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Ermordung Walther Rathenaus: „Er hatte keinen Boden unter den Füßen“

Ermordung Walther Rathenaus: „Er hatte keinen Boden unter den Füßen“

Ermordung Walther Rathenaus: „Er hatte keinen Boden unter den Füßen“

Der frühere Außenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau: Nach weniger als einem halben Jahr im Amt fiel er einem politischen Attentat zum Opfer
Der frühere Außenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau: Nach weniger als einem halben Jahr im Amt fiel er einem politischen Attentat zum Opfer
Der frühere Außenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau: Nach weniger als einem halben Jahr im Amt fiel er einem politischen Attentat zum Opfer Foto: picture-alliance/ dpa
Ermordung Walther Rathenaus
 

„Er hatte keinen Boden unter den Füßen“

Vor hundert Jahren wurde Walther Rathenau, Außenminister der Weimarer Republik, bei einem politischen Anschlag getötet. In seinen Erinnerungen skizziert der Autor Stefan Zweig den Politiker als kunstsinnigen Intellektuellen mit unerwarteten Selbstzweifeln.
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Verrat an der deutschen Nation – so lautete der Vorwurf der kaltblütigen Attentäter der Organisation Consul des Kapp-Putschisten Hermann Ehrhardt gegen Walther Rathenau. Das sollte am 24. Juni 1922 dessen Todesurteil sein. Sie sahen in dem Anfang desselben Jahres ernannten jüdischen Außenminister der Weimarer Republik einen Erfüllungsgehilfen für den von ihnen verfemten Vertrag von Versailles. Eine Sonderausgabe der Vorwärts schilderte damals die dramatischen Ereignisse:

„Als Dr. Rathenau heute vormittag um elf Uhr sein Automobil vor seinem Hause in der Königsallee im Grunewald bestiegen hatte, näherte sich von der entgegensetzten Seite ein elegantes Privatautomobil, das den Wagen des Ministers bis zur Königsallee, Ecke Wallotstraße, verfolgte. Hier überholte das Privatautomobil, in dem sich drei Leute mit dunklen Brillen befanden, das Automobil des Ministers. In demselben Augenblick, als das Auto in die Wallotstraße einbog, erhob sich einer der bebrillten Leute und warf eine Handgranate in das Auto des Ministers. Die Granate explodierte. Rathenau richtete sich einen Augenblick auf und brach dann zusammen. Der Chauffeur fuhr mit dem sterbenden Minister sofort in dessen Wohnung zurück, während einige Passanten die Verfolgung des flüchtigen Autos aufnahmen.“

Dem Sohn des Großindustriellen und AEG-Gründers Emil Rathenau, der im Ersten Weltkrieg Aufsichtsratschef des Unternehmens war, genügte seine Existenz als privilegierter Vermögenserbe nicht. Er neigte wie ein fleischgewordener Vertreter der zweiten Generation der Buddenbrooks in Thomas Manns gleichnamigem Roman Kunst und Kultur zu. Er veröffentlichte, wie auch der berühmte Lübecker, beim Verlag S. Fischer. Fließend sprach er neben seiner Muttersprache Französisch, Englisch und Italienisch.

Zweig wurde auf Rathenaus Schreibtalent aufmerksam

Durch schillernde Aphorismen, die in Maximilian Hardens Magazin Die Zukunft erschienen, wurde der große österreichische Dichter und Biograph Stefan Zweig auf ein unter Pseudonym schreibendes neues Talent aufmerksam. Die Texte stammten von Walther Rathenau, der seit 1897 bei Harden publizierte. Es entstand ein Briefkontakt, in dem der 1867 in Berlin geborene Rathenau sich unsicher zeigte, ob er wirklich reif für ein eigenes Buch sei.

