Außen preußisch, innen sozialistisch – so wollte die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR sein. Doch nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg stand der Arbeiter- und Bauernstaat, der 1949 von Moskaus Gnaden aus der sowjetischen Besatzungszone entstanden war, ähnlich wie der westdeutsche Konkurrent vor einem Problem: Wieviel Wehrmacht durfte noch in den neuen Streitkräften stecken?
Es war klar, daß der Aufbau einer neuen Armee nur mit Männern möglich war, die bereits das Feldgrau der Wehrmacht getragen hatten und Veteranen des Zweiten Weltkriegs waren. Für die DDR, die den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhob, war es natürlich heikel, ehemaligen Soldaten des Dritten Reiches wieder unter Waffen zu stellen.
Doch zunächst verzichtete Ost-Berlin auf eine reguläre Armee. Im Juli 1952 baute die SED die sogenannte Kasernierte Volkspolizei auf. „Damit begann de facto der Aufbau einer Armee, auch wenn sie aus politischen Gründen noch nicht so heißen durfte“, bewertet der Historiker Sönke Neitzel diesen Prozeß in seinem Buch „Deutsche Krieger“, das einen Überblick über die deutsche Militärgeschichte vom Kaiserreich bis zur Gegenwart bietet.
NVA bemühte sich um ein möglichst deutsches Erscheinungsbild
Ab 1955 leistete die Sowjetunion ihrem sozialistischem Bruderstaat Aufbauhilfe, um aus der Polizeitruppe eine Armee zu machen. Den personellen Grundstock legten dabei Wehrmachtssoldaten, die in russischer Kriegsgefangenschaft an „antifaschistischen Frontschulen“ ideologisch bearbeitet worden waren, wie Hans Wulz. Er machte nach seiner Rückkehr in der DDR Karriere und wurde einer der ersten Generale der NVA.
Aber es gab auch andere Biographien, die anders verliefen. Männer wie Walter Breitfeld oder Friedrich Dickel kämpften im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der kommunistischen Internationalen Brigaden. Sie standen ebenfalls an der Wiege der NVA und stiegen wie Dickel bis zum Armeegeneral auf.
Am 18. Januar 1956 erfolgte die offizielle Gründung der NVA. Pikanterweise handelte es sich dabei um den Jahrestag der Deutschen Reichsgründung 1871. Unabhängig davon, ob das Datum bewußt gewählt worden war, die Armee war bemüht, sich als Teil der deutschen Militärtradition zu präsentieren.
Das sollte bereits an Äußerlichkeiten deutlich werden. In Abgrenzung zu der als „US-Söldnern“ geschmähten Bundeswehr mit ihren amerikanisch anmutenden Uniformen setzte die NVA auf Schaftstiefel, Reithosen, Kragenspiegeln und Schulterstücken, die an Wehrmacht und Reichswehr erinnerten. Zudem übernahm sie den 1945 nicht mehr eingeführten Wehrmachtstahlhelm, der zum unverwechselbaren Kennzeichen der NVA werden sollte.
Die NVA war zunächst eine Freiwilligenarmee
Auf diese Weise habe die SED auch konservative Bürger für die sozialistische Idee gewinnen wollen, deutet Neitzel die Ausstattung. „Moskau hatte explizit zu diesem Schritt ermutigt.“ Der Anschub aus dem Kreml scheint nicht überraschend. Denn die DDR-Führung war durch den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zutiefst verunsichert, wieviel Rückhalt sie überhaupt im Land genoß.
Daher verzichtete das Regime von SED-Chef Walter Ulbricht zunächst auf eine Wehrpflicht. Statt dessen sollten Freiwillige zum Schutz des Arbeiterparadieses in die Kasernen einrücken. Besonders das Offizierkorps sollte ideologisch zuverlässig sein. Daher waren diese bis auf wenige Ausnahmen SED-Mitglieder. Erst im Jahr des Mauerbaus 1961 wurde der Waffendienst zur Pflicht.
Struktur, Ausrüstung und Taktik übernahm die NVA von der Sowjetunion. Sie gliederte sich in das Kommando Landstreitkräfte in Geltow bei Potsdam, der Luftstreitkräfte in Strausberg, der Volksmarine in Rostock und der Grenztruppen in Pätz. Bis Mitte der sechziger Jahre erreichte sie die geforderte Sollstärke von knapp 170.000 Mann und verfügte mit 1.600 Panzern und 700 Geschützen laut Neitzel über eine „beachtliche Feuerkraft“.
Der Kampf gegen die Bundeswehr blieb Theorie
Ihre Leistungsfähigkeit wurde angesichts der Teilnahme an Großmanövern des Warschauer Pakts als gut bewertet. Die NVA galt wegen ihres Ausbildungsstandards und ihrer Disziplin als eine der schlagkräftigsten Armeen des sowjetischen Verteidigungsbündnisses – obwohl sie wegen finanzieller Engpässe oft nicht die beste Ausrüstung von Moskau beziehen konnte.
Wie die Bundeswehr mußte die NVA ihren Kampfwert während des Kalten Krieges nicht im Ernstfall unter Beweis stellen. So blieb auch das Szenario einer militärischen Konfrontation der Streitkräfte der beiden deutschen Teilstaaten an der gemeinsamen Grenze glücklicherweise nur ein Planspiel der jeweiligen Strategen. Ab 1990 wurden die NVA schrittweise aufgelöst und in Teilen in die Bundeswehr übernommen.