Deutschland galt lange Zeit als wolfsfrei. Mitte des 19. Jahrhunderts war man sich sicher, den Wolf ausgerottet zu haben. Vereinzelte Wolfssichtungen führten zur umgehenden Bejagung der Tiere. 1980 kam es in der Bundesrepublik zu einem Kurswechsel und der Wolf gilt seitdem als strenggeschützte Art. Gleiches gilt seit der Wiedervereinigung auch für das Gebiet der ehemaligen DDR, in dem noch bis 1990 einzelne Wölfe erlegt wurden.
Das erste Wolfspaar siedelte sich im Jahr 1998 in Sachsen an und bekam im Jahr 2000 den ersten Nachwuchs. Seitdem steigt die Population der Wölfe massiv an. Derzeit ist das Wachstum exponentiell, die nachgewiesenen Territorien vergrößern sich um rund 32 Prozent jährlich. Die meisten Tiere befinden sich derzeit noch in den nördlichen und östlichen Bundesländern. So konzentriert sich das Wolfsvorkommen auf Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Spitzenreiter bei der Anzahl der Wölfe ist Brandenburg mit 47 Rudeln, gefolgt von Niedersachsen mit 34 und Sachsen mit 31 Rudeln.
Derzeit leben in Deutschland offiziell bestätig 161 Wolfsrudel. Das sind drei mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen 43 Wolfspaare, acht mehr als im Vorjahr, und 21 Einzeltiere, eins weniger als im Vorjahr. Insgesamt sind das 1.175 Wölfe, die zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland leben.
Wolfsangriffe auf Nutztiere nehmen zu
Im gleichen Maße, in der die Population ansteigt, steigen auch die Angriffe auf Nutztiere. Ein ausgewachsener Wolf benötigt etwa vier Kilogramm Fleisch pro Tag. Einen hohen Anteil des Bedarfs kann er durch Wildfleisch decken, nach Schätzungen der deutsche Wildtierstiftung etwa 80 Prozent. Aber die eingezäunten Weidetiere sind eine willkommene Abwechslung und, in Abhängigkeit der Herdenschutzmaßnahmen, leichte Beute.
Hierbei geraten zwei unterschiedliche Aspekte des Naturschutzes miteinander in Konflikt. Auf der einen Seite der Wolf, als streng geschützte Art, und auf der anderen Seite die extensive Weidewirtschaft, die einen wertvollen Beitrag zur Biodiversität in unserer Kulturlandschaft leistet. So sind zum Beispiel die geschützten Heideflächen auf die Beweidung angewiesen.
Im vergangenen Jahr kam es zu 975 Angriffen von Wölfen auf Nutztiere. Dabei wurden 3.374 Tiere getötet oder verletzt.
Annäherung an Menschen birgt Gefahren
Der Landesbauernverband Brandenburg rechnete im Jahr 2020 die entstandenen Kosten für Präventions-, Management-, Entschädigungs- und Akzeptanzförderungsmaßnahmen auf den einzelnen Wolf herunter und kam auf 6.600 Euro pro Tier. Dies läßt sich nicht exakt auf jedes andere Bundesland übertragen, weil es beispielsweise Unterschiede in der Förderhöhe von Herdenschutzmaßnahmen gibt, verschafft aber ein Gefühl für die Kosten, die mit dem Anstieg der Wolfspopulation einhergehen.
Ein weiteres Konfliktfeld ist die Annäherung des Raubtieres an die Siedlungsflächen des Menschen. Es ist kein untypisches Verhalten für Wildtiere, daß sie bei Ihrer Suche nach Nahrung Richtung menschlicher Behausungen ziehen. So kommt es häufig vor, daß sich Wildschweine in Gärten verirren oder der Waschbär Mülltonnen plündert. Meist verlieren die Tiere hierdurch aber nicht ihre Scheu vor dem Menschen. Der Verlust der Scheu geschieht jedoch beispielsweise durch aktives Füttern.
