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Zweiter Weltkrieg: Deutsche Opfer sind vergessen

Zweiter Weltkrieg: Deutsche Opfer sind vergessen

Zweiter Weltkrieg: Deutsche Opfer sind vergessen

Flüchtlinge aus dem Osten
Flüchtlinge aus dem Osten
Flüchtlinge aus dem Osten am Lehrter Bahnhof in Berlin (1945): Foto: Wikimedia/Bundesarchiv
Zweiter Weltkrieg
 

Deutsche Opfer sind vergessen

Siebzig Jahre Kriegsende erinnern weder der Bundespräsident noch die Kanzlerin an unsere Toten. Während die Taten der Sowjetarmee gewürdigt werden, bleiben die deutschen Gräber unerwähnt. Doch den Toten kann ihre Würde nicht genommen werden.
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Langsam quält sich der Treck über staubige Landstraßen. Tagelang sehen die paar hundert Flüchtlinge abgebrannte Wälder und zerstörte Dörfer – Niemandsland, das der Krieg geschaffen hat. Immer wieder findet Treckführer Josef Kraus jedoch Oasen: Scheunen, in denen die Erschöpften schlafen, sogar Lebensmittel, mit denen sie sich auf dem Weg nach Westen stärken können.

Es ist der zweite Treck, den der Bäckermeister anführt. Bereits Ende 1944 waren er und seine Mitbewohner aus ihrem schlesischen Dorf Waissak vor der heranrückenden Front geflüchtet; nach dem Kriegsende waren sie zurückgekehrt und hatten mit dem Wiederaufbau begonnen. Ein tschechischer Nachbar aus dem Sudetenland hatte ein paar Küken über die Grenze zu dem Deutschen gebracht – eine große Geste der Mitmenschlichkeit in einer Zeit, als in Europa der Haß regierte.

Vergessene deutsche Helden

1946, als die polnische Besatzungsmacht in diesem Teil Oberschlesiens mit der Vertreibung begann, hätte Josef Kraus bleiben können. Bäcker ist ein lebenswichtiges Handwerk; auch die neuen Bewohner wollten Brot essen. Das ehrbare Handwerk hatte ihm vermutlich schon unter den Nationalsozialisten das Leben gerettet. Bis 1933 war der Zentrumsmann in diesem katholischen Sprengel Schlesiens Bürgermeister gewesen. Die Nationalsozialisten setzten ihn ab. Er gab Juden Brot, im Waissaker Bäckerladen sagte man „Guten Tag“, als alle anderen „Heil Hitler“ riefen.

Die Gestapo mußte ihn laufen lassen: Das Dorf hätte sonst Hunger gelitten. Statt zu bleiben, wählte er die Verantwortung für die Dorfgemeinschaft und führte den zweiten, den letzten Treck an, brachte die Waissaker in den Westen Deutschlands. Vikar Josef Müller erinnert sich in der Ortschronik von Waissak: „Bäckermeister Josef Kraus (…) diente der Gemeinde in guten und in bösen Tagen. Er blieb sich selbst immer treu und wechselte nie seine Gesinnung.“

Am Grab des Bäckers, der vor sieben Jahrzehnten Hunderten Dorfbewohnern das Leben rettete, standen weder der Bundespräsident noch die Kanzlerin. Keine Frauenministerin bemühte sich nach Teterow in Mecklenburg-Vorpommern, um der 500 bis 800 Frauen zu gedenken, die nach dem Einmarsch der Roten Armee Opfer von Massenvergewaltigungen wurden und die sich danach umgebracht hatten. Die Frauen sind vergessen. Kein Politiker erinnerte an die Tapferen von 1945, die von den Besatzern Anstand einforderten und von der plündernden Soldateska in Lager verschleppt oder gleich erschossen wurden. Die „deutschen Helden“ (FAZ) sind vergessen.

Das Wirken der Sowjetarmee gewürdigt

Bundespräsident Joachim Gauck besuchte vielmehr sowjetische Kriegsgräberstätten und würdigte besonders das Wirken der Roten Armee in Deutschland: „Wir Nachgeborenen in Deutschland haben allen Grund, für diesen aufopferungsvollen Kampf der ehemaligen Gegner in Ost und West dankbar zu sein“, sagte Gauck bei einem Besuch des ehemaligen Gefangenenlagers Schloß Holte Stukenbrock in Nordrhein-Westfalen, in dem sehr viele sowjetische Kriegsgefangene zu Tode kamen.

