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Bündische Jugend: Kein Platz auf der Burg

Bündische Jugend: Kein Platz auf der Burg

Bündische Jugend: Kein Platz auf der Burg

Burg Ludwigstein
Burg Ludwigstein
Burg Ludwigstein: Symbol und Treffpunkt der deutschen Jugendbewegung Foto: picture alliance/dpa
Bündische Jugend
 

Kein Platz auf der Burg

Auf der „Jugendburg Ludwigstein“ trifft sich regelmäßig die deutsche Jugendbewegung. Doch nicht alle Bünde sind willkommen, da sie ihren Kritikern als „völkisch“ und „rechtsextrem“ gelten. Sind die Vorwürfe überzogen oder haben sie eine Berechtigung? Ein Debattenbeitrag von Roland Wehl.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Die „Jugendburg Ludwigstein“ ist das Zentrum der deutschen Jugendbewegung. Schon seit einigen Jahren hängt hier der Haussegen schief. Es geht um die Frage, wer auf der Burg willkommen ist – und wer nicht. Damit geht es auch um das Selbstverständnis der heutigen bündischen Gruppen. Die Gemüter sind erhitzt. Am 8. November 2014 soll auf der Burg der Streit fortgesetzt werden.

Die Burg Ludwigstein liegt im Werra-Meißner-Kreis in Hessen. Anfang des 15. Jahrhunderts erbaut, war die Burg Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend verfallen. Dennoch fühlten sich viele Gruppen der Jugendbewegung zu diesem Ort, der in der Nähe des legendären Hohen Meißners liegt, hingezogen. Sie nahmen die Burg seit Anfang des Jahrhunderts – unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg – immer stärker in Besitz.

1920 gründeten Mitglieder der Jugendbewegung die Vereinigung „Jugendburg Ludwigstein“, um die Ruine zu erwerben und die Burg wieder aufzubauen – als Gemeinschaftsleistung aller Bünde. Die Gründungsmitglieder hatten den Wunsch, eine Begegnungsstätte für die verschiedenen Bünde der Jugendbewegung zu schaffen.

Jugendbewegung war nicht homogen

Grundlage des gemeinsamen Verständnisses war die Erklärung des Freideutschen Jugendtages von 1913, auch bekannt als „Meißner-Formel“: „Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.“

Die Jugendbewegung entstand um die Jahrhundertwende als Antwort junger Leute – überwiegend aus bürgerlichen Kreisen – auf ein überholtes autoritäres System. Ihre Mitglieder wollten raus aus der wilhelminischen Enge. Sie reisten in ferne Länder – und entdeckten auch die eigene Heimat neu. Sie suchten das Authentische, das „Echte“ – und meinten damit vor allem die „echte“ Freundschaft. Die Bünde der Jugendbewegung sollten „Lebensbünde“ sein.

Von der Jugendbewegung ging eine große Faszination aus. Sie war nicht homogen, sondern setzte sich bis 1933 aus den unterschiedlichsten Bünden zusammen. Es gab kommunistische, sozialistische, christliche, jüdische und viele andere Bünde. Neben der „völkischen“ gab es auch eine „volkliche“ Richtung. Am Ende setzte sich die „völkische“ und damit die rassistische Richtung durch.

Handvoll kleiner Bünde wird als „rechtsextrem“ angesehen

Antisemitische Tendenzen gab es bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Der Österreichische Wandervogel erklärte 1913, also im Jahr der „Meißner-Formel“: „Darum haben wir (…) kundgetan, daß wir weder Slaven noch Welsche, noch Juden in unseren Reihen sehen wollen, weil wir, umbrandet von Fremden und durchsetzt von Mischlingen, unsere rassische Reinheit bewahren müssen.“

Auf dieses Kapitel der Jugendbewegung hat kürzlich der Pädagoge, Psychologe und Nietzsche-Forscher Christian Niemeyer erneut aufmerksam gemacht. In seinem Buch „Die dunklen Seiten der Jugendbewegung“ setzt sich Niemeyer mit der völkischen Seite der Jugendbewegung auseinander – und mit der beschönigenden Aufarbeitung nach 1945.

