so verrichtet. Am Ende des Tunnels braucht es Licht, was früher einmal die prägnante Aussage „Unseren Kindern soll es einmal besser gehen“ veranschaulichte. Doch in der heutigen Zeit starren die Heranwachsenden lediglich in die pechschwarze Dunkelheit.
„Ein schiefes, ungerechtes und verlogenes System“
Schon jetzt ist allen jüngeren Menschen mit Verstand klar, daß sie aufgrund des demographischen Niedergangs niemals eine vernünftige staatliche Rente erhalten werden. Daß sie dank Geldmengenausweitung, explodierender Preise, hoher Steuerlast und erdrückender Vermögenskonzentration bei den Babyboomern schwindende Möglichkeiten haben, selbst etwas aufzubauen. Während es sich ein Postbote oder Elektriker noch vor wenigen Jahrzehnten problemlos leisten konnte, eine mehrköpfige Familie zu ernähren und ein Haus zu bauen, ist heute an solch fast paradiesisch anmutende Zustände ohne ein zweites Gehalt sowieso nicht zu denken.
So steht ein Großteil der „Generation Miete“ nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium vor jahrzehntelanger Lohnarbeit, ohne daß in der „Abstiegsgesellschaft“ (Oliver Nachtwey) eine verbesserte Lebenssituation in Sicht ist. Man „nimmt den Jungen, um den Alten zu geben, unabhängig davon, ob die zuvor den Jungen gegeben hatten: ein schiefes, ungerechtes und verlogenes System“, spottete jüngst der 80jährige Konrad Adam im Tumult-Magazin. „Die Babyboomer wollen eine Rente von Kindern, die sie nicht bekommen haben“, schlug auch ifo-Präsident Hans-Werner Sinn in dieselbe Kerbe.
Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse wirken deshalb jüngste Debatten um die Einführung eines möglichen Pflichtdienstes reichlich sonderbar. Öffentlichkeitswirksam sprach sich bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Einführung eines solchen einjährigen Dienstes aus. Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ist sich sicher: „Wir leben in einer veränderten Zeit und vielleicht gehört zur Zeitenwende auch, daß jeder junge Mensch ein Jahr für die Allgemeinheit aufbringt.“ Auch die CDU will nun nachlegen. Auf ihrem Parteitag am 9. und 10. September in Hannover soll über die Einführung eines einjährigen Plichtdienstes debattiert werden. „Große Teile der Bevölkerung über alle Altersgruppen hinweg haben Sympathie dafür“, weiß Parteichef Friedrich Merz.
„Die @CDU wird voraussichtlich auf dem #Parteitag in Hannover über eine allgemeine #Dienstpflicht diskutieren. Große Teile der Bevölkerung über alle Altersgruppen hinweg haben Sympathie dafür. Aber es gilt, auch kritische Argumente in die Diskussion einzubeziehen.“ ™ #MerzMail
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) August 21, 2022
Pflichtdienst für die Gemeinschaft
Der Staat versucht sich also angesichts jahrzehntelangen Lohndumpings in der Privatwirtschaft und konstant hohem Niedriglohnsektor ausgerechnet mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger aus der Affäre zu ziehen, um das Versagen abzuwälzen: Ihr sollt schließlich auch mal etwas für die Gesellschaft leisten, schallt es von oben herab. Den Kopf hinhalten soll eine junge Generation, die gezwungen wird, „für lau“ die Jobs zu übernehmen, die die Verantwortlichen nicht mehr vernünftig bezahlen wollen oder können. Nachrückenden Generationen werden kaputte politische und gesellschaftliche Zustände hinterlassen – und dafür sollen sie auch noch zur Verantwortung gezogen werden.
Selbst viele ältere Konservative stehen dem Vorschlag grundsätzlich positiv gegenüber. Aufgeführt werden ähnliche Gründe, sprich: der hehre Dienst an der Gemeinschaft. Dieselbe bürgerliche Gemeinschaft also, die jeden jüngeren Abweichler – eingehegt und angetrieben durch die „woke“ Maschinerie aus staatlicher, zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Vielfaltspropaganda – in jeder anderen politischen Sachfrage verspottet, ausgrenzt und aktiv bekämpft. Längst hat sich eine kaum zu bezwingende staatliche-private Chimäre gebildet, in der sich die vielgepriesene „Gemeinschaft“ zunehmend fragmentiert hat und durch die Massenmigration auch immer weiter zersplittern wird. Was trägt eine Gesellschaft in die Zukunft, wenn es keine gemeinsame Vision mehr gibt? Der müde „Verfassungspatriotismus“ einer linksliberalen Elite? Wohl kaum.
Thorsten Hinz schrieb kürzlich davon, daß „die nationale und politische Selbst- und Seinsvergessenheit sämtliche Institutionen und Begriffe transzendiert“ hat, namentlich: „Demokratie, Grundgesetz, Diskurs, Meinungsfreiheit, Verfassungsschutz.“ In diesem Umfeld nun also an die Gemeinschaft zu appellieren, wirkt abwegig, denn in Zeiten der radikalen Spaltung lebt der Konservative ohnehin in einer „Parallelgesellschaft“ (David Engels). Seine einstmaligen Bastionen wurden oder werden von der „woken“ Ideologie geschliffen und anschließend einverleibt – eine nach dem anderen. Ob es die bürgerliche Parteienlandschaft ist, die Chefetage großer DAX-Konzerne, die Kirchen oder bloß die Begeisterung für die Fußball-Nationalmannschaft. Jeder noch so kleine Lebensbereich wird politisiert, weshalb auch ein einjähriger Pflichtdienst für eben jene nach „woken“ Glaubenssätzen zusammengehaltene Gemeinschaft natürlich immer politisch ist.
Der Staat ist Beuteprojekt
Dabei sehen jüngere Generationen bereits jetzt die Ungerechtigkeit, die vielen hart arbeitenden Frauen und Männern entgegenschlägt. Es lohnt sich ganz einfach nicht mehr für ein geringes Gehalt arbeiten zu gehen, wenn andere durch staatliche Alimentation vollversorgt werden, keine Sanktionen bei einer Arbeitsverweigerung befürchten müssen und 40 Stunden in der Woche mehr Freizeit genießen. Diese moralisch verwerfliche Verhaltensweise ist im Grunde rein ökonomisch.
Im vergangenen Jahr sahen sich bereits knapp 700.000 Menschen über 65 Jahren dazu genötigt, die sogenannte Grundsicherung zu beantragen. Dafür muß das gesamte Einkommen einer Person unter 924 Euro liegen. Die Zahlen werden zwangsläufig zunehmen. Am Ende des Tages wartet eben niemand mehr, der einem für all die geleistete Arbeit dankbar die Hand schüttelt. Das merken junge Leute.
Der Staat hat sich zu einem reinen Beuteprojekt für „woke“ Identitätsgruppen und die herrschende linksliberale Klasse gewandelt. Er besitzt keine höhere Gestalt mehr, er strebt nach nichts. Die einzige Hoffnung auf Veränderung ist, so scheint es zumindest derzeit, daß die Utopie an der Realität scheitert. Doch in einen falschen Patriotismus einzusteigen und die Jugend für jahrzehntelange Verfehlungen büßen zu lassen, nur um das jetzige Sozialsystem noch ein paar Jahre länger am Leben zu halten, anstatt es von Grund auf zu ändern, das sollte keinem Konservativen genügen.