In Zeiten der Corona-Pandemie veränderten sich in Deutschland die argumentativen Parameter. Das Land, einst kapitalismuskritisch, wenn es um große Konzerne geht, sucht nicht zuletzt dank der Versprechen der Politik den Ausweg aus der Covid-Krise ausgerechnet in großen Konzernen, die über Jahrzehnte immer wieder für Skandale gesorgt haben. Ob krebserregende Babypuder, Bestechung von Ärzten und Apotheker oder das Vertuschen von kritischen Studien zu Medikamenten. Kaum ein Pandemie-Profiteur kam in seiner Geschichte ohne Skandale aus. Ein Unternehmen geriet hierbei immer wieder in die Schlagzeilen: der Covid-19-Vakzin Hersteller Pfizer.
1997 wurde die Schlankheitspille Fen-Phen vom Markt zurückgezogen, weil sie im Verdacht stand, tödliche Herzklappenschäden zu verursachen. Hersteller war die Firma Wyeth, die zu Pfizer gehört. Seit 1998 werden mehr als 20 Milliarden US-Dollar Entschädigung an die Opfer gezahlt – bis heute ein Rekordwert. Das hält Biontech-Pfizer jedoch nicht davon ab, sich mit seinem Impfstoff gegen Covid-19 Rekordgewinne einzustreichen. Doch das ist längst nicht alles.
Pfizer testete Trovan in Entwicklungsländern
Seit mehreren Jahrzehnten führen die Pharmariesen Medikamententests in Entwicklungsländern durch, zum Beispiel mit dem Antibiotikum Trovan. Genehmigt wurde dies von der damaligen Militärregierung in Nigeria, die sonst vor allem mit Gräueltaten Schlagzeilen machte. So ergab sich, daß in einer Kinderklinik von den 100 Probanden – allesamt waren kleine Kinder und Säuglinge – fünf starben. Sechs weitere Kinder verloren in einer Vergleichsstudie, in der ihnen ein anderes Mittel verabreicht wurde, ihr Leben. Zudem erlitten einige Kinder während des Tests Hirnschäden. Seit 1999 ist Trovan in Europa verboten.
Ein weiterer Skandal war, daß Pfizer kritische Studien bewußt verschleierte. Ganze zwölf Jahre Jahre lang vertrieb der Konzern das Medikament Edronax zur Behandlung von Depressionen, das de facto keine Wirkung entfaltete. Sieben von 17 durchgeführten Studien kamen zuvor zum Schluß, daß der Wirkungsgrad des Pharmazeutikums nicht über die Gabe eines Placebos hinausging. Mehr als ein Jahrzehnt setzten kranke Menschen ihre Hoffnung in eine Tablette, die ihren Zustand nicht verbessert hatte. Doch damit ist Pfizer noch lange nicht das einzige Pharmaunternehmen mit einer problematischen Vergangenheit.
Im Jahr 2000, als das Medikament Avandia zugelassen wurde, hinterfragte das Fachblatt British Medical Journal das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Blutzuckersenkers. Der Verdacht war ungeheuerlich: Es sollte bei Diabetikern Herzinfarkte hervorrufen. Die europäische Arzneimittelbehörde legte dem britischen Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) 2010 nahe, Avandia vom Markt zu nehmen. Zwar durfte in den USA das Medikament auf dem Markt bleiben, der Zugang für Patienten wurde aber erschwert, sprich, die Voraussetzung für eine Verschreibung massiv verschärft.
Alle mußten schon Milliarden für Entschädigungen aufbieten
Trotz Enthüllungen der New York Times bestreitet das der Hersteller hartnäckig. Dennoch einigte sich GSK mit US-Klägern auf eine Vergleichszahlung von 460 Millionen US-Dollar. Den Einstieg in das Milliardengeschäft der Corona Impfstoffe hat GSK verpaßt. Der zweite Anlauf ist jedoch im vollen Gange. Ein eigenes Vakzin soll als Konkurrent zum mRNA-Impfstoff von Biontech-Pfizer auf den Markt kommen.
Sehr schnell entwickelte sich Lipobay vom deutschen Pharmariesen Bayer zur „Cash Cow“ – zumindest zu Beginn. 1997 zugelassen, wurde das Medikament schnell einer der meistverordneten Blutfettsenker, weil es als preiswert und effektiv galt. Doch bald stellte sich heraus, daß die Nebenwirkungen nicht im Verhältnis zum Nutzen standen: Mehr als andere Blutfettsenker zerstörte es Muskelzellen – was die Nieren überlasten und zum Tod führen konnte. 31 Todesfälle in den USA wurden in Verbindung mit Lipobay gebracht.
