Zahnärzte sind eine unscheinbare Spezies. Sie heilen weder Krebs, noch operieren sie am offenen Herzen. Vielmehr kümmern sie sich um die dritten Zähne von alten Leuten oder um Karies bei putzfaulen Jugendlichen. Für die meisten Menschen klingt das ziemlich langweilig.
So verwundert es nicht, daß Zahnärzte und ihre Angestellten zunächst einfach vergessen wurden, als die Corona-Pandemie vor zwei Jahren Deutschland erreichte. Zunächst hieß es aus den Landesregierungen, die Zahnarztpraxen sollten ihre Tätigkeiten auf „dringend notwendige Maßnahmen reduzieren“. Diese Anweisung ließ sich natürlich nicht umsetzen, weil Zahnbehandlungen genauso wichtig waren, wie jede andere ärztliche Leistung. Der hinter diesen Entscheidungen stehende Zweifel an der Wichtigkeit der Zahnmedizin war mehr als offenkundig.
Dieser Zweifel trieb schon bald neue Blüten. So wurde zum Beispiel oftmals vergessen, die Zahnarztpraxen mit genug Schutzkleidung zu versorgen. Auf die Zahlung einer Hygienepauschale, um etwa den Bedarf an Masken zu decken, konnten sich die Mediziner nur mit den privaten Krankenkassen einigen. Und auch die Zulassung des Corona-Zuschlags für zahnmedizinische Fachangestellte verlief schleppend, ganz zu schweigen von ihrer Einstufung als systemrelevante Berufsgruppe und dem sich daraus ergebenen Anspruch auf Notbetreuung ihrer Kinder. Es ging ja schließlich nur um Zahnärzte. Die konnten einem schon mal bei dem ganzen Pandemie-Rummel entfallen. Die Bundes-Zahnärztekammer mußte sich in der Pandemiebekämpfung am Ende meistens selbst helfen.
Dabei waren es gerade Zahnmediziner, die in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren andauernd in den weit offenstehenden Rachen ihrer Patienten hineinschauen mußten – also geradewegs dorthin, wo die Viren herkommen. „Bei Corona arbeiten wir andauernd an vorderster Front“, betont Thorsten Wegener. Er ist Zahnarzt in einer ostdeutschen Kleinstadt.
„Die Impfpflicht steht allem entgegen, was ich unter Freiheit verstehe“
Seine Praxis in der Nähe des historischen Stadtzentrums führt er schon seit fast dreißig Jahren. Das Wartezimmer ist gemütlich eingerichtet. An der Wand prangt der gewaltige Kopf eines ausgestopften Löwen. Mit Corona seien der Belegschaft ganz neue Aufgaben zugewachsen, erläutert der hochgeschossene Mann mit der kleinen, runden Brille. „Wir versuchen unseren Patienten wenigstens für die Dauer des Zahnarztbesuchs ein Stück weit Normalität zurückzugeben.“
Die im Dezember vergangenen Jahres vom Bundestag beschlossene Impfpflicht für medizinisches Fachpersonal bereitet ihm große Sorgen. Die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes hat zur Folge, daß alle Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen bis zum 15. März vollständig geimpft sein müssen, wenn sie ihren Beruf weiter ausüben wollen. Bei Zuwiderhandlung droht ein Berufsverbot vonseiten des Gesundheitsamtes und ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro. „Ich bekomme Bauchschmerzen, wenn ich an die Impfpflicht denke“, seufzt der Arzt.
Er selbst sowie die Hälfte seiner acht Angestellten seien nicht geimpft, da sie bereits nachweislich natürliche Antikörper hätten. Im Fall der Fälle könne er nicht weiterarbeiten, da eine natürliche Immunität nicht anerkannt werde.
Im Thüringischen Triebes hatte ein Zahnarzt zuletzt seine 18köpfige Praxis aufgelöst, weil er die nahende Impfpflicht nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Auf die Frage, ob er sich einen ähnlichen Schritt vorstellen könne, antwortet Wegener geradeheraus: „Ja! Ganz klar. Darüber denke ich nach. Die Impflicht steht all dem entgegen, was ich unter Demokratie und Freiheit verstehe.“ Er habe eine humanistische Bildung genossen, setzt er hinzu. Diese Art von Zwang stelle alles infrage, woran er glaube.
Versorgungsdefizit verschärft sich
Wegener ist in den östlichen Bundesländern bei Weitem kein Einzelfall. In Sachsen beispielsweise rechnet jeder zweite Zahnarzt mit Kündigungen, sobald die Impfpflicht für medizinisches Fachpersonal in Kraft tritt. Die Landeszahnärztekammer im Freistaat hatte zuletzt bei 2.570 Praxen um eine Lageeinschätzung gebeten.
Das Ergebnis: 25 Prozent der Zahnärzte und 40 Prozent der Praxis-Mitarbeiter sind nach wie vor ungeimpft. Mehr als die Hälfte der angesprochenen Zahnmediziner gehen wegen der drohenden Massenentlassungen ab März von einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit vieler Zahnarztpraxen in Sachsen aus. 273 Mediziner im Land ziehen wegen der Impfpflicht sogar eine Praxisschließung in Betracht. Landeszahnärztekammer-Präsident Thomas Breyer forderte deshalb in einen Brief an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine allgemeine Impfpflicht, um den Weggang des ungeimpften Personals in andere Branchen zu verhindern.
