BERLIN. In Berlin ist der Verfassungsschutzbericht für 2018 vorgestellt worden. Demnach hat die linksextreme Szene enormen Zulauf. Die Zahl der Linksextremisten stieg gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent auf 32.000 Personen an, die Zahl der Islamisten legte ebenfalls zu – von 25.810 auf 26.560 Personen.
Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte, der Islamismus bleibe eine „große Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik“. Dschihadisten-Organisationen seien „weiterhin weltweit präsent und aktiv“. Die Bedrohungslage in Deutschland sei so groß, daß sogar „komplexe Anschläge“ wie jener im Konzertsaal „Bataclan“ vom November 2015 in Paris nicht ausgeschlossen werden könnten.
Identitäre im Visier
Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse waren die Zahlen zum Rechtsextremismus mit Spannung erwartet worden. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes stieg deren Zahl um 100 Personen auf einen neuen Höchststand von 24.100.
Seit 2014 verzeichnet die Behörde ein stetiges Anwachsen der Szene-Zugehörigen. Mehr als die Hälfte von ihnen, nämlich 12.700 Personen, charakterisierte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als gewaltbereit. „In Verbindung mit der hohen Waffenaffinität des rechtsextremistischen Spektrums sind diese Zahlen ausgesprochen besorgniserregend. Ich spreche deshalb auch bewußt davon, daß wir auch in diesem Bereich eine hohe Gefährdungslage haben“, so der Innenminister.
Die namentlich genannte Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) sei indes „nicht minder gefährlich“, auch wenn diese noch nicht durch Gewalttaten hervorgetreten sei. Seehofer zählte sie beispielhaft zu den „geistigen Brandstiftern“, deren Zahl zunehme. Die Angehörigen der Identitären seien „jung, geben sich modern und als Hüter der Verfassung aus“, so Seehofer. Der von ihnen verwendete Begriff „Ethnopluralismus“ klinge tolerant, sei aber nichts anderes als „Rassismus“.
Linksextreme Gewalt geht zurück
Einen starken Zuwachs registrierte der Inlandsgeheimdienst im Lager der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Deren Potential sei um 13 Prozent auf 19.000 Personen angewachsen. Darunter befänden sich 950 Rechtsextremisten. Die hohe Affinität zu Waffen mache „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ gefährlich, zudem behinderten sie Polizei, Gerichte und Behörden in deren Arbeit. Seehofer kündigte an, Beiträge in sozialen Netzwerken, die extremistischen Inhalts seien, künftig „umgehend“ zu löschen. Hier bestehe noch „großer Handlungsbedarf“.
Trotz Zulaufs für die linksextreme Szene (plus 8,5 Prozent) auf 32.000 Personen war die Zahl einschlägig motivierter Straftaten stark rückläufig, nämlich um 27,7 Prozent: von 6.393 im Vorjahr auf 4.622 Fälle im Berichtszeitraum 2018. Noch stärker nahmen die Gewalttaten dieses Spektrums ab: Sie sanken um 38,7 Prozent auf 1.010 Fälle. Der Verfassungsschutz stuft 900 Linksextremisten als gewaltorientiert ein.
Der Rückgang an linksextremistisch motivierter Kriminalität erklärt sich dem Bericht zufolge damit, daß es 2018 kein relevantes Großereignis in Deutschland gab, das die Szene angezogen hätte. 2017 hingegen führte der G20-Gipfel in Hamburg zu einem Höhepunkt an Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum. Die Relevanz der Szene sei nicht geringer geworden. Polizisten, gegen die sich deren Aggressionspotential vor allem richte, würden zunehmend aggressiv körperlich angegriffen.
Cyberaktivitäten gegen IT-Infrastruktur etabliert
In bezug auf Islamisten und sogenannte Rückkehrer gelte auch eine „hohe Gefährdungslage“, so Seehofer: „Ein Anschlag ist auch in diesem Bereich jederzeit möglich.“ Rückkehrer halten derzeit die Sicherheitsbehörden auf Trab. Von den über tausend in den Nahen Osten ausgereisten Personen habe etwa die Hälfte dort an Kampfhandlungen teilgenommen, ein Drittel von ihnen sei inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt.
Diese stellten ein „hohes Sicherheitsrisiko“ dar, räumte der Innenminister ein. Die deutschen Staatsangehörigen unter ihnen seien eine „gewaltige Herausforderung“. Für die Kinder und Jugendlichen brauche es Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration.
Auch die Bedrohung durch Aktivitäten fremder Geheimdienste, durch Spionage und Aufklärungsoperationen habe zugenommen. Maßnahmen richteten sich gegen Leib und Leben mißliebiger Personen, Cyberaktivitäten gegen die IT-Infrastruktur haben sich den Erkenntnissen zufolge etabliert. Seehofer hob bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts ausdrücklich auch die verdeckten Versuche politischer Einflußnahme, der Propaganda und Desinformation hervor. Deutschland benötige Gesetzesänderungen, um bei der Abwehr und Prävention von Cyberangriffen auf der Höhe der Zeit zu sein. Sein Ministerium habe einen Entwurf dafür vorbereitet. (ru)