Vier Jahre später nahm die Firma aus Leverkusen schließlich das Medikament vom Markt und zahlte wiederum vier Jahre später, 2005, rund 1,2 Milliarden Euro Schadenersatz. Ab 2011 folgten weitere Sammelklagen. Bayer war an Curevac beteiligt, ein Impfstoff, der sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Dennoch haben die Pillendreher aus Nordrhein-Westfalen ihr Engagement nicht aufgegeben, am Pandemiegeschehen Geld zu verdienen.
20 Menocil-Verbraucher starben
Das hat auch der US-Hersteller Merck & Co. vor. Das Unternehmen war zwar nicht am Impfstoff-Geschäft beteiligt, wird aber wohl in naher Zukunft mit dem „Anti-Corona“-Medikament Molnupiravir aufwarten. Doch auch dieser Pharmariese ist nicht vor Skandalen gefeit, was spätestens 2001 klar war: Das Schmerzmittel Vioxx erhöht das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Erst 2010 nahm Merck das Medikament vom Markt. Die US-Justiz kam beim Strafprozeß zu der Überzeugung, Merck habe das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterschlagen, um die Verkaufszahlen nicht zu gefährden. Bis zu 139.000 Patienten sollen in unmittelbarer Verbindung mit dem Mittel einen Infarkt erlitten haben, 55.000 Menschen aufgrund der direkten Behandlung.
Ebenso der Imfpstoffhersteller Johnson & Johnson (J&J) ist nicht frei von Skandalen. Ganz ohne Rezept erhielt man ab 1965 den Appetitzügler Menocil. Problem: Das Medikament verursachte im hohen Maße Herzkreislaufschäden und Lungenhochdruck. Übrigens: Menocil wurde in den USA schon in den 1950er Jahren von dem Pharmaunternehmen McNeil Laboratories unter dem Namen Aminorex entwickelt, dort aber nicht zugelassen. In Deutschland stellte die Firma Cilag-Chemie in Alsbach das Arzneimittel her. Mindestens 20 Menocil-Verbraucher starben. 850 erkrankten zum Teil schwer.
Johnson & Johnson bestach Apotheker
Ein weiterer großer Skandal von J&J hört auf die Namen Risperdal und Natrecor. Der Konzern bestach über Jahre systematisch Apotheker, um diese beiden Medikamente auch Personen zu empfehlen, für die das Schizophreniemittel und das Herzmedikament gar nicht geeignet waren. Unter den Betroffenen waren unter anderem verhaltensgestörte Kinder und behinderte Menschen. Im Zuge des Prozesses einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich von 2,2 Milliarden Dollar.
Beim aktuellsten und wohl bekanntesten Skandal aus dem Hause J&J handelt es sich um das eigene Babypuder. Der Vorwurf: Das Hygieneprodukt sei mit Asbest kontaminiert und verursache Eierstockkrebs. Das Puder wurde auch von erwachsenen Frauen zur täglichen Hygiene genutzt, von denen viele erkrankten und an den Folgen starben. Schon 2015 urteilte das Gericht in St. Louis, es sei erwiesen, daß Frauen aufgrund des Produktes häufiger an Krebs leiden würden.
Besonders pikant: Trotz Rekordumsatz von acht Milliarden Dollar aufgrund des Impfstoffgeschäftes meldete der Pharmakonzern Anfang November 2021 im US-Bundesstaat North Carolina Insolvenz an. Hintergrund sind die 38.000 Klagen gegen J&J – eben aufgrund des umstrittenen Babypuders. Mit dem Konkurs will der Konzern die Schadensersatzzahlungen umgehen, ein juristischer Kniff, der als „Texas Two-Step“ bekannt ist.
Die Deutschen jedoch scheint wenig zu stören, daß viele Pharmariesen, die am Geschäft mit der Pandemie beteiligt sind, seit Jahrzehnten in Skandale verwickelt sind, bei denen nicht selten sogar Menschen gestorben sind. Zu tief sitzt die Angst vor dem Coronavirus und zu vielversprechend sind die Verheißungen der Hersteller und der Politik. Doch die Skandale sind real. Auch in der großen Biontech-Pfizer-Studie des Covid-Impfstoffes wurde bekannt, daß es Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Das Unternehmen betonte, daß diese keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit und Gefährlichkeit des Vakzines haben sollen. Doch inwieweit man dieser Aussage angesichts der vielen Skandale trauen kann, darüber kann nur spekuliert werden.
JF 11/22