Vom einstigen SPD-Chef Franz Müntefering stammt der Satz „Opposition ist Mist!“ Das könnten andere machen, er wolle lieber regieren. Daß es aber durchaus Vorteile haben kann, auf der Oppositionsbank zu sitzen, zeigt derzeit einmal mehr die Linkspartei mit dem Entwurf ihr Bundestagswahlprogramm.
Auf 137 Seiten zeichnen die Genossen darin ihr Traumbild einer neuen Gesellschaft. Keine Forderung erscheint zu irrwitzig, um sie nicht doch zu formulieren, keine Minderheit zu klein, als daß man deren Partikularinteressen nicht zur Richtschnur für die Allgemeinheit erheben sollte. Und das Beste daran: In die Verlegenheit, sich Gedanken über die Umsetzbar- oder gar Finanzierbarkeit des Ganzen zu machen, wird die Linke mit Blick auf die Umfragewerte kaum kommen. Um so unbeschwerter läßt sich das linke Narrenschiff Utopia zimmern, auf dem dann ein jeder in eine glückliche Zukunft mit Wohlstand und Frischluft für alle segeln kann.
Damit diese Zukunft auch Realität wird, müssen allerdings noch ein paar politische und gesellschaftliche Schräubchen gedreht werden. Da wären zum Beispiel die Themen Bundeswehr und Rüstungsexporte. Letztere will die die Linkspartei perspektivisch komplett verbieten, zumindest für Deutschland. Der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen macht der Partei dagegen keine großen Sorgen, es könnten ja schließlich neue geschaffen werden.
Umbau der Bundeswehr ohne Angriffswaffen
Wie das geht, weiß man auch schon ganz genau: „Wir wollen mit gesellschaftlichen Partner*innen aus Gewerkschaften, Friedensbewegung und Kirchen Konversionsprogramme für die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie entwickeln“, heißt es im Wahlprogramm. Damit fortan die Entwicklung neuer Waffensysteme in Deutschland zudem gebremst und gehemmt wird, sollen „Förderprogramme in der Wirtschaft sowie für Forschung an den Hochschulen“ nach dem Willen der Linken „nur noch der zivilen Produktion dienen“.
Als weiteren Stolperstein auf dem Weg in den Frieden hat die Partei die Bundeswehr ausgemacht. Diese müsse deshalb schleunigst umgebaut werden. Denn der Preis für eine „hochgerüstete“ Armee sei das Fehlen von Steuermilliarden beim „Ausbau des Gesundheitssystems, in die soziale Infrastruktur, in Bildung, in Klimaschutz“.
Die Aufrüstung der Bundeswehr gehe außerdem immer einher mit einer Militarisierung der Gesellschaft. Deshalb müsse nicht nur die Wehrpflicht endgültig abgeschafft werden, sondern auch die gesamte Bundeswehr weg von der Einsatzarmee rein zur „Defensivverteidigung“ ausgerichtet werden. Angriffswaffen gehörten dabei an erster Stelle abgeschafft.
Gegen die Militarisierung des Weltalls
Das KSK müsse wegen seiner „rechten Netzwerke“ aufgelöst und sämtliche Streitkräfte mit Hilfe einer Studie zu Rassismus und rechtem Gedankengut durchleuchtet werden. Auch dürfe die Bundeswehr, wenn es nach der Linken geht, künftig nicht mehr an Jobcentern, Schulen und Hochschulen um Nachwuchs werben. „Kein Werben fürs Sterben!“ lautet die Devise.
Doch damit nicht genug, denn die Bundeswehr ist schließlich nicht die einzige Armee auf der Welt. Deshalb fordert die Linke nicht weniger als die „Auflösung der Nato“. Solange das noch nicht umgesetzt sei, trete man zumindest für den Austritt Deutschlands aus dem Verteidigungsbündnis ein. Dieses diene nämlich längst nicht mehr nur der Verteidigung seiner Mitglieder.
Vielmehr baue die Nato in Ramstein derzeit ein „Weltraumcenter“ auf, in dessen Zuständigkeit nicht nur der Schutz wichtiger Satelliten falle, sondern auch die militärische Angriffsfähigkeit im Weltall. Daher sei klar: „Die Linke lehnt die Militarisierung des Alls ab.“
Daß nicht jeder Friede kampflos zu erzwingen ist, weiß allerdings auch sie. Manche Kämpfe müßten ganz einfach geführt werden. Zum Beispiel der „Kampf gegen Rechts“ – immer und überall. Hierfür stehe die Linke, „auf der Straße, in den Betrieben, in den Parlamenten“. Eben diesen Kampf gelte es auf allen Eben zu unterstützen. „Ziviler Ungehorsam“ gehöre zum demokratischen Protest und dürfe nicht kriminalisiert werden.
Integration als beidseitiger Prozeß
Die „Gegenkräfte in der Zivilgesellschaft“ müßten gestärkt und Projekte gegen Rechtsextremismus sowie „Antifa-Initiativen“ durch ein Demokratiefördergesetz langfristig finanziert werden. Dabei dürfe es auch keinen Kooperationszwang mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz geben. (Letzterer soll – so wie alle Geheimdienste – ohnehin abgeschafft und durch eine „Beobachtungsstelle Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” ersetzt werden.)