Die Frage, warum die Suche nach dem Eigenen und der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bei einem Teil der Jugendbewegung in der Ausgrenzung von Minderheiten geendet hatte, kann auch Christian Niemeyer nicht beantworten.

Patrioten, die aus Scham keine Patrioten mehr sein wollten

1945 hatten viele Ideale der Jugendbewegung beziehungsweise der bündischen Jugend ihren Wert verloren. Bertolt Brecht stellte die berühmte Frage: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?“ Es gab Patrioten, die aus Scham keine Patrioten mehr sein wollten.

Mit dem Völkermord, der von Deutschen im Namen des deutschen Volkes verübt wurde, hat sich die „völkische“ Ideologie erledigt. Leider sind damit aber auch die „volklichen“ Strömungen in der früheren Jugendbewegung in Vergessenheit geraten. Zu denen, die mit „volklichen“ Ideen auch auf die Jugendbewegung eingewirkt hatten, gehörten unter anderem der spätere NS-Widerstandskämpfer Adolf Reichwein und Eugen Rosenstock-Huessy, der spätere „geistige Vater“ des Kreisauer Kreises. Beide waren von dem dänischen Philosophen Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783–1872) beeinflußt, der den Begriff der „Volklichkeit“ geprägt hatte.

Die von Reichwein und Rosenstock-Huessy in den zwanziger Jahren organisierten „Arbeitslager“ für Arbeiter und Studenten in Schlesien waren Teil eines antikapitalistischen Bildungsprogramms. Durch „Volksbildung“ sollte die „Volkbildung“ vertieft werden.

Vorwurf des „Extremismus“

Das war nicht – wie einzelne Kritiker heute behaupten – die „Light“-Version einer „völkischen“ Ideologie, sondern das Gegenteil. Der von Grundtvig verwendete Volksbegriff war nicht auf eine biologische „Herkunftsgemeinschaft“ beschränkt, sondern schloß die geistige „Überzeugungsgemeinschaft“ mit ein. Für richtige „Völkische“, die am liebsten Köpfe vermessen, eine grauenvolle Vorstellung.

Vielleicht ist der Streit auf der Burg Ludwigstein vor diesem Hintergrund etwas besser zu verstehen. Die Leitung dieser bündischen Begegnungsstätte vertritt das Konzept einer „offenen Burg“. Danach sollen alle Bünde, die sich zur „Meißner-Formel“ und zu dem Wertekanon der Begegnungsstätte bekennen, auf der Burg willkommen sein.

Zu denen, die dieses Bekenntnis abgelegt haben, gehört auch eine Handvoll kleiner Bünde, die von der Mehrheit der anderen Bünde als „völkisch“ beziehungsweise „rechtsextrem“ angesehen werden. Diese kleinen Bünde verfügen zusammen über kaum mehr als 300 Mitglieder und sollen – nach dem Willen der anderen Bünde – von der Burg ausgeschlossen werden. Doch die Leitung der Burg verteidigt diese Bünde gegen den Vorwurf des „Extremismus“.

Spaltung und Umbenennung

Ist der Vorwurf der anderen Bünde also gar nicht berechtigt? Oder ist das Kriterium des „Extremismus“ viel zu schwach? Müßte es andere Kriterien geben?

Einer der kritisierten Bünde ist der „Freibund“. Die Geschichte dieses Bundes zeigt beispielhaft, wie schwer es sein kann, einen als falsch erkannten Kurs zu verlassen. Anfang der sechziger Jahre im rechtsextremen Milieu als „Bund Heimattreuer Jugend“ gegründet, nahm der Bund im Laufe der Zeit immer mehr Elemente der Jugendbewegung beziehungsweise bündischen Jugend auf. 1990 kam es zur Spaltung und zur Umbenennung. Seitdem trägt der Bund den heutigen Namen.

Die Umbenennung war nicht ein „Etikettenwechsel“, sondern eine Zäsur. Damals ging ein Großteil der Mitglieder verloren. Auf der Suche nach neuen Leitbildern knüpfte man an die Tradition der bündischen Jugend vor 1933 an. Dadurch stieß man gleichzeitig auf den bündischen Widerstand – nach 1933. Es wurden Vorträge organisiert – zum Beispiel über den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, über den Jungenschaftsführer Eberhard Koebel („tusk“) und über die „Weiße Rose“. Mitglieder des Freibundes reisten zu Überlebenden der Widerstandsgruppe und befragten sie als Zeitzeugen.

