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Rätsel gelöst: Volkslied „Heidschi Bumbeidschi“: Türkenterror statt Weihnachtsfriede

Rätsel gelöst: Volkslied „Heidschi Bumbeidschi“: Türkenterror statt Weihnachtsfriede

Rätsel gelöst: Volkslied „Heidschi Bumbeidschi“: Türkenterror statt Weihnachtsfriede

Weihnachtsthema: Figuren Mutter Maria mit Jesuskind, osmanische Eroberer und Besatzer beim Einzug in Byzanz/Konstantinopel 1453, „Heidschi Bumbeidschi“: Nicht Weihnachtslied, sondern Volkslied, Foto: picture alliance/dpa, imageBroker, Oleksandr Latkun & akg images
Weihnachtsthema: Figuren Mutter Maria mit Jesuskind, osmanische Eroberer und Besatzer beim Einzug in Byzanz/Konstantinopel 1453, „Heidschi Bumbeidschi“: Nicht Weihnachtslied, sondern Volkslied, Foto: picture alliance/dpa, imageBroker, Oleksandr Latkun & akg images
Mutter Maria mit Jesuskind, osmanische Eroberer: Nicht Weihnachtslied, sondern Klage- und Volkslied, Foto: picture alliance, imageBroker, O. Latkun & akg images
Rätsel gelöst
 

Volkslied „Heidschi Bumbeidschi“: Türkenterror statt Weihnachtsfriede

Als Weihnachtslied verkannt, als Einschlaflied verharmlost – die beliebte deutsche Weise „Aber Heidschi Bumbeidschi“ birgt in Wahrheit ein dunkles Geheimnis. In dem sanften Volkslied lebt die Erinnerung an eine schreckliche Zeit in unserer Geschichte fort.
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Die Weihnachtszeit bringt vielleicht das Schönste, was das Brauchtum der Deutschen zu bieten hat. Besondere Bedeutung kommt dabei unserem Liedgut, aber nicht nur dem Volkslied, sondern auch unseren mannigfaltigen Weihnachtsliedern zu: Ein Kulturschatz, um den wir in der Welt beneidet werden und der von Ausländern anerkennend mit dem heimeligen Begriff „deutsche Gemütlichkeit“ belegt ist.

Bei der großen weihnachtlichen Liedpalette fällt natürlich zunächst das beliebteste und zugleich weltweit verbreiteste Weihnachtslied „Stille Nacht“ auf, dessen Geburt das Jahr 1818 war. Vom Hilfspfarrer Joseph Mohr komponiert und im Lungautal bei Salzburg in Mariapfarr in der Mitternachtsmette des 24. Dezember uraufgeführt, begann dies sich in Herz und Seele der Zuhörer ausbreitende Lied seinen Siegeszug um die Welt. Es handelt zwar im Kern von der Geburt des christlichen Erlösers Jesus Christus doch gleichzeitig ist es auch Lied der Sehnsucht nach Frieden und der Besinnung. Mittlerweile wurde es in über 300 Sprachen und Dialekte übersetzt.

Doch gibt es auch ein Lied, das sich im Laufe der Zeit aufgrund seines mehrdeutigen Textes ins Repertoire der Weihnachtslieder durch „Fügungen der Geschichte“ – quasi ungewollt – eingeschlichen hat: „Aber Heidschi Bumbeidschi“, ein Volkslied bairischer Mundart, das seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Bayern und Österreich überliefert ist.

Heidschi Bumbeidschi: Volkslied wird Schlagerhit

Über Jahrzehnte hinweg haben Musiker und Musikproduzenten dieses einfühlsame Lied für sich und ihre Zwecke „zurechtgebogen“. Die etwas ältere Generation kennt das Lied noch als Ballade aus dem TV-Stadl als volkstümlichen Schmuseschlager von den vier Flippers, die es etwa 1987 auf ihrem Album „Die Flippers feiern Weihnachten“ veröffentlichten. Oder vom seinerzeit in Deutschland äußerst populären holländischen Kinder- und Jugendstar Heintje, der 1968 mit einer umgetexteten Version wochenlang Platz eins der hiesigen Schlagerhitparade beherrschte. Auch die Interpretationen von Peter Alexander (1965) und Andrea Berg (1999) schafften es in die Charts. Immer wieder tauchte es auf Alben wie „Die schönsten Weihnachtslieder“ auf und wird in der Tradition der weihnachtlichen Krippenlieder gesungen. Und so glaubten immer mehr, es handele sich tatsächlich um ein Weihnachts- oder Adventslied.

