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Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig: Mehr Lücken als Antworten

Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig: Mehr Lücken als Antworten

Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig: Mehr Lücken als Antworten

AfD-Demonstration
AfD-Demonstration
AfD-Demonstration vergangenen September in Rostock (Archivbild) Foto: picture alliance/Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa
Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig
 

Mehr Lücken als Antworten

Eine Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig bescheinigt Wählern der AfD ein hohes Gewaltpotential und Neigung zum Antisemitismus. Ein genauerer Blick auf die Erhebung weckt indes Zweifel an der Aussagekraft. Auch die Medienberichterstattung trägt ihr Scherflein zur Verzerrung bei. Eine Analyse von Lukas Mihr.
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Am Dienstag sorgte die Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig für Aufsehen. Die Erhebung unter Leitung des Soziologen Oliver Decker bescheinigt Wählern der AfD ein Abgleiten in anti-demokratisches Denken. Antisemitische, anti-islamische und autoritäre Deutungsmuster seien weit verbreitet. Viele Bürger wählten die AfD nicht trotz, sondern wegen dieser Positionen.

Schon andere Studien waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, krankten aber an methodischen Schwächen. Und erneut zitierten zahlreiche Medien die Studie selektiv und verzerren so deren Aussagekraft. In einer Telefonumfrage wurden knapp 2.500 Personen nach ihrem Wahlverhalten, demographischen Kenndaten und Zustimmung zu verschiedenen autoritären Positionen befragt.

Werte anderer Parteien wurden weggelassen

So kommt die Studie zum Ergebnis, 20 Prozent der AfD-Wähler seien gewaltbereit und 35 Prozent zumindest geneigt, Gewalt durch andere zu tolerieren, wenn sie ihren politischen Interessen dient. Weitere 35 Prozent hingen Verschwörungstheorien an. 81 Prozent der AfD-Wähler fühlten sich durch islamische Einwanderung „fremd im eigenen Land“, 74 Prozent meinten, daß diese Einwanderung unterbunden werden solle.

Natürlich sind derartige Aussagen über Gewaltbereitschaft kein Ruhmesblatt – doch fällt auf, daß in den Medien die entsprechenden Daten für die Anhänger der anderen Parteien meist nicht erwähnt wurden. Als selbst gewaltbereit stufen sich nämlich auch neun Prozent der Grünen-Wähler ein. Gewalt durch andere würden zwölf Prozent von ihnen tolerieren. Die Wähler anderer Parteien liegen meist zwischen den Werten für Grüne und AfD.

Wenig überraschend, schließlich kann die Antifa auf Rückendeckung durch rot-rot-grüne Parteien und große Teile der Medienlandschaft hoffen. Ebenso hängen 15 Prozent der Grünen-Wähler Verschwörungstheorien an. Die entsprechenden Werte für Überfremdung und einen Einwanderungsstopp liegen bei 41 beziehungsweise 24 Prozent.

AfD-Anhänger werden zu Antisemiten gemacht

Oft hieß es in den Meldungen über die Studie, mehr als die Hälfte der AfD-Wähler sei antisemitisch eingestellt. Dies gilt aber nur bei einer engen Interpretation der Fragestellung. Auf einer Skala von 1 bis 5, die von völliger Zustimmung bis hin zu völliger Ablehnung reicht, wurde auch der Mittelwert von 3 bereits als antisemitisch definiert.

30 Prozent der AfD-Wähler stimmen der Aussage, daß die Politik Israels Juden unsympathisch mache, ganz oder teilweise zu. Erst wenn man die 28 Prozent, die mit „teils/teils“ antworteten, hinzurechnet, werden die AfD-Anhänger mehrheitlich antisemitisch. Dieser Logik nach wären aber auch ein Viertel der Grünen-Anhänger Antisemiten.

Also läßt sich kaum die These vertreten, die AfD allein hätte das politische Klima in Deutschland gravierend verändert. Antisemitismus bleibt natürlich indiskutabel, aber warum sollte ausgerechnet eine skeptische Haltung gegenüber dem Islam antidemokratisch sein? Wer Parallelgesellschaften, Ehrenmorde und Terroranschläge mit Sorge betrachtet, ist noch lange kein Rassist.

Mehr Konfessionslose im Osten

Auch werden die Parteien nach Religionszugehörigkeit gestaffelt. Anhänger der Linkspartei, dicht gefolgt von der AfD, seien am häufigsten konfessionslos. Diese Angaben stimmen sicher, werden aber nicht genauer erklärt. So kann ein kausaler Zusammenhang zwischen Religion und politischer Präferenz bestehen, zwingend ist dies jedoch nicht. Beispielsweise könnte die Erklärung auch darin bestehen, daß Linke und AfD vor allem im Osten Deutschlands stark sind, wo viele Konfessionsfreie leben. 2016 kam eine Studie zum Ergebnis, Pegida-Demonstranten seien zu 60 Prozent konfessionslos. Das ist bei 36 Prozent Konfessionslosen in Deutschland sehr viel – bei 80 Prozent Konfessionslosen in Dresden und Umland jedoch eher wenig.

Ähnlich kann auch der Unterschied in der Gewaltbereitschaft zwischen Anhängern der AfD und der Grünen auf deren unterschiedlicher Geschlechterverteilung beruhen. So könnte die rund doppelt so hohe Gewaltbereitschaft der AfD-Anhänger gegenüber den Grünen-Anhängern auch durch die Tatsache erklärt werden, daß AfD-Wähler fast doppelt so häufig männlich sind wie Grünen-Wähler. Unter Männern allein würde sich dann in Bezug auf die Gewaltbereitschaft kein Zusammenhang mit der Parteizugehörigkeit mehr beobachten lassen. Solche Nuancierungen hätten ein ausgewogeneres Bild ermöglicht.

Bei genauerer Betrachtung der Studie fällt zudem auf: Unter allen Befragten mit Parteipräferenz würden 29 Prozent der SPD ihre Stimme geben – verglichen mit den Umfragewerten der Partei im Erhebungszeitraum ein unrealistisch hoher Wert. Dies legt nahe, daß auch andere demographische Variablen Verzerrungen aufweisen könnten. Deren Randverteilungen geben die Autoren entgegen aller Regeln der wissenschaftlichen Transparenz allerdings nicht einmal an, sodaß dies nicht unabhängig überprüft werden kann. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Studie unter großem Zeitdruck zusammengeschustert wurde, um möglichst zeitnah zum jüngsten Attentat von Hanau zu erscheinen: das Verbrechen wird im Fazit eigens erwähnt.

AfD-Demonstration vergangenen September in Rostock (Archivbild) Foto: picture alliance/Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa
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