Einigen gingen die Veränderungen zu weit

Doch mit der Spaltung waren die Auseinandersetzungen im Freibund nicht beendet. Als später ein neues Liederbuch zusammengestellt wurde, übernahm man aus der alten Liedersammlung, die aus der Frühphase des Bundes stammte, ein „falsches“ Lied. Der Fehler wurde entdeckt, als das Liederbuch bereits gedruckt war.

In den darauffolgenden Jahren kam es im Freibund zu immer wieder neuen Austrittswellen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie sich das Selbstverständnis dieses Bundes durch die Zäsur 1990 verändert hatte. Einigen Mitgliedern gingen die Veränderungen zu weit. Anderen nicht weit genug.

In der „Freiburger Erklärung“ aus dem Jahr 2005 ist das Selbstverständnis des Freibundes formuliert. Darin heißt es unter anderem: „Die Achtung der Menschenwürde und der menschlichen Grundrechte stellt eine Grundlage unseres Handelns dar. Wir verurteilen die Herabsetzung, Verfolgung oder gar Tötung von Menschen auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer politischen und weltanschaulichen Einstellung. Wir bekennen uns zu den unveränderlichen Grundrechten des deutschen Grundgesetzes und fordern ihre konsequente Umsetzung …“

Umstrittenes Lied von Hans Baumann

Der Freibund beruft sich in seiner „Freiburger Erklärung“ auf die „Meißner-Formel“. Doch wie ernst werden die „Freiburger Erklärung“ und die „Meißner-Formel“ von der Führung des Freibundes tatsächlich genommen? Zweifel sind angebracht – wenn man allein an das „Bundeslied“ des Freibundes denkt. Es ist merkwürdig, daß das Lied die Zäsur des Bundes überstanden hat. Es handelt sich um das Lied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“. Text und Melodie stammen von Hans Baumann.

Das Lied ist nicht nur im Liederbuch des Freibundes, sondern auch in rund 200 anderen Liederbüchern (für Schulen, Pfadfinder, Bundeswehr etc.) enthalten. Handelt es sich also um einen harmlosen, jugendbewegten Text? Der Eindruck täuscht. Hans Baumann hat das Lied 1935 verfaßt – im Auftrag der damaligen „Reichsjugendführung“ der HJ. Es handelt sich um eine „Auftragsarbeit“. An wessen Freiheit mag Hans Baumann wohl gedacht haben, als er den Text schrieb? Sicherlich nicht an die Freiheit derjenigen, die unter dem NS-Regime verfolgt wurden.

Erwarten diejenigen, die das Lied heute singen, von denen, deren Vorfahren unter dem NS-Regime gequält und ermordet wurden, daß sie das Lied mitsingen?

Wie kann es sein, daß ein solches Lied noch immer in vielen Liederbüchern – nicht nur der bündischen Jugend – zu finden ist? Die Geschichte des Liedes steht im Widerspruch zum Geist der „Meißner-Formel“ und zu allem, wofür die bündische Jugend heute steht.

Konzept der „offenen Burg“ überdenken

In dem Streit auf der Burg Ludwigstein – 25 Jahre nach dem Fall der Mauer – geht es nicht vorrangig um Lieder oder Liederbücher, sondern um Fragen eines gemeinsamen Geschichtsverständnisses – und um das Selbstverständnis der heutigen bündischen Jugend.

Die Leitung der Burg Ludwigstein sollte das Konzept der „offenen Burg“ noch einmal gründlich überdenken – und von den Bünden mehr fordern als bisher.

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Roland Wehl, Jahrgang 1957, arbeitet als Geschäftsführer einer Leasinggesellschaft. Er organisierte jüngst eine Veranstaltung mit Christian Niemeyer zum Thema Jugendbewegung, die im Oktober in Berlin stattfand. Ein Mitschnitt des Vortrags ist unter www.kohlenkeller-mexikoplatz.de zu finden.

JF 46/14

Burg Ludwigstein: Symbol und Treffpunkt der deutschen Jugendbewegung Foto: picture alliance/dpa
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