Die Reaktion der Grünen-Chefin Simone Peter, als bekannt wurde, daß die Polizei den Begriff „Nafri“ für „Nordafrikanischer Intensivtäter“ verwendet, war reflexhaft. Man spielte ihr die Information zu, und sie verhielt sich erwartbar: die am Kölner Hauptbahnhof Angehaltenen, Durchsuchten, Befragten, erkennungsdienstlich Behandelten, Festgesetzten aus Algerien, Tunesien, Marokko, Libyen, Ägypten oder dem Libanon als Opfer, die Polizei als Täter, das heißt Unverhältnismäßigkeit, Verletzung der Grundrechte, „racial profiling“, „Rassismus“.
Man sekundierte ihr, vor allem seitens der Parteifreunde mit dem bekannten Hintergrund. Mancher fürchtete schon, es werde wieder wie bei den Nazis, und Jan Böhmermann fragte inquisitorisch, wo denn der Unterschied zwischen „Neger“ und „Nafri“ liege.
Politischer Klimawandel
Irritierenderweise gab es aber auch Einwände. Rasch ging der Co-Vorsitzende Cem Özdemir auf Distanz, der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour fand am Polizeieinsatz in der Silvesternacht nichts auszusetzen. Derselben Linie folgte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt.
In der SPD-Spitze, die bei solcher Gelegenheit gerne ihre „kritische“ Haltung gegenüber der Obrigkeit zum Ausdruck bringt, blieb der Beifall für den Vorstoß Peters aus. Das führte auf seiten der größeren Regierungspartei zu einer gewissen Irritation, aber dann faßte man sich und lobte die Beamten, die die Ordnung aufrechterhalten hatten, die Christsozialen selbstverständlich, aber auch die Christdemokraten mit dem Innenminister als glaubwürdigstem Verfechter des „starken Staates“.
Der Ablauf, der hier gerafft wiedergegeben wurde, ist ein erstaunliches Indiz für den politischen Klimawandel, der sich im Laufe eines Jahres seit dem „Schwarzen Silvester“ 2015 vollzogen hat. Das heißt, es geht nicht um schwankende Stimmungslagen, sondern darum, daß etwas in Frage gestellt wird, was seit der „Fundamentalliberalisierung“ (Jürgen Habermas) im Gefolge von ’68 zu den Selbstverständlichkeiten bundesrepublikanischer Politik gehört hatte.
Reflexhafte Reaktion
Solche Selbstverständlichkeiten haben mit dem zu tun, was die Psychologie „Konditionierung“ nennt. Die gibt es nicht nur bei Tieren – wenn der Hund sabbert, sobald er Futter wittert –, sondern auch bei Menschen. Das heißt, es gibt einen Reiz, und darauf erfolgt sicher eine Reaktion. Bei Simone Peter war der Reiz „Polizei gegen Migranten“ und die Reaktion „böse weiße Herrenmenschen gegen edle Wilde“.
Um eine solche Verknüpfung in Menschen zu verankern, bedarf es erheblicher und langdauernder Anstrengung. Die besteht vor allem in Erziehungsarbeit. Die offenen Erzieher (Eltern, Lehrer, Dozenten, eventuell Geistliche) und die heimlichen Erzieher (Cliquen, andere Bezugsgruppen, die Verantwortlichen für Inhalte von Medien jeder Art) müssen dabei zusammenwirken und klarstellen, welches Verhalten belohnt, welches bestraft wird. Wer wie Frau Peter in den vergangenen fünfzig Jahren großgeworden ist, der gehört einer Altersgruppe an und lebt in einem Milieu, das so erfolgreich ausgerichtet wurde – nichts anderes heißt „konditionieren“ –, wie kaum ein anderes.
Die fein gehegte Welt hat Risse bekommen
In seinem Kosmos ist alles, was es vor ’68 gab, deutsch, häßlich, bestenfalls spießig, schlimmstenfalls faschistisch, während danach die neue Welt westlich, hübsch und progressiv wurde; man selbst gehört zu den Guten, Linken, Smarten, während die anderen die Bösen, Rechten sind, die die falschen Klamotten tragen und die falsche Musik hören.
Diese Welt hat jetzt Risse bekommen. Durch die Risse dringt die Wirklichkeit ein, und wenn überhaupt etwas, dann kann die Wirklichkeit eine Konditionierung stören, sogar zerstören, weil sie das Verhältnis von Erfolg und Mißerfolg neu justiert.