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Syrisches Kriegstagebuch: „Ich mag Osama bin Laden“

Syrisches Kriegstagebuch: „Ich mag Osama bin Laden“

Syrisches Kriegstagebuch: „Ich mag Osama bin Laden“

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Syrisches Kriegstagebuch
 

„Ich mag Osama bin Laden“

Ahmed Chalil Dschalal ist einer der intellektuellen Vordenker der syrischen Revolution. Der Zahntechniker (30) ist selbst islamischer Fundamentalist und hat kein Problem damit, mit Al Qaida Seite an Seite gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Er spricht über die Pläne für einen „gemäßigten“ Gottesstaat. Ein ausführliches Interview von Billy Six.
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Achmed Chalil Dschalal bei der Arbeit
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Kaff-Rambel: 30 Mann demonstrieren hinter einem Dschalal-Plakat
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Kriegsschäden in Kaff-Rambel – Angeblich fast 300 Tote soll der Krieg hier schon gekostet haben, darunter 180 Regierungs-Soldaten Fotos (3): Billy Six

KAFF-RAMBEL. Ahmed Chalil Dschalal ist einer der intellektuellen Vordenker der syrischen Revolution. Der Zahntechniker (30) ist selbst islamischer Fundamentalist und hat kein Problem damit, mit Al Qaida Seite an Seite gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Der Propagandist, der auch mit seinen provokanten Karikaturen den Widerstand gegen Assad anstachelt, spricht über die Pläne für einen „gemäßigten“ Gottesstaat. 

Billy Six: Sie sind einer der bekanntesten Revolutionsaktivisten Syriens. Warum kämpfen Sie gegen Baschar al-Assad? 

Ahmed Dschalal: Syrien unter den Assads war ein schlechter Ort zum Leben. Wir wurden von einer Mafia regiert. Um sich durchs Leben zu schlagen, waren wir alle gezwungen zu lügen und zu bestechen.

Haben Sie dafür konkrete Beispiele?

Ahmed Dschalal: Als ich in der Armee meinen dreijährigen Wehrdienst geleistet habe, verlangte der Vorgesetzte Geld für die Ausgabe der neuen Uniform. Wer ihm nichts gab, mußte die alten Sachen behalten. Für die Ausgangspapiere hatte ich umgerechnet 50 US-Dollar zu zahlen, um meinen Urlaub antreten zu können. So gesehen wundert es mich auch nicht, daß Offiziere Waffen an die Freie Armee verkaufen.

Hat der Ärger auch religiöse Gründe?

Dschalal: Natürlich. Ich bin Muslim, aber in der Armee ist es verboten zu beten. Einmal wurde ich beim Beten erwischt, und mußte beim Militär-Geheimdienst vorsprechen. Sie drohten mir, daß ich das Gefängnis im Wiederholungsfalle nie wieder verlassen würde. Danach habe ich stets Türen und Fenster verschlossen, um mein Gebet zu vollziehen. In der Armee wird Dir nur Schlechtes beigebracht. Man lernt Schimpfwörter und flucht sogar gegen Allah. Die Leute von Regierung, Armee und Geheimdienst sind Feinde Allahs, und wir hassen sie dafür.

Liegt der Ärger auch darin begründet, daß die Assads Alawiten sind?

Dschalal: Das ist für mich grundsätzlich kein Problem, solange die Regierung uns nur beten läßt. Aber im Moment ist es so, daß jeder, der die Moschee besucht oder einen Bart hat, vom Geheimdienst befragt wird. Wir hatten zuvor einen christlichen Präsidenten (Ministerpräsident Faris al-Khoury, 1954/55, Anm. d. Verf.) und es gab kein Problem mit ihm. Aber natürlich wäre es ein Zustand der Normalität, wenn in einem Land mit einem Dreiviertel sunnitischem Bevölkerungsanteil auch ein Präsident gewählt wird, der sunnitischen Glaubens ist. Die Franzosen wählen ja auch stets einen Christen zum Staatsoberhaupt.      

Drohen denn Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen in Syrien?

Dschalal: Zwischen Sunniten und Alawiten ist das nicht ausgeschlossen. Aber es werden Einzelfälle sein, als Ergebnis von Kriegshandlungen. Die vielen haßerfüllten Sprüche, die Sie hier hören, sind Ausdruck des Ärgers. Keiner wird wirklich losziehen und Alawiten töten. Die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten wird auch nicht ein Ausmaß annehmen wie im Irak, ganz einfach deshalb, weil die Alawiten ihre Religion nicht praktizieren. Und mit Christen und Drusen gibt es keine Probleme. Auf Facebook habe ich Freunde von allen Gruppen Syriens.

Den Irak kennen Sie ja ganz gut. Laut BBC waren Sie 2003 sogar als Dschihadist im Zweistromland.

Dschalal: Richtig. Ich habe gesehen, daß die Amerikaner ein islamisches Land überfallen. Als Muslim ist es meine Pflicht, gegen Unrecht zu kämpfen. Also bin ich heimlich über die Grenze gewandert und habe von irakischen Offiziellen eine Kalaschnikow bekommen. Mit rund 1.000 weiteren syrischen Freiwilligen, von insgesamt vielleicht 100.000, war ich in Kut, einer Stadt im Mittel-Irak. Die amerikanischen Soldaten haben wir nur von Ferne gesehen. Wir waren vor allem in Auseinandersetzungen mit Schiiten verwickelt, die gegen Saddam kämpfen wollten – und einige Syrer erschossen. Ich wollte für den Islam kämpfen, aber keine Zivilisten töten – und so habe ich den Irak nach 70 Tagen wieder verlassen. 

