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Ein Luxemburger Fehlentscheid

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

VW
Der Käfer hat Volkswagen groß gemacht

Das VW-Gesetz verstößt gegen EU-Recht“, meldeten am 23. Oktober die Agenturen. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein mit Spannung erwartetes Urteil (Rechtssache C-112/05) über das 1960 beschlossene deutsche Gesetz zum Schutz des Wolfsburger Autobauers vor feindlichen Übernahmen verkündet. Es beschränke den freien Kapitalverkehr in der EU, befanden die Luxemburger Richter.

„Die Landesregierung akzeptiert die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs“, erklärte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), dessen Bundesland mit knapp 21 Prozent nach der Porsche AG der zweitgrößte VW-Aktionär ist. „Niedersachsen hält an seiner Kapitalbeteiligung an der Volkswagen AG fest.“

Die Bundesregierung hat nun eine schnelle Änderung des Gesetzes angekündigt. Die vom EuGH beanstandeten Vorschriften des Gesetzes würden nicht mehr angewendet, teilte das Bundesjustizministerium mit. Ob das Gesetz ganz abgeschafft wird oder nur einzelne Punkte geändert werden, ist noch nicht entschieden.

Die bisherigen Reaktionen aus Berlin und Hannover auf das EuGH-Urteil, mit dem einzelne Bestimmungen des VW-Gesetzes als Verstoß gegen die Freizügigkeit des Kapitalverkehrs (Artikel 56 EG-Vertrag) gewertet werden, erwecken den Eindruck, daß sie dem Urteil folgen wollen. Der niedersächsische IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine monierte zwar, daß mit dem Urteil „die Interessen des Kapitalmarktes höher bewertet als die der Beschäftigten und des Landes Niedersachsen“.

Er beziehungsweise die Gewerkschaft scheint aber eine Gesetzesänderung nach den EuGH-Maßstäben des Urteils hinnehmen zu wollen. Meine forderte Wulff auf, „sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, daß das VW-Gesetz europarechtskonform gestaltet wird“.

Der EG-Vertrag läßt die Eigentumsordnung unberührt

Solche Stellungnahmen verkennen die Brisanz des Urteils: Es handelt sich politisch um eine Provokation, und juristisch ist das Urteil nicht haltbar. Das Urteil erklärt insbesondere, daß die im VW-Gesetz vorgesehene Regelung des Stimmrechts die Freizügigkeit des Kapitalverkehrs einschränke, und verlangt eine entspre­chende Änderung des Gesetzes oder seine Aufhebung.

Damit verlangt das Urteil unzweifelhaft eine Änderung bzw. Aufhebung einer eigentumsrechtlichen Regelung, denn die Stimmrechte der Aktionäre sind grundsätzlich im Aktiengesetz geregelt (§§ 133 bis 137) – auf das sich das Urteil ausdrücklich bezieht – sowie speziell im Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand („VW-Gesetz“/BGBl. I 1960, S. 585 bzw. BGBl. I 1970, S. 1149).

Auf diese Weise aber verstößt das Urteil des EuGH selbst gegen den EG-Vertrag, der in Artikel 295 bestimmt: „Dieser Vertrag läßt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unberührt“. Der EuGH als Organ der EU hat zwar die ihm im Vertrag übertragene Aufgabe, bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages die Wahrung des Rechts zu sichern (Artikel 220) – aber eben im Rahmen des Vertrags, nicht darüber hinaus, um so die Anwendung des Vertrages auf Bereiche auszudehnen, auf die sich der Vertrag ausdrücklich nicht erstrecken will.

Eingriff in Hoheitsrechte eines Mitgliedsstaates

Ebendies aber geschieht mit diesem Urteil. Damit verletzt es den EG-Vertrag selbst und greift in Hoheitsrechte eines Mitgliedsstaats ein, die der Europäischen Gemeinschaft ausdrücklich nicht übertragen worden sind.

Das Urteil verletzt also die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Der EG-Vertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Wortsinn des „Wiener Abkommens über das Recht der Verträge“ (WVK/Artikel 2), weshalb die Auslegung des EG-Vertrages unbeschadet der dem EuGH übertragenen Aufgaben, Sache der Vertragsparteien – also der Mitgliedsstaaten – ist.

Das gilt insbesondere dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – das Gericht eine Entscheidung gegen einen Mitgliedsstaat fällt, der geltend machen kann, daß es für den relevanten Bereich keine Kompetenz der Gemeinschaft gibt.

Die Rechtsakte ihrer Einrichtungen und Organe, die sich nicht in den Grenzen der ihnen übertragenen Hoheitsrechte halten, werden im deutschen Hoheitsbereich für unverbindlich erachtet und die deutschen Staatsorgane sind aus verfassungsrechtlichen Gründen daran gehindert, diese Rechtsakte anzuwenden. Dies erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier (FAZ vom 25. Juli 2007).

Recht zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts

Würde Deutschland das EuGH-Urteil zum VW-Gesetz anwenden, so wäre dies folglich nicht nur eine völkerrechtswidrige, sondern auch eine verfassungswidrige Handlung. Sie würde zudem dazu führen, daß auch andere deutsche Gesetze – etwa ein Gesetz über die Privatisierung der Bahn AG, das „Volksaktien“ vorsieht – in gleicher Weise für mit der Freizügigkeit des Kapitalverkehrs nicht vereinbar erklärt werden. Aus all diesen Gründen darf die Bundesregierung das Urteil des EuGH nicht anwenden.

Die Gefahr, daß dann die Kommisson ein Zwangsgeld verlangt, ist gering; zudem schließt der EG-Vertrag eine Zwangsvollstreckung gegen Staaten ausdrücklich aus (Artikel 256). Zumindest sollte die Bundesregierung, bevor sie das VW-Gesetz ändert, das Bundesverfassungsgericht prüfen lassen, ob die Anwendung des EuGH-Urteils verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist. Das Recht zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts haben auch die unmittelbar Betroffenen: das Land Niedersachsen, die VW-Arbeitnehmer bzw. die IG Metall.

Professor Dr. Wolfgang Seiffert ist Völkerrechtler. Er war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Später lehrte er am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.

Das VW-Gesetz im Internet

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