ZÜRICH. Der Schweizer Journalist Frank A. Meyer hat seinen deutschen Kollegen eine duckmäuserische Haltung vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen. Anlaß ist die ausbleibende Kritik an Merkel nach der Europawahl. Keine Zeitung und kein Sender habe die Kanzlerin für „das katastrophale Resultat“ von Union und SPD zur Verantwortung gezogen, schrieb der Medienexperte in seiner Blick-Kolumne.
Es werde über die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gelästert und über die scheidende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles gehöhnt. „Ein Begriff, ein Name fällt nicht in diesem medialen Getümmel um die Europawahlen: Angela Merkel, die Chefin der Regierung, kommt in der aufgeregten Debatte nicht vor. Die Inhaberin der politischen Richtlinienkompetenz ist kein Thema“, kritisiert Meyer. Statt dessen dürfe die Kanzlerin selbstzufrieden über sämtliche Medienkanäle aus dem amerikanischen Harvard lächeln, wo ihr die Universität die Ehrendoktorwürde verliehen habe.
Ehrfürchtiger Bogen um die Bundeskanzlerin
„Wahltag ist Zahltag. In der Demokratie. Im demokratischen Deutschland mit dem modernsten freiheitlichen Grundgesetz der Welt jedoch machen die Journalisten einen ehrfürchtigen Bogen um die Bundeskanzlerin – und wenn sie sich ihr doch mal nähern, dann unter Bücklingen und nur, um sich so rasch wie möglich dienerhaft rückwärts zu entfernen.“
In der deutschen Demokratie sei alles erlaubt, nur nicht Kritik an der Frau, die das Land seit 14 Jahren regiere und dafür nun von ihren einstigen Wählern die Quittung erhalten habe: „für eine irrlichternde Umweltpolitik, für eine fahrlässig abgetakelte Bundeswehr, für den Verzicht auf eine Europastrategie, für das Verschlafen digitaler Zukunftspläne – vor allem für das angerichtete Migrationschaos“.
Gerade den letzten Punkt dürfe man dabei nicht aus den Augen verlieren, mahnte Meyer und erinnerte daran, daß die Union im Juli 2015, also einen Monat vor der Öffnung der Grenzen, in Umfragen noch bei 42 Prozent gelegen habe, während die Sozialdemokraten auf 25 Prozent kamen. Die AfD habe bei drei Prozent rangiert.
„Der deutsche Journalismus, einst bewundert als Bollwerk gegen jedwedes Begehren des Büttels und nie der Verehrung Mächtiger verdächtig, ist heute das, was man auf Englisch ‘embedded journalism’ nennt – eingebettet in die Riten und Regeln der Regierungsmacht. Im Bett“, beklagte Meyer. (krk)