Wenn bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft die Fanmeile vor dem Brandenburger Tor in Berlin sich in ein schwarzrotgoldenes Fahnenmeer verwandelt – wer weiß dann noch, woher diese Farben stammen? Kaum ein anderes Symbol bringt den Willen der Nation zur Einheit so zum Ausdruck wie diese Flagge.
Die Wiege unserer Nationalfarben steht im Gasthof „Grüne Tanne“ in Jena. Dort gründete sich am 12. Juni 1815 die Urburschenschaft. Ihre Fahne – Schwarz-Rot-Gold – wurde bald zum Erkennungszeichen der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Alle europäischen Nationalbewegungen sammelten sich unter Fahnen, meist Trikoloren nach dem Vorbild Frankreichs. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt ein Flickenteppich Dutzender auf Eigenständigkeit beharrender Fürsten-, Herzogtümer und Königreiche.
Eine radikale Spontibewegung von Studenten
Die von den Freiwilligen der Befreiungskriege gegen Napoleon getragenen Burschenschaften bildeten eine progressive politische Avantgarde, die erstarrte Feudalherrschaften und die Zersplitterung der Nation überwinden wollte. Diese frühe, radikale Spontibewegung selbstbewußter Studenten war auch Produkt einer Bildungsrevolution. Dieser auf politische Teilhabe und demokratische Freiheitsrechte pochende akademische Nachwuchs ahnte wohl die Beschleunigung der industriellen Revolution voraus, die zu größeren staatlichen Einheiten und Zusammenschlüssen führen mußte.
Gegen den Drang zur deutschen Einheit standen die reaktionären Beharrungskräfte im Inneren und die geopolitischen Konkurrenten unter unseren Nachbarn, die ein die Mitte Europas dominierendes Deutschland verhindern wollten. Die erste Chance zur Durchsetzung der deutschen Republik scheiterte 1848 unter der schwarzrotgoldenen Fahne der Burschenschaft. Die Reichseinigung setzte 1871 dann Bismarck unter den monarchischen Farben Schwarz-Weiß-Rot durch.
Dem republikanischen Auftrag stolz verpflichtet
Es ist nun das Schicksal mancher avantgardistischer Bewegungen, daß sie nach ihrer progressiv-revolutionären Frühphase Jahrzehnte später in Restauration und Musealisierung umschlagen. Spätere Perioden der Burschenschaft sind davon geprägt. Sie hat jedoch gerade in der Zeit der deutschen Spaltung 1949 bis 1989 als eine der wenigen gesellschaftlichen Kräfte an der Forderung nach aktiver Wiedervereinigungspolitik festgehalten und ist damit ihrem republikanischen Auftrag stolz verpflichtet gewesen. Ihre Häuser sind nach wie vor Orte freier Rede und Debatte – wenn auch ihre Bedeutung und Größe parallel zum Niedergang des verbindungsstudentischen Lebens insgesamt geschwunden ist.
Es ist das Schicksal der Burschenschaften, die letztlich erfolgreiche Idee nationaler Einheit und der Republik in die Welt gesetzt zu haben, jedoch als Verband selbst vor Zersplitterung und politischer Marginalisierung nicht gefeit zu sein.
JF 24/15