In seiner eigenen Stadt würden sich laut Wegener noch mindestens drei weitere Ärzte überlegen, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Er rechnet vor: Ein Zahnarzt könne sich um ungefähr 1.500 bis 2.000 Menschen kümmern. Sollten seine drei Kollegen ernst machen, stünde der Ort deshalb vor einer kleinen Katastrophe. Ganze Straßenzüge müßten dann quasi über Nacht auf zahnmedizinische Versorgung verzichten. Den älteren Kollegen, die sowieso bald in Rente gehen, falle dieser Schritt vergleichsweise leicht. „Aber die Jüngeren stehen vor dem Nichts.“
Wenn er recht hat, schadet die Impfpflicht der medizinischen Versorgung also, anstatt sie zu verbessern. Doch für Wegener stecken Mediziner bei der Impfpflicht auch in einer ethischen Zwickmühle. Schließlich hätten sie alle den hippokratischen Eid geschworen, der sie verpflichte, kranken Menschen zu helfen. Deshalb könne man als Arzt nicht einfach so das Handtuch werfen, auch wenn man der Corona-Schutzimpfung skeptisch gegenübersteht.
Darüber hinaus will der ostdeutsche Zahnarzt seine Heimat nicht im Stich lassen. Die Menschen seien oftmals schon recht alt, merkt er an. Da sei der Bedarf an Zahnärzten sowieso schon erhöht. Außerdem leide die gesamte Region unter der Abwanderung des medizinischen Nachwuchses, der lieber in der Stadt als auf dem Land arbeiten wolle. Seine älteren Kollegen fänden deshalb einfach keine Nachfolger mehr. „Das ist wirklich gruselig. Und wir Zahnärzte stehen dieser Entwicklung komplett hilflos gegenüber“, platzt es bei dem Gedanken aus ihm heraus.
Impfkampagnen überzeugen kaum noch jemanden
Die andauernde Impfkampagne sieht der Arzt skeptisch. „Hier kann nur noch ein verschwindend geringer Teil der Menschen von der Impfung überzeugt werden“, stellt er fest. Dabei beschäftigten sich Impf-Skeptiker seiner Meinung nach durchaus auch mit den Gefahren von Corona. Zu seiner Überraschung seien sie meist sogar besser über medizinische Zusammenhänge informiert als so mancher Impf-Befürworter.
Aber auch viele seiner geimpften Patienten fühlten sich mittlerweile von den andauernden Corona-Maßnahmen betrogen. Er höre solche Klagen immer wieder in seinem Behandlungszimmer, auch wenn er bei der Arbeit sonst nur selten über Corona rede.
Für den ostdeutschen Arzt ist die Impfpflicht ein Damoklesschwert, das über ihm, seiner Praxis und letztlich auch über seiner Heimatstadt schwebt. Aus seiner Sicht drohen dutzende von Medizinern, in die Arbeitslosigkeit zu rutschen. Hunderte von Menschen könnten dadurch ihren Hausarzt verlieren. Gerade im strukturschwachen Osten ist das eine bedenkliche Aussicht.
„Bei uns kommt keiner rein, der nicht geimpft ist“
Ganz anders denkt Rolf Fischer aus Frankfurt am Main über die Impfpflicht. Für ihn stellt sie kein ethisches Dilemma dar. Wie Wegener leitet er seine Praxis schon seit Jahrzehnten. Er empfängt seine Patienten in einem gutbürgerlichen Altbauviertel der Mainmetropole. Auch er hat im Laufe der Jahre viele Stammpatienten für sich gewinnen können. Fischer läßt sich gerne auf einen Plausch ein. Aber anders als sein ostdeutscher Kollege hält er nichts von Impfverweigerern. „Bei uns kommt keiner rein, der nicht geimpft ist. Es sei denn, es handelt sich wirklich um einen Notfall“, stellt der stämmige Mann gleich zu Anfang klar.
„Mindestens 98 Prozent meiner Patienten begrüßen die Corona-Maßnahmen jedenfalls“, setzt Fischer noch hinzu. Dennoch: Seit Pandemie-Beginn würden so wenige Patienten zur Behandlung wie nie zuvor in seiner Praxis erscheinen. „Das ist seit Corona aber ganz normal bei uns“, fügt er gleich darauf hinzu. Die Menschen hätten schlicht und einfach Angst davor, sich anzustecken. Manchmal müßte er die Leute sogar extra anrufen, um für Routinebesuche zu werben.
Für den Frankfurter ist die Impfung ein moralischer Imperativ. Sie zu hinterfragen oder gar ein Problem daraus zu machen, würde ihm nicht in den Sinn kommen. Unmoralisch ist für ihn vielmehr, sich nicht impfen zu lassen. Deshalb lacht er beim Thema „Praxisschließung“ nur. Das sei für ihn kein Thema.
Jenseits aller ethischen Fragen gibt allerdings auch Fischer zu Bedenken, daß eine Impfpflicht wahrscheinlich negative Folgen für die medizinische Grundversorgung nach sich ziehen würde. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es derzeit nämlich kein zahnmedizinisches Fachpersonal. Man könne sich also schlichtweg nicht leisten, jemanden wegen fehlender Impfungen rauszuwerfen.
In diesem Punkt herrscht also Konsens zwischen dem Impfbefürworter aus Frankfurt und dem Impfskeptiker aus Ostdeutschland. Ein Konsens, der nachdenklich stimmt – schließlich sind sich die beiden darin einig, daß Ärzte gehen werden, wenn die Impfpflicht ab dem 16. März gilt.