An die Häuserreste sind viele Namen in Kreide geschrieben. Hinter den meisten steht ein Kreuz. Manchmal steht auch eine Adresse dahinter. Einmal heißt es in Pforzheimer Deutsch: „Wo sint Ihr?“ Dahinter in Blockschrift: „Alle tot“.
In den Tagen und Wochen nach dem alliierten Luftangriff auf das zuvor beschauliche Pforzheim sah die Szenerie vor Ort dramatisch aus, selbst für deutsche Verhältnisse des Frühjahrs 1945. Seit Wochen hatten die Luftstreitkräfte der Alliierten jede Hemmung fallenlassen und griffen Ort um Ort vernichtend an. Militärische Zwecke wurden kaum noch vorgetäuscht, in jeder deutschen Stadt ließ sich irgendein Vorwand finden. Immer wieder standen dabei die Stadtzentren besonders im Visier.
Nach Stunden entwickelte sich sogar ein Feuersturm
Beim Fall Pforzheim, das bis dahin weit hinten auf der Prioritätenliste gestanden hatte, wollte man nun kurz vor Kriegsende plötzlich in so gut wie jedem Haus eine Produktionsstätte für Präzisionsinstrumente entdeckt haben. Die sollten der Raketenproduktion zuarbeiten, namentlich der V2, Deutschlands letzter Zweitschlagswaffe. Damit ließ sich die Absicht „begründen“, die gesamte Wohnbebauung zu zerstören.
Für solche Zwecke wurde in vielen deutschen Städten damals versucht, einen „Feuersturm“ zu erzeugen, vor dem Einsatz der Atomwaffe die furchtbarste Form des Bombardements, die in den älteren deutschen Bebauungsstrukturen alles restlos erfaßte. In Pforzheim war dies am 23. Februar 1945 mit einer besonderen Perfektion gelungen. Von deutscher Luftabwehr so gut wie ungestört und dank eigener Ablenkungsmanöver so gut wie unangekündigt, konnte die britische Luftwaffe um 19.49 Uhr mit der Markierung der Stadt durch Leuchtbomben beginnen. Vier Minuten später wurde die perfekte Ausführung dieses Manövers von den anfliegenden Bombern registriert, die ihrerseits nur bis 20.10 Uhr brauchten, um sämtliche Sprengwaffen, Brandbomben und Phosphorkanister abzuwerfen. Diese zwanzig Minuten reichten für die Errichtung einer Feuerhölle in der verwinkelten Fachwerk-Altstadt.
Die Zahl der unmittelbar nach dem Angriff vorhandenen Brandherde wurde später auf etwa vierhunderttausend geschätzt. Ihre Dichte erreichte damit in der badischen Gemeinde ein absurdes Ausmaß, und die Flucht aus den Luftschutzräumen, in denen die Bevölkerung den Angriff bis dahin leidlich überstanden hatte, war kaum möglich. Als nicht weniger tödlich stellte sich allerdings der Verbleib im Schutzraum heraus, in dem der Sauerstoff in der Hitze des nach und nach aufkommenden Feuersturms unvermeidlich durch Gas ersetzt wurde. Wenn der Raum nicht überhaupt durch schmelzendes Gestein und einstürzende Häuser zusammenbrach.
Menschen verbrannten rückstandslos
Erst langsam, dann über die kommenden Stunden immer stärker, entfachten die Brandherde den einen, gemeinsamen Sturm. Seine Entwicklung dauerte bis 23.30 Uhr, als sich dann die Lufttemperatur auf viele hundert Grad erhitzt hatte und nachströmende Luft Windgeschwindigkeiten erzeugte, die das Gehen unmöglich werden ließen. Es schmolzen teilweise Metalle, die einen Schmelzpunkt von 1.700 Grad haben. Welche Entscheidung der Einzelne auch immer traf, sie endete unter diesen Bedingungen meist tödlich. Selbst das Wasser der Enz bot nicht unbedingt Rettung, obwohl sich dorthin viele Schwerstverletzte retteten.
Identifiziert und als verstorben registriert wurden nach jahrelangen Bemühungen bis 1954 insgesamt etwa 7.600 Menschen. 12.700 Personen blieben dauerhaft vermißt, entweder weil sie schnell in Massengräbern beigesetzt worden waren, oder eben auch weil der Feuersturm Menschen in großer Zahl fast rückstandslos verbrannte.
In Pforzheim nahm man Identifizierungen teilweise auf Basis einzelner Kleiderfetzen vor, die als Todesnachweis bestimmten Personen zugeordnet wurden. Bei ungezählten anderen blieb nicht einmal das übrig, was – nebenbei bemerkt – auch eine Annahme der Dresdner Kommission zur Ermittlung der dortigen Totenzahlen widerlegt. Die ist im Jahr 2010 unter anderem mit der Behauptung aufgetreten, beim Dresdner Feuersturm, wenige Tage vor Pforzheim, sei eine restlose Vernichtung der Opfer wegen zu geringer Temperaturen nicht möglich gewesen.
Alliierte Verluste blieben gering
Sie war es jedoch in der völlig zerstörten Gold- und Schmuckstadt Pforzheim in der Tat, und trotzdem blieben noch Tausende Opfer zurück, die es zu beerdigen galt. Die Wehrmacht bot den Einsatz von Flammenwerfern an, um Seuchen abzuwenden.
Verluste des anfliegenden Gegners blieben wegen der fast zusammengebrochenen Luftabwehr relativ gering, ganze zehn von fast vierhundert Bombern gingen verloren. Unter ihnen befand sich allerdings der „Master Bomber“, der den Angriff geführt und mit der Markierung begonnen hatte. Ein deutsches Flugzeug vom Typ Messerschmitt 110 schoß ihn ab. Als verantwortlicher Kopf für Pforzheim und zahlreiche vorausgegangene Angriffe fand bei diesem Absturz Edwin Swales den Tod, Fliegeroffizier südafrikanischer Herkunft.
Als „erfolgreichster Angriff des Krieges“ gefeiert
Was wie ein Akt gewisser Gerechtigkeit hätte wirken können, zeugte eine bittere Pointe. In Großbritannien ließ man sich nicht lange bitten und verlieh Swales für seine Taten das Viktoria-Kreuz, die höchste für militärische Leistungen zu vergebende Auszeichnung des Empire. Der Angriff auf Pforzheim sei, so hieß es in der offiziellen Begründung, der „konzentrierteste und erfolgreichste“ des Krieges gewesen. Bis heute gibt es keine Bewegung, diese Würdigung angesichts des auch für damalige Verhältnisse eindeutig verbrecherischen Charakters des Pforzheim-Angriffs zu überdenken.
Um zur eingangs angeführten Frage von der Trümmerwand zurückzukehren, wo die Pforzheimer seien: Im kollektiven Gedächtnis der Republik sind sie jedenfalls nicht, die Toten so wenig wie die damals Überlebenden.