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Walisische Unabhängigkeitsbewegung: „Der rote Drache rückt vor“

Walisische Unabhängigkeitsbewegung: „Der rote Drache rückt vor“

Walisische Unabhängigkeitsbewegung: „Der rote Drache rückt vor“

"Unabhängigkeitsmarsch" von Yes Cymru in Cardiff, Mai 2019, mit der walisischen Nationalflagge und dem Löwenbanner des Owen Glendower - Owain Glyndŵr (etwa 1359 - etwa 1415), der als letzter walisischer Führer die Unabhängigkeit von England zu erkämpfen suchte Foto: Wikimedia/ Ifan Morgan Jones (CC BY-SA 4.0) https://bit.ly/3wBuhIO
"Unabhängigkeitsmarsch" von Yes Cymru in Cardiff, Mai 2019, mit der walisischen Nationalflagge und dem Löwenbanner des Owen Glendower - Owain Glyndŵr (etwa 1359 - etwa 1415), der als letzter walisischer Führer die Unabhängigkeit von England zu erkämpfen suchte Foto: Wikimedia/ Ifan Morgan Jones (CC BY-SA 4.0) https://bit.ly/3wBuhIO
„Unabhängigkeitsmarsch“ von Yes Cymru in Cardiff, Mai 2019, mit der walisischen Nationalflagge und dem Löwenbanner des Owen Glendower – Owain Glyndŵr (etwa 1359 – etwa 1415), der als letzter walisischer Führer die Unabhängigkeit von England zu erkämpfen suchte Foto: Wikimedia/ Ifan Morgan Jones (CC BY-SA 4.0) https://bit.ly/3wBuhIO
Walisische Unabhängigkeitsbewegung
 

„Der rote Drache rückt vor“

Im 18. Jahrhundert erwachte das walisische Nationalbewußtsein im Zuge einer „Keltischen Renaissance“ in Britannien. Doch politischen Einfluß konnten neue Parteien nicht gewinnen, was auch an der Treue der Arbeiterschaft zur Labour Party lag. Nach dem Brexit gerät die politische Landschaft nun in Bewegung.
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Daß es Wales gibt, wurde der Weltöffentlichkeit – zumindest der fußballbegeisterten – unlängst wieder in Erinnerung gerufen. Denn Wales war mit einem eigenen Team an der Europameisterschaft beteiligt, und das, obwohl es sich nicht um einen selbständigen Staat handelt. Ein Privileg, das Wales wie Nordirland, Schottland und England genießt, die zusammen das Vereinigte Königreich von Großbritannien bilden, das sich als Wiege des Fußballsports betrachtet.

Ansonsten spielt Wales aber weder im globalen noch im britischen Rahmen eine bedeutende Rolle. Sein Symbol – der rote Drache des legendären Artus – kommt nicht einmal im Wappen der Queen vor. Nur der Titel eines „Prince of Wales“ für den Thronfolger ruft gelegentlich in Erinnerung, daß es sich bei der Region im Westen der Hauptinsel um mehr als ein Anhängsel Englands handelt. Der gegenwärtige „Fürst von Wales“ wurde an diesen Sachverhalt bei seiner Erhebung am 1. Juli 1969 unsanft erinnert, als wütende Demonstranten die Feierlichkeiten zu stören suchten und – nicht selten auf Walisisch – Autonomie für Wales oder sogar die Loslösung von Großbritannien verlangten.

Der walisische Nationalismus wurzelt wie der der „Brudervölker“ der Iren und Schotten in der „Keltischen Renaissance“, die seit dem 18. Jahrhundert zum „Erwachen“ von Völkern führte, die man als historische Subjekte fast verschwunden glaubte. Da in Wales die angestammte Sprache sehr weitgehend erhalten geblieben war, konnte hier eine Führungsschicht entstehen, die glaubhaft an ein altes kulturelles Erbe anknüpfte. Entscheidende Bedeutung kam dem 1792 gegründeten „Gorsedd Y Beirdd“, dem „Thron der Barden“ zu, einer Vereinigung von Neo-Druiden und -Barden, die in der Folge begann, ein rasch populäres Nationalfest – das „Eistedfodd“ – auszurichten, das wesentlich zur Stärkung des walisischen Patriotismus beitrug.

Walisische Arbeiter blieben der Labour Party treu

Anders als die irische blieb die walisische Bewegung aber in politischer Hinsicht zurückhaltend. Das galt für das „Young Wales“ der Dichter und Intellektuellen genauso wie für die 1886 von liberalen Bürgern gebildete Partei Cymru Fydd – „Wales der Zukunft“, die mit dem Verlangen nach einer Föderalisierung Großbritanniens nie eine größere Anhängerschaft gewinnen konnte. Eine wesentliche Ursache dafür war, daß sich Ober- und Mittelschicht längst anglisiert hatten und die Arbeiterschaft – auch und gerade im weiter walisischsprachigen Norden – der Labour Party folgte.

