Mit der Verschärfung der Einwanderungskrise in Deutschland geht bedauerlicherweise auch eine Verrohung der Sprache einher. Leider gilt das nicht nur für die Sorte Sozialhilfeempfänger, die neiderfüllt auf Asylanten schimpft. Ausgerechnet auch diejenigen, die doch als besonders menschenfreundlich gelten wollen, schießen nun immer öfter über das Ziel hinaus. Da spricht etwa stern.de-Chefredakteur Philipp Jessen gar von „menschlichem Dreck“.
Vor allem ein lauter Schweiger mit seiner sprachlichen Begrenztheit hat den haßerfüllten Ton in die Öffentlichkeit getragen. „Til Schweiger und die drei !!!“ könnte der neue Film des prominenten Schauspielers, der sich für Flüchtlinge und illegale Einwanderer einsetzt, heißen. Für seinen – offenbar in angetrunkenem Zustand gelallten – Wortbeitrag in der Sendung „Menschen bei Maischberger“ am 18. August erhielt Schweiger sehr viel Beifall von Links. „Sie gehen mir auf den Sack, echt“, fertigte er etwa den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer ab.
„Bäm!!! Der Vizekanzler!!!“
Genau einen Monat zuvor hatte sich Schweiger auf seiner Facebook-Seite massenhafter Kritik erwehren müssen. Ursprünglich hatte er für eine Hilfsaktion des Hamburger Abendblatts für Ankömmlinge geworben: „Meine Bitte an Hamburg: Alle mitmachen!!!“ Viele seiner Leser nahmen jedoch an, daß sich Schweiger lediglich selbst darstellen und profilieren wollte – zumal derzeit sein Film in den Kinos läuft. Es folgten gegenseitige Beschimpfungen von mehr oder weniger hohem Unterhaltungswert – ein gefundenes Fressen für die Presse. Eine Woche später bemerkte Schweiger mit Blick auf einen Spiegel-Kommentar über Anschläge auf Asylheime: „Frau Merkel, Herr Gabriel, bitte übernehmen Sie!!!!!!“
Letzterer ließ sich nicht lange bitten. „Bäm!!! Der Vizekanzler hat sich gemeldet!“ jubelte Schweiger am 29. Juli auf Facebook. Gabriel lobte den Mimen. Er gebe besorgten Bürgern eine Stimme. Der SPD-Vorsitzende stellte instinktiv sogleich auf den Schweiger-Slang um. Am 18. Juli hatte Schweiger auf seiner Facebook-Seite Lesern mitgeteilt, die seine Begeisterung für die vielen Einwanderer nicht teilen: „Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack!“ Das Duo Gabriel-Schweiger fand eine gemeinsame Sprache.
Hoffähige Totschlagvokabel
Gabriel traf Schweiger am 7. August, um – wie der Vizekanzler auf Facebook schrieb – „Planungen gegen rechtsradikale Hetzer“ zu besprechen. So übernahm der Politiker das Wort „Pack“ in seinen Wortschatz und warf es gezielt den Medien hin. Vor dem Einwandererheim in Heidenau sagte er am 24. August über die örtlichen Protestler und Randalierer: „Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier rumgetrieben hat.“ Auf die Absicht hinter dieser Totschlag-Wortwahl wies der Dresdner Sprachwissenschaftler Joachim Scharloth im „Deutschlandradio“ hin: „Wenn ich Nazis sage, erkläre ich die Leute gleich für nicht diskursfähig. Das heißt: Ich muß mich nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen. Oder ‘Pack’: Mit Pack unterhält man sich nicht.“
Mit dem Wort „Pack“ landete Gabriel in den Medien jedenfalls einen Aufmerksamkeits-Volltreffer. Doch ist es vertretbar, mit Schmähungen auf Schmähungen zu antworten? Sogar die solcherart von ihm Beschimpften skandierten einen Tag später, als auch Angela Merkel nach Heidenau pilgerte: „Wir sind das Pack!“ Selbst bei Spiegel und Springer stößt der Ausdruck auf gemischte Gefühle. Stefan Berg schreibt etwa im Spiegel: „Mit seinem Versuch, die größtmögliche Distanz zu Fremdenfeinden zum Ausdruck zu bringen, hat sich Gabriel leider auf deren sprachliches Niveau begeben. Er hat den Begriff ‘Pack’ nun hoffähig gemacht … Kann man für die Achtung der Würde von Menschen werben, indem man anderen diese abspricht?“
Wie der Vater, so der Sohn?
Und der stellvertretende Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt kommentierte: „Merkel überläßt ihrem Vizekanzler das Feld, der dementsprechend verbal aufrüstet und dann nicht sonderlich souverän vor allem von ‘Mob’ und ‘Pack’ spricht. Es sind Wörter, die nun auch jenen über die Lippen kommen, die sonst als Sprachpolizei gerne höchste Standards einfordern. In der verbalen Entwürdigung der abstoßenden Nazi-Spießer rutscht die Exekutive den braunen Ängstlingen zivilisatorisch entgegen.“
Daß sich Gabriel sprachlich auf dieselbe Ebene begibt wie die „Nazi-Spießer“, ist wohl kein Zufall. Bei seiner Wortwahl beruft er sich nämlich ausdrücklich auf seine Kinderstube. „Bei uns zu Hause“ habe man so gesprochen, meint er. Wie der Vater, so der Sohn? Zwischen seinem vierten und elften Lebensjahr, also 1962 bis 1969, wuchs Sigmar bei seinem Vater Walter Gabriel auf, der das alleinige Sorgerecht für ihn hatte. Dieser habe ihn seelisch mißhandelt und oft geschlagen, berichtete Sigmar Gabriel 2013 gegenüber der Zeit. Bis zu dessen Tod im Jahr 2012 sei sein Vater stramm nationalsozialistisch gesinnt gewesen. Bestimmt hat er oft von „Pack“ gesprochen.