Der Wiener Schriftsteller rief den zögerlichen Schreiberling an, als er in Berlin zu tun hatte. Der wohlhabende Wirtschaftsvertreter reiste in dieser Zeit viel durch Afrika. 1907 und 1908 verschaffte er sich im Auftrag Kaiser Wilhelms II. einen Eindruck von der Lage in den südafrikanischen Kolonien. Keine Zeit also für ein spontanes Treffen? Stefan Zweig meint: „Dieser vielbeschäftigte Mann hatte immer Zeit.“ Trotz seines randvollen Terminkalenders machte Rathenau ein Treffen kurz vor Mitternacht möglich. Bis zwei Uhr am Morgen unterhielten sich die beiden Intellektuellen angeregt. Vier Stunden später brach Rathenau nach Afrika auf.

Universell gebildet und „weltkennerisch“

Der Autor des autobiographischen Werks „Welt von Gestern“ bilanzierte beeindruckt: „Ich habe ihn gesehen in den schwersten Kriegstagen und knapp vor der Konferenz von Genua und bin wenige Tage vor seiner Ermordung noch im selben Automobil, in dem er erschossen wurde, dieselbe Straße mit ihm gefahren. Er hatte ständig seinen Tag bis auf die einzelne Minute eingeteilt und konnte doch jederzeit mühelos aus einer Materie in die andere umschalten, weil sein Gehirn immer parat war, ein Instrument von einer Präzision und Rapidität, wie ich es nie bei einem anderen Menschen gekannt.“

Anschaulich und klar waren Rathenaus Sätze laut dem Literaten, als läse er von einem „unsichtbaren Blatt“ ab. Gäbe es ein Protokoll der Unterhaltung, hätte das aus Zweigs Sicht „ein vollkommen druckreifes Exposé ergeben“. Kaum jemand in seinem großen Bekanntenkreis sei so universell gebildet, so „weltkennerisch“ gewesen.

Aber er habe in dem vielseitig Begabten auch eine schwer erklärliche Unsicherheit wahrgenommen, denn „etwas war in dieser blendenden Helligkeit, in dieser kristallenen Klarheit seines Denkens, was unbehaglich wirkte wie in seiner Wohnung die erlesensten Möbel, die schönsten Bilder. Sein Geist war ein genial erfundener Apparat, seine Wohnung wie ein Museum, und in seinem feudalen Königin-Luisen-Schloß in der Mark vermochte man nicht warm zu werden vor lauter Ordnung und Übersichtlichkeit und Sauberkeit. Irgend etwas gläsern Durchsichtiges und darum Substanzloses war in seinem Denken; selten habe ich die Tragik des jüdischen Menschen stärker gefühlt als in seiner Erscheinung, die bei aller sichtlicher Überlegenheit voll einer tiefen Unruhe und Ungewißheit war.“

Rathenau war zwiespältige Persönlichkeit

Innere Konflikte und Widersprüche machte der Freund aus Wien aus, beschrieb den Rastlosen als einen Mann, der „keinen Boden unter den Füßen“ hatte. Sein Erklärungsversuch: Rathenau war eine zwiespältige Persönlichkeit: „Er hatte alle denkbare Macht geerbt von seinem Vater und wollte doch nicht sein Erbe sein, er war Kaufmann und wollte sich als Künstler fühlen, er besaß Millionen und spielte mit sozialistischen Ideen, er empfand sich als Jude und kokettierte mit Christus.“ Rathenau habe international gedacht und das Preußentum vergöttert. Sein Traum sei die Volksdemokratie gewesen.

Zweig resümierte: „So war seine pausenlose Tätigkeit vielleicht nur ein Opiat, um eine innere Nervosität zu überspielen und die Einsamkeit zu ertöten, die um sein innerstes Leben lag. Erst in der verantwortlichen Stunde, als 1919 nach dem Zusammenbruch der deutschen Armeen ihm die schwerste Aufgabe der Geschichte zugeteilt wurde, den zerrütteten Staat aus dem Chaos wieder lebensfähig zu gestalten, wurden plötzlich die ungeheuren potentiellen Kräfte in ihm einheitliche Kraft.“ Doch um diese gänzlich zu entfalten, blieb Rathenau keine Zeit.

Der frühere Außenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau: Nach weniger als einem halben Jahr im Amt fiel er einem politischen Attentat zum Opfer Foto: picture-alliance/ dpa
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