Propagandamaterial von Plaid Cymru aus den 1970er Jahren Foto: Archiv des Verfassers
Propagandamaterial von Plaid Cymru aus den 1970er Jahren Foto: Archiv des Verfassers

Eine gewisse Veränderung der Situation folgte erst unter dem Eindruck der großen Krisen der Zwischenkriegszeit. Bereits 1922 entstand Urdd Gobaith Cymru, die sehr erfolgreiche „Walisische Jugendliga“, die vor allem gegen die Ächtung des Walisischen im Unterricht kämpfte (dem, der in der Schule „Kymrisch“ sprach, wurden üblicherweise die Buchstaben „W“ und „N“ für „Welsh Not“ angeheftet). Drei Jahre später bildeten Nationalisten Plaid Cymru (PC) – die „Partei von Wales“. Wie fast alle regionalistischen Gruppierungen hat PC in ihrem Programm linke neben rechten Positionen vertreten. So propagierte man in den 1930er Jahren Pazifismus und umfassende soziale Reformen, aber gleichzeitig gab es Aktivisten, die mit einem faschistischen Modell sympathisierten.

Stärkeren politischen Einfluß gewann PC nie. Was auch mit der Treue der walisischen Arbeiter gegenüber der Labour Party zusammenhing. Die wankte nicht einmal, als die erste Labour-Regierung in London, kaum an der Macht, prompt das Versprechen eines Autonomiestatuts brach. Eine besondere Loyalität, die in der Folge sogar den Niedergang von Bergbau und Schwerindustrie und die lange Phase der Massenarbeitslosigkeit überstand, die in eine Verelendung des ganzen Landes zu münden drohte. Daß es in Wales kein Aufflammen des Nationalismus gab, hatte aber wahrscheinlich auch mit den geschickten Konzessionen der Zentrale zu tun, selbst wenn die in erster Linie symbolischer Art waren. Königin Elisabeth gewährte früh das Recht, die weiß-grüne Fahne samt rotem Drachen an öffentlichen Gebäuden zu hissen, und 1967 wurde mit der Welsh Language Bill das Walisische als offizielle Sprache anerkannt.

Wunsch nach einer Volksabstimmung wächst

Zu dem Zeitpunkt schien auch Plaid Cymru aus dem politischen Schatten zu treten. 1966 gelang es ihr bei Unterhausnachwahlen erstmals, einen Sitz zu gewinnen und sich in der Folge als Vertretung der nationalen Waliser zu etablieren. Nur scheiterte sie mit allen weitergehenden Forderungen. Selbst auf die Dezentralisierung Großbritanniens und die Einrichtung eines Regionalparlaments reagierten die Waliser verhalten.

Fassade des Wales Millenium Centre bei Nacht mit der walisischen Inschrift CREU GWIR GWYDR O FFWRNAIS AWEN ("Glas ist so klar wie Glas, geläutert in den Flammen der Inspiration") und der englischen Inschrift “IN THESE STONES HORIZONS SING” Foto: Archiv des Verfassers
Fassade des Wales Millenium Centre bei Nacht mit der auf Deutsch lautenden Inschrift  „Die Wahrheit ist so klar wie Glas, geläutert in den Flammen der Inspiration“  Foto: Archiv des Verfassers

Anfang des 21. Jahrhunderts meinten deshalb viele Beobachter, daß sich der walisische Nationalismus erledigt habe. Dafür sprach auch, daß Plaid Cymru zwar anfangs ein Drittel der Sitze in der „Nationalversammlung“ einnehmen konnte, doch rasch die Fundamentalopposition aufgab und mit Labour eine Regierung bildete.

Vielleicht hat der Anpassungskurs der wichtigsten Kraft des walisischen Nationalismus aber auch den Raum für neue Bewegungen geöffnet. Nach dem „englischen“ Brexit entstand die überparteiliche „Yes Cymru“. Mit 19.000 Mitgliedern ist sie heute die zweitgrößte politische Organisation in Wales nach der Labour Party. Offenbar beflügeln die Bestrebungen in Nordirland, auf irgendeine Weise in die EU zurückzukehren, und die Vehemenz, mit der viele Schotten die Souveränität „Albas“ fordern, in Wales das Verlangen nach einer Volksabstimmung zur Frage der Unabhängigkeit. Möglich, daß der alte Schlachtruf der Waliser „Y draig coch, ddyry cychwyn“ – „Der rote Drache rückt vor“ – also noch einmal unerwartete Bedeutung erlangt.

„Unabhängigkeitsmarsch“ von Yes Cymru in Cardiff, Mai 2019, mit der walisischen Nationalflagge und dem Löwenbanner des Owen Glendower – Owain Glyndŵr (etwa 1359 – etwa 1415), der als letzter walisischer Führer die Unabhängigkeit von England zu erkämpfen suchte Foto: Wikimedia/ Ifan Morgan Jones (CC BY-SA 4.0) https://bit.ly/3wBuhIO
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