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Gauguin verbrennen?

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Daß wir eine in Geschlechterfragen und Fragen der Sexualität gegensätzliche Gesellschaft sind, zeigt ein Blick in das Stadtbild und die aktuellen Diskussionen zum Thema. Positionen, Wertmaßstäbe und Meinungen prallen oft schroff aufeinander. Minirock-Schülerinnen begegnen verschleierten Müttern an der Supermarktkasse. Schwulenlobbyisten und Abtreibungsgegner geraten auf der Straße aneinander.

Und während Feministen und radikale Christen in der Bewertung der Institution Ehe oft konträre Auffassungen vertreten, verbünden sie sich im Zuge der Debatte gegen Prostitution und Pornographie zu einer puritanischen Allianz. Wollen die einen also den „Abbau von Geschlechterstereotypen“ erzwingen, so geht es den anderen darum, Sittlichkeitsvorstellungen des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Hier bekommen sie wiederum Widerspruch von Liberalen und jenen Konservativen, die einen weiteren Versuch wittern, die männliche Sexualität zu kriminalisieren.

Nun hat die Affäre um den einstigen Chefmahner im „Kampf gegen rechts“, Sebastian Edathy, auch zu einer Diskussion über die Verschärfung der Gesetze gegen Kinderpornographie geführt. So sind Vertreter der CDU mit dem Vorschlag vorgeprescht, Nacktbilder von Minderjährigen generell unter Strafe zu stellen.

Die Problematik nicht klein reden

Dies betrifft momentan noch den Verkauf und kommerziellen Vertrieb kindlicher Nacktdarstellungen. Und derartige Vorstöße dürften sich noch nicht auf den privaten Bereich beziehen, also zum Beispiel auf Urlaubsbilder eigener Kinder. Aber man muß bedenken – gerade in Deutschland mit seiner Gründlichkeit in allen Belangen –, daß stets noch werden kann, was noch nicht ist. Die Fixierung der Bevölkerung auf das Thema Pädophilie ist bereits so weit fortgeschritten, daß natürlichste, von nicht-sexueller Zuneigung geprägte Reaktionen gegenüber Kindern zunehmend unter Verdacht geraten.

Ein Bekannter berichtete mir vor Jahren, als Pädophilie gerade ein Medienthema wurde, daß er sich nicht mehr traue, Kinder von Bekannten zu streicheln und in den Arm zu nehmen. Er fühle sich dann beobachtet, sehe die Gefahr, mißverstanden zu werden. Ein befreundeter Vater erzählte mir einmal, daß er den ersten Schulweg, den sein kleiner Sohn allein absolvierte, heimlich begleitete. So wollte er überprüfen, ob der Junge alle Verkehrsregeln verinnerlicht hatte. Er lief also 50 Meter hinter dem Jungen und versteckte sich gelegentlich hinter einem Baum, wenn dieser sich umdrehte. Kurze Zeit später wurde er von einer Polizeistreife aufgegriffen und mußte dieser ins Revier folgen, um dort umständlich nachzuweisen, daß er der Vater des Jungen sei. Ein Zeuge hatte die Polizei wegen eines offensichtlichen Kinderschänders gerufen. Die Diskussion schwappt also längst in den privaten Bereich.

Nun soll die Problematik der Pädophilie und Kinderpornographie keinesfalls klein geredet werden, allerdings sollte man sich bewußt bleiben, daß falscher Aktionismus und Hysterie nicht unbedingt zum guten Ergebnis führen. Nicht jeder Konsument solcher Nacktbilder wird nämlich zwangsläufig zu einem Kinderschänder, und nicht jeder Kinderschänder muß zuvor Kinderpornographie konsumiert haben. Andernfalls wäre das Phänomen der Päderastie ja auch erst im Zuge der modernen Medienentwicklung entstanden und nicht ein Jahrhunderte altes. Pädophile werden sich nicht durch Bilderverbote bremsen lassen. Und auf falsche Gedanken kommen bislang noch nicht derart gepolte Charaktere vermutlich weniger durch irgendwelche Fotos, als vielmehr durch die allseits präsente Medienskandalisierung des Themas. Tabus reizen jene, die rücksichtslos Grenzen überschreiten wollen. Diese Tabus erfahren sie durch die dauernde Thematisierung in Medien. Differenzierung ist also nötig.