Saddam Hussein war ein Diktator der Baath-Partei. Baschar al-Assad ist ein Diktator der Baath-Partei. Wieso kämpfen sie für den einen und gegen den anderen?

Dschalal: Saddam war ein mutiger Mann, weil er nicht davongerannt ist. Aber mittlerweile habe ich meine Auffassung über Diktatoren generell geändert. Ich bin mir sicher, die Iraker würden heute auch eine Revolution machen.

Heute kommen, so wie damals im Irak-Krieg, muslimische Freiwillige nach Syrien, um im Heiligen Krieg zu kämpfen. Welche Rolle spielen sie im Aufstand?

Dschalal: Ich habe bisher noch keine ausländischen Kämpfer gesehen, sondern nur von ihnen gehört. Aber jeder, der helfen will, uns von Baschar al-Assad zu befreien, ist herzlich willkommen.

Haben Sie deshalb Ihr Plakat „Wir sind alle Osama bin Laden“ gezeichnet?

Dschalal: Das war Ausdruck der Wut, daß die Welt sagt, sie würde Assad der Al Qaida bevorzugen. Noch einmal: Uns ist egal, wer dabei hilft, Baschar zu stürzen. Aber auch ansonsten mag ich Osama bin Laden, weil er all sein Geld und den Luxus stehen- und liegengelassen hat, um sich den Entbehrungen des Kampfes gegen die Russen in Afghanistan auszusetzen. Ich glaube nicht, daß er die Angriffe auf die Hochhäuser in New York zu verantworten hat. Aktionen wie die Tötung von Zivilisten lehne ich ab.

Besorgt Sie die zunehmende Anzahl syrischer Salafisten?

Dschalal: Nein. Aber ich möchte mich bei Ihnen im Namen der syrischen Revolution entschuldigen, daß Sie von einer Salafistengruppe eingesperrt worden sind. Salafisten sind jene Muslime, die exakt das tun, was unser Prophet Mohamed, mögen Allahs Segen und Frieden auf ihm sein, vorgelebt hat. Er war ein friedlicher Mann, und wenn wir alle so handeln würden wie er, hätte die Revolution bereits gesiegt. Sie können sagen, daß auch ich Salafist bin.   

Sind Sie neben der Feder auch mit der Waffe gegen die syrische Armee vorgegangen?

Dschalal: Ja. Mit Kalaschnikows von den Beduinen habe ich mich mit Freunden in der Nacht hinter Bäumen versteckt, und die Kontrollpunkte beschossen. Später, als es zum Straßenkampf in Kaff-Rambel kam, habe ich meine Waffe an einen Fahnenflüchtigen übergeben, der über bessere Kampf-Erfahrung verfügte. Aber vergessen Sie nicht, daß unsere Gewalt eine Reaktion auf eine lange Vorgeschichte gewesen ist.

Was war genau geschehen?

Dschalal: Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben uns unerwartet Hoffnung gebracht. Schon Anfang März 2011 habe ich mit zwei Freunden heimlich Parolen gegen Baschar an die Wände gesprüht. Dann wurden in Deraa in Südsyrien Kinder bei einer ähnlichen Aktion verhaftet und mißhandelt. Kaff-Rambel war anschließend am 1. April 2011 der erste Ort in Nord-Syrien, der sich erhoben hat. Wir waren nur 200 oder 300 Leute, die nach dem Freitagsgebet demonstriert haben, aber es war ein tolles Gefühl. Eine Mischung aus Glück und Angst. So wie für die Amerikaner, als sie den Mond betreten haben.

Haben die Sicherheitskräfte geschossen?    

Dschalal: Nur in Luft. Und die Geheimdienstler haben Fotos gemacht. Als schließlich die Zahl der Protestierer auf 5.000 zugenommen hatte, kam am 04. Juli 2011 die Armee. Die Soldaten wurden von den Leuten freundlich empfangen – mit Essen und Süßigkeiten. Doch obwohl Sunniten, haben sie auf Demonstrationen geschossen, Leute verhaftet und Motorräder gestohlen. Fünf Wohnhäuser und 30 Geschäfte hat die Armee außerdem in Brand gesteckt. Als im August 2011 ein Aktivist erschossen wurde, kam es ab September 2011 zum Kampf.

Und dann?

Dschalal: Wir hatten keine Chance. Rund 50 Aktivisten sind in die Berge geflohen und haben einige Monate in Zelten gelebt. Eines Tages kam die Armee und schoß aus 200 Meter Entfernung. Wir konnten fliehen, aber ein Freund starb durch die Kugeln.

Wie kamen Sie zurück nach Kaff-Rambel?

Dschalal: In der Zwischenzeit hatten sich einige Assad-Soldaten dem Widerstand angeschlossen, und dafür gesorgt, daß sich die Armee nicht mehr aus ihren Stützpunkten traute. Im August 2012 haben wir sie dann vertrieben. Und die Verwüstungen kann man ja noch überall sehen.

Wie geht es nun weiter? Wären die Aufständischen einverstanden, mit der Regierung zu verhandeln?

Dschalal: Nein. Auf gar keinen Fall. Baschar lügt, sobald er den Mund aufmacht. Im letzten Jahr hat er den Ausnahmezustand für beendet erklärt. Und doch wurden danach mehr Menschen verhaftet und getötet als zuvor.

Also bleibt nur der Sturz des Regimes.

Dschalal: So Allah will.

Würde es anschließend ein islamisches System in Syrien geben?

Dschalal: Im Moment würde ich das türkische Modell bevorzugen, weil die Welt Angst vor einem islamischen Staat hat. Aber mit der Zeit werden wir ein gerechtes System aufbauen. So, wie es Mohamed Mursi in Ägypten tut.

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