Die Schrecken der sowjetischen Besatzung verstand Gauck geschickt zu relativieren: Der Blick auf die sowjetischen Soldaten sei durch Schreckensbilder beim Vormarsch der Roten Armee, die Leiden Deutscher in sowjetischer Gefangenschaft und die ab 1945 beginnende sowjetische Besatzungszeit in Ostdeutschland geprägt worden. Das sei aber kein Grund, über das millionenfache Verbrechen an den Gefangenen und den Beitrag der Roten Armee zum Sieg über NS-Deutschland hinwegzusehen.

Befreiungsrhetorik setzt sich durch

Gauck besuchte auch die sowjetische Kriegsgräberstätte im brandenburgischen Lebus direkt an der Oder. Am zentralen Begräbnisort für sowjetische Gefallene in Brandenburg legte er einen Kranz nieder und würdigte die Verdienste der Roten Armee: „Ich verneige mich vor ihrem Leid und dem Leid und der Leistung derer, die gegen Hitler-Deutschland gekämpft und Deutschland befreit haben.“ Für die direkt daneben begrabenen deutschen Soldaten hatte er kein Wort übrig.

Der 8. Mai 2015 wird zu einem Bruch in der deutschen Geschichte. Die Wirkungen der Gauckschen Reden werden erst nach längerer Zeit deutlich werden. Sie gehen weit über die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1985 hinaus, in der er den Treck von Josef Kraus und Millionen anderer Ostdeutscher als „erzwungene Wanderschaft“ herabwürdigte. Von Weizsäckers Wahl des Begriffs „Befreiung“ für die deutsche Kapitulation war die eigentliche Botschaft. Damit wurde das Diktum des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, die Paradoxie des 8. Mai 1945 bestehe darin, daß die Deutschen an diesem Tag „erlöst und vernichtet in einem“ gewesen seien, offiziell ad acta gelegt.

„Beginn von Vertreibungsterror“

Gauck geht weiter. Er eliminiert jede gute deutsche Tradition. Er will die Gräber von Josef Kraus und Millionen anderer „deutscher Helden“ einebnen. Gauck beendet das Gedenken an die vielen deutschen Kapitäne, die mit ihren Schiffen Hunderttausende über die Ostsee retteten. Von den Tausenden, die in den kalten Fluten der Ostsee nach Torpedo-Treffern der Roten Flotte versanken, ist keine Rede mehr. Sie sind vergessen.

Verhallt ist auch der unter anderem vom ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Alfred Dregger, unterzeichnete Aufruf „Gegen das Vergessen“ von 1995. Darin heißt es, es drohe in Vergessenheit zu geraten, daß dieser Tag nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bedeutete, sondern zugleich auch den „Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und der Beginn der Teilung unseres Landes“.

Den Toten kann niemand ihre Würde nehmen

Der französische Präsident Charles de Gaulle soll gesagt haben: „Die Kultur eines Volkes erkennt man daran, wie es mit seinen Toten umgeht.“ Danach steht es nicht gut um das deutsche Vaterland.

Frank Richter, Theologe und Präsident der Landeszentrale für politische Bildung in Dresden, sagte 2011 bei der Kriegsgräberfürsorge: „Die Toten sind die, die ihre Würde nicht mehr zu verteidigen vermögen. Der Tod konnte ihre Würde nicht zerstören. Er hat sie uns überlassen. Sie liegt in unseren Händen. Mißachten wir die Würde der Toten, die einst unter uns lebten als unsere Geschwister, als Angehörige der einen Menschheitsfamilie, so, als hätte es sie gar nicht gegeben, schaden wir uns selbst. Geben wir den Toten die Ehre, (…) leisten wir einen Akt menschlicher Anständigkeit und Solidarität. Wir geben uns selbst die Ehre, die uns kein anderer geben oder nehmen könnte.“

Die Würde von Josef Kraus konnte Gauck nicht nehmen. Wir sahen auf seinem Grab ein Licht brennen.

JF 21/15

Flüchtlinge aus dem Osten am Lehrter Bahnhof in Berlin (1945): Foto: Wikimedia/Bundesarchiv
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