Gefahr für das künstlerische Kulturerbe

Die konsequente Verfolgung von Kindesmißbrauch und auch das Verbot von Kinderpornographie sind dennoch richtig, zumal auch viele Bilder unter kriminellen Bedingungen produziert werden und die Kinder noch nicht selbstbestimmt über die Ablichtung ihres Körpers entscheiden können. Die Gesetze hierzu bestehen aber längst und müssen nur angewendet werden. Die Gefahr ist allerdings, daß sich im Zuge dieser Debatte um ein kleines Minderheitenproblem ein neuer Puritanismus formiert, der Verklemmung im gesamtgesellschaftlichen Umgang gegenüber Kindern fördert und dem ein Großteil unseres kulturellen Erbes zum Opfer fallen könnte.

Diese Gefahr liegt nicht allein darin, daß eine feministisch-christliche Allianz zu diesem Anlaß beispielsweise bereits bestehende Bestrebungen zum „Verbot aller Arten von Pornographie in den Medien“ wieder aufnehmen könnte. Diese könnten sich dann bald gegen jedes Pin-up-Mädchen, jede Bauchtänzerin, jede Darstellung von Nacktheit erwachsener Modelle richten, wenn denn eine solche Bewegung eine gewisse Dynamik entfaltet. Puritaner könnten im Zuge der Pädophilie-Debatte aber noch viel weiter auch auf das private Leben zugreifen. Dann könnte der Besuch von Minderjährigen in Saunen untersagt werden, FKK-Strände müßten schließen, denn überall könnten ja irgendwelche Pädophilen lauern, denen man so vorbeugen müsse. Auch begegnen uns täglich Prospekte von Modehäusern mit Kinderbekleidung, in denen Minderjährige in Bikinis und Bademoden abgebildet werden. Sollen selbst diese verboten werden, weil sich Pädophile auch daran erregen könnten?

Eine weitergehende Gefahr zielt auf das künstlerische Kulturerbe Europas. Die, im Gegensatz zu manch einstiger Sittenstrenge, freizügige öffentliche Kunst seit der Renaissance dürfte von den Neopuritanern ohnehin nur ungern gesehen werden. Vorerst beschränkt sich hier die Gefahr allerdings auf Darstellungen von Kindern. Zwar ist bislang klar geregelt, daß Pornographie bei „unnatürlichen“ und „aufreizenden Posen“ beginne, doch auch diese Kriterien sind natürlich interpretier- und ausweitbar.

Moderne Zeitgeistdiskussionen wird der Kunst nicht gerecht

Das Museum Folkwang in Essen sagte zum Beispiel bereits eine nach heutigen Geschmack sicherlich zweifelhafte Schau des französischen Künstlers Balthus (1908-2001) ab, die Fotos einer halbnackten Minderjährigen in zweideutigen Posen gezeigt hätte. Bislang gehören die Fotografien des Amerikaners Jock Sturges in den geschützten Bereich der Kunst. Die Fotos hängen in Kunstmuseen, die Bildbände sind im Buchhandel erhältlich. Es mag nicht auf jeden so wirken, da die Bilder zweideutig interpretierbar sein mögen. Mir erscheinen sie als völlig unschuldig, wie der Blick in das Paradies, eine Welt vor dem Sündenfall. Da Sturges aber auch oft nackte Kinder fotografiert, könnte sich diese Einschätzung irgendwann rasch ändern und zu Verboten führen.

Auch weitere Kinderdarstellungen, so die Sorge von vielen Museumsdirektoren, könnten aus öffentlichen Ausstellungsbereichen entfernt werden. Man denke an die zahlreichen Putten in barocken Kirchen oder Caravaggios „Amor als Sieger“ (1602). Oder an die Akte des „Brücke“-Malers Ernst Ludwig Kirchner, an jene von Egon Schiele, von Fidus oder von Paul Gauguin, der mit einer 13jährigen Tahitianerin zusammenlebte, die ihm auch als Modell diente. Es sind Bilder, die er in einer anderen Zeit und einer anderen Kultur schuf, die keine moderne europäische Volljährigkeitsregel kannte. 2011 versuchte bereits eine durchgedrehte Puritanerin ein Gauguin-Gemälde in Washington mit dem Hinweis auf die gezeigte Nacktheit und den Lebensstil des Malers zu zerstören.

Kunst ist stets auch in einem spezifischen historischen und kulturellen Kontext entstanden. Sie allein an heutigen Wertmaßstäben oder momentanen Zeitgeist-Diskussionen zu messen, würde ihr nicht gerecht werden. Es wäre zudem nicht auszudenken, was passieren könnte, würde sich die Kinderschänder-Problematik irgendwann zur bilderstürmerischen Hysterie ausweiten. Den wirklichen Opfern von Kindesmißbrauch wäre damit keinen Deut geholfen.

 

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