Doch diese so harmlos wirkende Schlummer- und Wiegenweise beinhaltet eine finstere und gewaltvolle historische Dimension, die jedoch weithin unbekannt ist und bis vor kurzem auch rätselhaft war. Denn der Forschung und Musikwissenschaft ist es erst in den letzten Jahren gelungen, seine Herkunft vom Inhalt her genau einzugrenzen und zu entschlüsseln. Beschäftigt man sich mit dem Text und deutet ihn, dann stellt sich die Frage: Träumt das Kind nur vom Himmel – oder ist das Lied in Wahrheit eine Totenklage?

Eine Deutung hatte sich die These zu Eigen gemacht, es handele sich um ein Totenlied. Wobei der Text Bezug nehme auf die hohe Säuglingssterblichkeit. Doch diese war vor circa 500 Jahren bis ins 20. Jahrhundert hinein Alltag, wie im Übrigen auch die hohe Sterblichkeitsrate unter Müttern im Kindsbett. Eine solche Deutung erscheint also wenig stichhaltig und plausibel.

Rätsel um Heidschi Bumbeidschi entschlüsselt

Der Schlüssel zur Lösung des Rätsels um die Herkunft des Liedes liegt bereits in seinem Titel: mit den beiden ursprünglichen Begriffen „Hadschi“ und „Bombaschi“, die im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte verändert wurden, etwa zu „Hatschi Bumbeidschi“ oder „Heidschi bubeitschi“. Sei es aufgrund phonetischer Veränderung vom türkischen in die deutsche Sprache oder österreichischen Dialekt; oftmals auch bezeichnet als eine Vocalypse (Klang- beziehungsweise Lautverschiebung). Auch die mittelalterliche Aussprache trägt nicht unwesentlich dazu bei.

Der Begriff „Bombaschi“ stellt letztlich eine Bezeichnung, ein Titel für einen hochgestellten Anführer dar, nämlich der osmanischen Besatzungstruppen auf dem Balkan. Hierin liegt die Bezugnahme zum Reich der Osmanen, das nach der Eroberung von Byzanz (Konstantinopel) im Jahre 1453 und dem weiteren Feldzug nach Mitteleuropa, wo seine Truppen im sogenannten Ersten Türkenkrieg 1529 und dem Zweiten von 1683 bis vor Wien gelangten.

Eine besondere Rolle spielte hierbei die Truppe der Janitscharen (i A Yebiceri Ocagi, zu Deutsch „Janitscharenkorps“ = wörtlich: „Feuerstelle der neuen Truppe“), eine Elitetruppe des damaligen osmanischen Heeres, die  ihren Ursprung im 14. Jahrhundert hat: Sie stellten die Leibwache des Sultans und erreichten im Laufe der Geschichte des Reichs höchste Positionen im Staatswesen.

Entführung, Gehirnwäsche und Zwangislamisierung

Um die Reihen der gefürchteten Truppe zu füllen, wurden ab 1438 systematisch Knaben unterworfener christlicher Völker zwangsrekrutiert (die sogenannte „Knabenlese“), wobei hauptsächlich vom Balkan – vor allem aus Serbien, Bosnien, Bulgarien und Albanien – stammende Jungen im Alter von 6 bis 10 Jahren ausgewählt, ihren Familien entrissen und zur Zwangsislamisierung sowie Erziehung ins Osmanische Reich verschleppt wurden. Dabei war die „Knabenlese“ im heutigen Sinn eine Bestenauslese: die Ausgewählten mußten über gute Gesundheit, einen belastbaren Körperbau und rasche Auffassungsgabe verfügen.

Doch durften sie nicht zu jung und gleichfalls auch nicht zu alt sein. Denn man sammelte sie in einem osmanischen Zentrum bei Istanbul, wo sie im Geiste des Islam mit Brachialgewalt erzogen und einer harten militärischen Ausbildung, einem heute kaum vorstellbaren Drill unterworfen wurden. Das setzte zunächst eine – wie wir heute sagen würden – Gehirnwäsche voraus, die ihre familiäre und kulturelle Identität sowie Wesensart brach und auslöschte. So entstand diese berühmte, äußerst grausame und deshalb gefürchtete Elitetruppe.