In solchen Fällen kann es durchaus zu gefährlichen Begegnungen zwischen Menschen und Wölfen kommen. Zunächst wird dann versucht, das Tier nachhaltig zu vergrämen, beispielsweise mit lauten akustischen Signalen oder dem Beschuß mit Gummigeschossen. Sollte dies keinen Erfolg haben, kann die Tötung des Tiers angeordnet werden – diese Option tritt in Deutschland nur sehr selten ein.
Der Wolf ist anpassungsfähig
In dem Untersuchungszeitraum 2021/2022 verendeten insgesamt 148 Wölfe. 102 davon durch Verkehrsunfälle, 18 auf natürlichem Wege, acht durch illegale Tötung und zwei durch die Entnahme als Mittel von Managementmaßnahmen. Bei fünf Tieren ist die Todesursache noch ungeklärt. Zusätzlich zum Konfliktfeld der Weidetierhaltung verdeutlicht die hohe Anzahl an „Verkehrsopfern“ die Probleme, vor denen der Wolf in unserer Kulturlandschaft steht.
Das Territorium eines Wolfes richtet sich immer nach der Beutetierdichte. Je mehr Beute vorhanden ist, desto weniger muß der Wolf umherstreifen. Dabei ist der Wolf äußerst anpassungsfähig in Bezug auf seine Habitatstrukturen – er kann zurecht als Generalist bei der Auswahl seiner Lebensräume bezeichnet werden: Mit Ausnahme weniger hochalpiner Standorte, hat der Wolf durchaus die Chance, flächendeckend in Deutschland zu siedeln.
Weltweit zeigt sich, daß er auch in der Lage ist, suburbane und urbane Räume zu bevölkern, tritt ihm der Mensch nicht entgegen. Die Reviergrößen bewegen sich in Mitteleuropa aber dennoch zwischen 100 Km² und 350 Km². Nimmt man sich eine Karte der Bundesrepublik zur Hand und legt dabei besonderes Augenmerk auf die Dichte der Verkehrsinfrastruktur, werden einem schnell die Probleme bewußt, vor dem die Tiere stehen.
Fundiertes Wildmanagement ist notwendig
Insgesamt verdeutlicht die Rückkehr des Wolfes bereits in dem heutigen Ausmaß eine Vielzahl von Spannungsfeldern. Sei es mit der Landwirtschaft, dem Natur- und Artenschutz, der Jagd oder der menschlichen Siedlungsstruktur. Die Politik muß sich die Frage stellen, wie viele Wölfe wir an welchen Orten zulassen können und wollen. Nur so werden gravierende Probleme zu vermeiden sein. Nicht alle Gebiete in Deutschland sind geeignet; sei es durch infrastrukturelle Gegebenheiten oder durch Anforderungen, die Naturschutz und Landwirtschaft stellen. Darüber hinaus müssen die Herdenschutzmaßnahmen angepaßt und verbessert werden. Zudem müssen Landwirte, Förster und Jäger im Umgang mit dem Wolf geschult werden. Eine Verminderung der Schadensfälle und eine gute Informationslage werden in der Bevölkerung zu einer höheren Akzeptanz gegenüber den Tieren führen.
Nicht vernachlässigt werden darf, daß der Wolf ein Raubtier ist, das dem Menschen potentiell, wenn auch äußerst selten, gefährlich werden kann und das auf verschiedenen Ebenen mit menschlichen Interessen in Konflikt tritt. Wichtig ist, daß trotz aller Emotionen in der Debatte ein wissenschaftlich fundiertes Wildmanagement entwickelt werden muß, wie es auch bei anderen Arten der Fall ist.
Wir werden uns an das Leben mit Isegrim gewöhnen müssen, aber dazu ist eine realistische Zielsetzung bei der Wiederbesiedlung und ein aktives Management zwingend notwendig.