Darüber hinaus müsse man „den Rechten den sozialen Nährboden entziehen“. Dies gehe am besten mit einer sozialen Politik für alle Menschen mit gleichen Rechten für alle – kurz: mit der solidarischen Einwanderungsgesellschaft.
„Einwanderung“, beschwört die Linke in ihrem Programmentwurf, sei „keine Bedrohung, sondern Alltag für Viele, Chance für unsere Gesellschaft und Recht jedes einzelnen Menschen“. Deutschland sei so vielfältig wie noch nie. „Wir leben, lieben und arbeiten zusammen“, schwärmt die Partei.
Das bedeutet aber nicht, daß Deutschland schon vielfältig genug sei und über ausreichend Einwanderung verfüge. Deshalb brauche es „offene Grenzen für alle Menschen in einem solidarischen Europa“ sowie sichere Fluchtwege statt Mauern. Integration sei keine Bringschuld der einzelnen, sondern ein beidseitiger Prozeß. Alle Menschen, die in Deutschland lebten, müßten „rechtlich, politisch und sozial gleichgestellt werden“.
Wohnungen für alle Flüchtlinge
Dazu zähle auch das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen sowie ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach fünf Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik. Abschiebungen hingegen lehne man ab, und zwar auch die von kriminellen und straffällig gewordenen Ausländern.
„Opferlose Vergehen“ wie „illegale Einreise“ müßten entkriminalisiert werden. Migranten seien kein Sicherheitsproblem. Es müsse endlich Schluß sein mit dem „institutionalisierten Mißtrauen“. Die Zuständigkeit für Migration und Integration solle deshalb dem Innenministerium entzogen und in einem gesonderten Ministerium gebündelt werden.
Deutschland müsse außerdem mehr in die Versorgung und Integration von Einwanderern und Flüchtlingen investieren. „Geflüchtete wollen wir bundesweit dezentral und in Wohnungen unterbringen und ihnen flächendeckend kostenlose Sprachkurse anbieten. Statt diskriminierender Sach- wollen wir reguläre Geldleistungen auf Höhe der solidarischen Mindestsicherung für alle Menschen.“
Einen weiteren Schwerpunkt im Entwurf für das Programm zur Bundestagswahl der Linkspartei bildet das Thema „Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Vielfalt der Geschlechter“. Hier gebe es erheblichen Nachbesserungsbedarf. So sei für die „Wirtschaft, Wissenschaft und Politik“ eine „echte Frauenquote in Führungspositionen von 50 Prozent“ zwingend notwendig. Zu ungleich seien bislang „Geld, Zeit, Anerkennung und Macht zwischen den Geschlechtern“ verteilt.
Künstliche Befruchtung für alle
Auch deshalb müsse die Sozial- und Haushaltspolitik „auf ihre Geschlechtergerechtigkeit hin geprüft und entsprechend verändert werden im Sinne eines Gender-Budgeting“. Die deutsche Außenpolitik müsse nicht nur die Geschlechtergerechtigkeit weltweit voranbringen, sondern die deutsche Klimapolitik müsse auch „gendergerecht sein“.
Der Kampf für die Rechte von Frauen begrenze sich jedoch nicht nur auf Länder wie Brasilien, Polen, Indien oder Nigeria. Auch in Deutschland gebe es hier dringend Verbesserungspotential. Um selbstbestimmt leben zu können, müßten Frauen echte Wahlmöglichkeiten haben, zum Beispiel ob sie sich für oder gegen Kinder entschieden.
Das beinhalte zum einen den „legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen“ sowie die Übernahme der Kosten sämtlicher Verhütungsmittel durch die Krankenkassen und zum anderen künstliche Befruchtungen für alle. Diese müßten auch „nicht verheirateten, lesbischen und Single-Frauen*“ zur Verfügung stehen, inklusive Finanzierung durch die Krankenkassen. Getreu dem Motto: „Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht“ setzt sich die Linke für die rechtliche Gleichstellung „vielfältiger Lebensweisen“ ein.
„Inklusive und klimagerechte Gesellschaft“
Die Partei wirbt deshalb für ein „Wahlverwandtschaftsrecht“, in dem nicht nur Zweierbeziehungen Verantwortung für sich übernehmen dürften, sondern „jede Gemeinschaft, die sich einander verbunden fühlt. Dies kann auch eine mehr als zwei Personen umfassende Beziehung meinen (z.B. eine Mehrelternfamilie mit zwei lesbischen Müttern und zwei schwulen Vätern).“ Diesen Menschen müsse auch ein Adoptionsrecht sowie Aussageverweigerungsrecht eingeräumt werden.
Die „Eltern-Kind-Zuordnung“ wolle man dahingehend reformieren, daß lebsiche und schwule Lebensgemeinschaften heterosexuellen Partnerschaften gleichgestellt würden. Dies beinhalte auch die rechtliche Anerkennung der Co-Elternschaft sowie von trans*- und intergeschlechtlichen Eltern“.
Ziel sei nicht weniger als eine „lebenswerte, inklusive und klimagerechte Gesellschaft“. Dafür kämpfe die Linke. Für die Teilhaber aller „am gesellschaftlichen Reichtum“ auf einem „lebensfähigen Planeten, mit guter Luft zum Atmen“.