Unverzichtbar war auch ein affiner Anführer, den der Bombaschi in jeder Beziehung verkörperte. Denn sein im Namen vorangestellter moslemischer Titel Hadschi weist seine herausragende Stellung aus. Da den ehrfurchtsgebietenden Titel Hadschi im Islam nur der Gläubige tragen darf, der als Pilger das zentrale Heiligtum der Kaaba in Mekka (heute Saudi-Arabien) besucht hat, also an einer Hadsch teilgenommen hat: Einmal im Leben soll(te) jeder Moslem so nach Mekka pilgern.

Den Grundstein für das Heiligtum, so glauben es die Muslime, hat der Patriarch Abraham gelegt, der biblische Stammvater der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam. Wobei die Diskussion, ob es sich beim Islam um weit mehr handelt als nur um eine Religion, sondern vielmehr um eine Ideologie, dahingestellt sei.

Klagelied einer Mutter als Volkslied

Zur Zeit der Janitscharen war es sehr hochgestellten moslemischen Persönlichkeiten vorbehalten, eine Hadsch zu unternehmen, allein schon aus finanziellen Gründen und wegen des langen Anreisewegs, der Unterbringung in Mekka und der nötigen, sichernden militärischen Begleitung. Zudem war, wer ein Hadschi war, schon fast zwangsläufig religiös verblendet, oftmals ein religiöser Fanatiker.

Wirft man nun einen genaueren Blick auf den Text des Liedes, insbesondere auf die 4. Strophe, so wird deutlich, daß es sich nicht um ein Weihnachts- sondern tatsächlich um ein Klagelied handelt: Denn da beweint eine Mutter, deren Sohn offenbar Opfer der osmanischen Knabenlese wurde mit „Aber Heidschi Bumbeidschi ist kommen und hat mir mein Büblein mitgenommen. Er hat mir‘s genommen und hat‘s nicht mehr gebracht, drum wünsch‘ ich mein Büblein eine recht gute Nacht“, so der hochdeutsche Text. Im österreichischen Dialekt wird das noch deutlicher:

„Da Heidschi Bumbeidschi is kummen, und er hat mir mein Büaberl mitg’nummen, er hat mir’s mitg’nummen und hat’s neamma bracht…“

Heidschi Bumbeidschi ruft Erinnerung an Weltkrieg wach

Für die Deutung des Textes mit „Kindstod“ oder „Totengebet“ bleibt da kein Raum. Der Sachverhalt erinnert vielmehr etwa an den Zweiten Weltkrieg, als an der Front kämpfende Ehemänner im Felde blieben, also fielen und folglich nicht mehr nach Hause zurückkehrten, ohne daß die Ehefrau in der Heimat Nachricht über den Verbleib erhielt, weil das Wissen darum in den Wirren der Kämpfe verloren ging. Es handelt sich also um das Thema des Vermissten, was oft größere seelische Wunden bei den Angehörigen hinterließ, als die Nachricht „Im Kampf fürs Vaterland gefallen“, da die Trauernden so nicht mit dem Schicksal abschließen können und noch nach Jahren und Jahrzehnten – in den meisten Fällen vergeblich – auf eine Rückkehr hoffen.

Diese geschichtlichen Zusammenhänge bilden die Grundlage zur Beurteilung der heutigen Fassung dieses angeblichen „Weihnachtsliedes“. Doch diese historische Dimension ändert nichts an der musikalischen Schönheit von „Aber Heidschi Bumbeidschi“. Vielleicht ist es gerade die volkstümliche Schlichtheit, die in unsere Seele so anheimelig einzudringen und unser Herz zu rühren vermag. Wie stellte Ludwig van Beethoven doch so treffend fest: „Musik muß zum Herzen sprechen – nicht zum Kopf.“
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Dr. Ullrich Westerhagen ist Opernsänger und Autor mehrerer Bücher, darunter „Traumumwobene Weihnachtszeit. Gedanken und Gedichte zum Fest“ (2021). 

Mutter Maria mit Jesuskind, osmanische Eroberer: Nicht Weihnachtslied, sondern Klage- und Volkslied, Foto: picture alliance, imageBroker, O. Latkun & akg images
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