Die neuen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei stehen fest. Während die Wiederwahl von Dietmar Bartsch, der ohne Gegenkandidaten geblieben war, feststand, war bis zur Verkündung der Wahlergebnisse spannend, wer nach dem Rückzug von Sarah Wagenknecht seine neue Partnerin werden würde.
Zur Wahl standen die 46 Jahre alte Caren Lay, die bereits als Bundesgeschäftsführerin, Vize-Parteivorsitzende und Fraktionsvize Erfahrungen gesammelt hat, oder die 39 Jahre alte Rechtsanwältin Amira Mohamed Ali?
Letztlich stimmte eine Mehrheit der 69 Abgeordneten in zweiten Wahlgang für die aus Niedersachsen stammende Mohamed Ali, die als Vertreterin des linken Flügels gilt und im Bundestag, dem sie seit 2017 angehört, für ihre Partei Sprecherin für Verbraucherschutz und Tierschutz ist.
Zugehörigkeit zum Hufeisen-Zweckbündnis entscheidend
Für die in Hamburg geborene Tochter eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter, die erst 2016 bei der Kommunalwahl im niedersächsischen Oldenburg erstmals für ein politisches Amt antrat, ist es ein riesiger Karrieresprung. Die Fraktion dagegen festigt den Status quo, den Waffenstillstand zwischen dem Reformerflügel um Bartsch und dem linken Wagenknecht-Lager.
Die Zugehörigkeit zum sogenannte Hufeisen-Zweckbündnis und nicht die Qualifikation werde entscheidend sein, hatten Beobachter vor der Wahl prognostiziert. Durch eine Wahl Lays, die sich selbst als Brückenbauerin bezeichnet, aber wegen ihres mitunter rüden Tons in der Fraktion nicht unumstritten ist, wäre das Zentrum und damit die Position der beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger gestärkt worden. Das hätte die gerade halbwegs austarierten schwierigen Machtverhältnisse der Partei wieder durcheinanderbringen können.
Mohamed Ali will nun die zerstrittenen Lager versöhnen: Die Fraktion könne viel mehr erreichen, „wenn wir mehr und konsequenter miteinander arbeiten, statt uns gegenseitig zu hemmen“. Ob ihr das gelingen wird – abwarten. Ihre Vorgängerin, Sarah Wagenknecht, ist am Projekt Versöhnung jedenfalls grandios gescheitert. Weswegen sie als Fraktionsvorsitzende eine grandiose Fehlbesetzung war.
Zickenkrieg mit Kipping
Zwar verdankt die Linkspartei viel der Ausstrahlung der 50jährigen Vollblutpolitikerin. Dank ihres Zickenkrieges mit Parteichefin Katja Kipping blieb die Partei trotz aller Wahlniederlagen in den Medien präsent: hier die mit allen Wassern gewaschene Parteisoldatin, da die völlig unberechenbare, polarisierende und debattenfreudige Außenseiterin.
Aber die Rolle der Fraktionschefin, die ja die unterschiedlichen Grüppchen der Linken im Bundestag eigentlich einen soll, konnte Wagenknecht nicht ausfüllen. An Harmonie und Ausgleich lag der Frau, die die Partei immer polarisiert hat, nie etwas. So mußte sie an dieser Aufgabe letztlich zerbrechen. Dazu kam, daß die Partei ihre richtigen und wichtigen Denkanstöße nicht als solche erkannte, sondern vor allem die Westlinken, die keine einzige Stunde real existierenden Sozialismus je erleiden mußten, an der ihnen eigenen Borniertheit festhielten.
Wagenknecht, Tochter einer Deutschen und eines Iraners, hatte frühzeitig Repressalien der SED erleiden müssen. Ihr Weg führte sie aber nicht wie viele andere oppositionelle junge Intellektuelle, die an einen reformierbaren Sozialismus glaubten, in die Bürgerbewegung. Sie kam im Frühsommer 1989 als fast 20jährige in die Einheitspartei, die sie umkrempeln wollte. Auch der aus der DDR ausgesperrte Liedermacher Wolf Biermann hielt da noch, obwohl seit inzwischen 13 Jahren wieder in Hamburg zu Hause, den Arbeiter- und Bauernstaat für den besseren Teil Deutschlands.
Wagenknecht, die Edelkommunistin
Als die DDR zusammenbrach, positionierte sich Wagenknecht am ultralinken Rand der von Gregor Gysi in die Bundesrepublik geretteten Partei. Hier sang sie aus „Trotzreaktion auf dieses gesellschaftliche Klima, in dem ein Schauermärchen über die DDR das nächste jagte“, wie sie 2010 einräumte, über Jahre ihre Loblieder auf den Stalinismus und die untergegangene SED-Staat, obwohl der sie vom Studium ausgesperrt hatte.
All das, was ihr schon damals klar war, daß das ökonomische System der DDR „überzentralisiert“ war und die politische Repression „in völligem Kontrast zu den sozialistischen Idealen“ standen, räumte sie öffentlich erst viel später ein.
Da hatte sich die Edelkommunistin, die lange Jahre der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform innerhalb der PDS ein Gesicht gab und die selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, zu einer an der Realität orientierten Sozialistin gewandelt.
Viele, insbesondere die auf ihren Positionen bis heute verharren, haben ihr das nicht verziehen. Wagenknecht ging es nie wie dem populistischen und windigen Gysi um den Machterhalt – den der Partei und den eigenen. Sie hat immer von ihrem aktuellen Wissens- und Überzeugungsstandpunkt aus argumentiert.
Eine Politikern, die Politik tatsächlich ernst nimmt
Sie gehört zu den wenigen Politikern, die Politik tatsächlich ernst nehmen und Staat und Gesellschaft – aus ihrer Sicht – weiterentwickeln wollen. Daß sie beispielsweise die Arbeitsmigration einschränken will, ist bei Wagenknecht eben kein Aufkündigen der traditionellen Internationalität, Völkerfreundschaft und Solidarität, sondern im Gegenteil die Absicht, die Herkunftsländer nicht zu schwächen.
Auch die Merkelsche Grenzöffnung im Sommer 2015 und deren Ergebnisse hat sie analysiert. Für ihre volksnahe und damit parteiferne Position zur Flüchtlingspolitik warfen ihr Genossen auf dem Parteitag in Magdeburg im vergangenen Jahre eine Torte ins Gesicht. Vielleicht war das sogar der Moment, als Wagenknecht beschloß, einen Schlußstrich zu ziehen. Innerlich zu ausgebrannt war sie auch, um mit der „Aufstehen“-Bewegung all die latent Unzufriedenen in einer linken Einheitsfront zu vereinen und mit dieser die drei linken Parteien auf Kurs zu bringen.
Als einfache Abgeordnete kann Wagenknecht künftig selbst bestimmen, zu welchen Themen sie sich wie äußern wird. Daß sie auch weiterhin politisch etwas bewegen möchte, hat sie bereits angekündigt: „Deswegen werde ich natürlich auch nach wie vor meine Positionen öffentlich vertreten und dafür werben.“ Eine erneute Kandidatur für den Bundestag schließt sie nicht aus.