Seit einiger Zeit taucht auf Twitter immer wieder der Hashtag „IchHabeMitgemacht“ auf. Nutzer versehen mit diesem Schlagwort Beiträge, in denen sie an Äußerungen öffentlicher Personen während der Pandemie erinnern – darunter einige teils hetzerische Äußerungen, die sich vor allem gegen Menschen richteten, die sich nicht gegen das Coronavirus impfen ließen.
Der Journalist Burkhard Müller-Ullrich hat auf einer eigenen Webseite ein ganzes „Archiv für Corona-Unrecht“ angelegt. Da ist zum Beispiel Altbundespräsident Joachim Gauck, der Ungeimpfte laut Medienberichten als „Bekloppte“ beleidigte. Oder Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans, der lässig erklärte, Ungeimpfte seien „jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben“. Oder auch Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, der von der „Tyrannei der Ungeimpften“ fabulierte.
„Welt“: „Verbale Entgleisungen“ gegen Ungeimpfte
Am Dienstag berichtete nun die Welt auf ihrer Webseite über den Hashtag #IchHabeMitgemacht. Die Autorin des Textes stammt offenbar aus der hauseigenen „FreeTech Academy“ (Axel Springer Akademie) und hat – sofern es nicht eine zweite Person mit demselben Namen gibt – in der Vergangenheit auch in der Schweizer Weltwoche kritische Beiträge zur Impfpolitik publiziert.
Der aktuelle Artikel kritisierte bereits im Vorspann „etliche verbale Entgleisungen gegenüber Ungeimpften“. Um die Impfquote zu erhöhen, sei „einigen jedes Mittel recht“ gewesen, schrieb die Autorin. Der Kolumnistin Sarah Bosetti attestierte sie, sich der „Sprache der Nationalsozialisten“ bedient zu haben. Bosetti hatte eine Spaltung der Gesellschaft gutgeheißen und dabei auch von einem zu entfernenden „Blinddarm“ gesprochen.
Weiter zitierte der Welt-Artikel eine Iris P., die wegen der Kampagne gegen Ungeimpfte von „Übelkeit, Zittern, Schlaflosigkeit und Angst“ bei sich selbst berichtete; und ein ungeimpftes Paar, das von „Wut, Sorge und Fassungslosigkeit“ wegen der Ausgrenzung Ungeimpfter sprach. Nach eigener Angabe fragte die Autorin zudem mehrere Politiker dazu an, wie sie heute über die eigenen Äußerungen aus der Vergangenheit dächten.
Digitalchef habe Text gelöscht
Der Artikel wurde in den sozialen Netzwerken schnell verbreitet, doch so richtig Aufmerksamkeit bekam er erst später: nämlich, als die Welt-Redaktion den Text schon nach wenigen Stunden von der Webseite entfernte. Seitdem bekommen Nutzer unter dem entsprechenden Link nur noch eine Fehlermeldung angezeigt.
Ein Artikel der @welt wurde drei Stunden nach seinem Erscheinen wieder gelöscht.
Sein Thema: Die Twitter-Aktion #IchHabeMitgemacht
🍿🍿🍿
— Tom Bohn (@realTomBohn) April 12, 2022
Die Pressestelle von Axel Springer bestätigte auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT, daß der Text gelöscht worden sei, und zwar „vom Digitalchef“. Als Grund gab eine Sprecherin an, daß der Artikel „nicht den Qualitätskriterien von Welt entsprach“. Weitere Nachfragen zu detaillierten Gründen und dazu, ob der Artikel in überarbeiteter Form wieder online gehen werde, blockte sie ab: „Bitte haben Sie Verständnis, daß wir dazu nicht mehr sagen.“
Auf zahlreiche Nutzeranfragen bei Twitter hat die Welt-Redaktion bislang nicht reagiert. Der Beitrag, mit dem sie den inzwischen toten Link zum Artikel bei Twitter verbreitete, wurde nicht gelöscht. Der Welt-Autor Tim Röhn, der für seine Corona-kritische Berichterstattung bekannt ist, hat einen Post zu dem Text hingegen entfernt.
Hallo @welt, wieso habt Ihr den Artikel: „Beleidigungen gegen Ungeimpfte“ von Eurer Seite gelöscht? https://t.co/vPePSDS6gn#IchHabeMitgemacht pic.twitter.com/j0cA34dd6n
— Heimatgefühl 🙏🕊️ (@HeimatliebeDE) April 12, 2022
„Welt“ berichtet immer wieder kritisch über Corona-Politik
So kann man nur darüber spekulieren, welche Gründe genau zu der Löschung geführt haben – schließlich setzt sich die Welt schon länger kritisch mit der Corona-Politik auseinander – und warum der Text überhaupt online ging, wenn er den Welt-Qualitätsstandards widersprach. Offensichtliche Fehldarstellungen sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. An der einen oder anderen Stelle wirkt der Text etwas holprig, aber das ist rein subjektiv und dürfte kaum die Entfernung des gesamten Artikels begründen.
Tatsächlich weg ist der Beitrag freilich nicht, denn das Internet vergißt bekanntlich nie. Eifrige Nutzer haben den Text umgehend archiviert: Über Archivportale ist er daher nach wie vor abrufbar.