Zwischen dem 24. November 1944 und dem 15. August 1945 wurde die japanische Hauptstadt Tokio 35mal von Maschinen des XXI. Bomber Command der 20. Luftflotte der United States Army Air Forces (USAAF) angegriffen – keine andere Region des Kaiserreiches traf es damit öfter. Dies lag daran, daß Tokio der wichtigste Verwaltungssitz Japans und ein ebenso bedeutsames Verkehrszentrum war. Darüber hinaus stammten etwa zwanzig Prozent der Industrieproduktion des Landes von hier, darunter auch Rüstungsgüter wie die Nakajima Ki-84 Hayate, das leistungsfähigste japanische Jagdflugzeug zum Ende des Pazifischen Krieges.
Das stellte jedoch nur die eine Seite der Medaille dar. Mindestens genauso sollten die Attacken gegen das Zentrum des Kaiserreiches und die Residenz des „göttlichen“ Tennō Hirohito sowie die dort lebenden 6,5 Millionen Zivilisten den Widerstandswillen der Japaner brechen. Das galt insbesondere für die Phase zwei des Bombenterrors gegenüber Tokio, als man nicht mehr versuchte, gezielt Rüstungsbetriebe und strategisch wichtige Infrastruktureinrichtungen zu zerstören, sondern Flächenangriffe mit Brandbomben unternahm.
Der Angriff mit 1.590 Tonnen Brandbomben dauerte zwei Stunden
Zuvor fand ein Wechsel an der Spitze des XXI. Bomber Command statt: Weil er sich davon größere Erfolge versprach, ersetzte der Oberbefehlshaber der USAAF, General Henry H. Arnold, den für Präzisionsangriffe optierenden Brigadegeneral Haywood Hansell durch Major General Curtis LeMay. Unter dessen Kommando fand am 25. Februar 1945 die Operation Meetinghouse I statt: Erstmals warfen B-29-Staffeln nun Napalm-Streubomben vom Typ AN-M69 auf Tokio ab, welche eigens für die Zerstörung japanischer Städte und die grausame Tötung der dort lebenden Zivilisten entwickelt worden waren. Allerdings gelang es nicht, den geplanten Feuersturm auszulösen.
Deshalb befahl LeMay einen zweiten Angriff auf die Wohngebiete in der japanischen Hauptstadt, wobei die Brandbomben diesmal in nur 1.500 bis 2.300 Metern Höhe ausgeklinkt werden sollten. Für diese Operation Meetinghouse II zog der General sämtliche verfügbaren Kräfte der 73rd, 313th und 314th Bomb Wings des XXI. Bomber Command zusammen: alles in allem 346 B-29 Superfortress, die am Nachmittag des 9. März 1945 von den Pisten auf den Marianen-Inseln Saipan, Guam und Tinian abhoben.
Infolge einer Schlechtwetterfront mit heftigen Turbulenzen erreichten jedoch nur 279 Bomber das Zielgebiet. Dieses umfaßte 30 Quadratkilometer, auf denen 1,2 Millionen Tokioter lebten. Der Angriff begann acht Minuten nach Mitternacht und dauerte knapp zwei Stunden. In seinem Verlauf warfen die B-29 1.590 Tonnen Brandbomben ab.
Durch den starken Westwind entwickelte sich in kürzester Zeit ein Feuersturm, den die örtliche Feuerwehr nicht unter Kontrolle bekam, obwohl sie Unterstützung aus anderen Regionen erhielt. Infolgedessen breiteten sich die Brände über 41 Quadratkilometer beziehungsweise sieben Prozent der Fläche der Großraumregion Tokio aus. Den Widerschein der Flammen konnten die Bomberbesatzungen noch in 240 Kilometern Entfernung wahrnehmen. Die USAAF verlor bei dem Angriff 14 Maschinen, die Hälfte davon wahrscheinlich wegen der selbst erzeugten thermischen Winde über dem Zielgebiet.
Das Feuer loderte drei Tage lang
Durch das Feuer, welches drei Tage lang loderte, wurden 256.070 Gebäude zerstört und über eine Million Tokioter obdachlos gemacht. Nach Angaben der japanischen Polizei starben zudem 83.793 Menschen, 40.918 erlitten ernsthafte Verletzungen. Spätere Schätzungen beliefen sich sogar auf bis zu 185.000 Tote. Aber auch wenn man die niedrigere Zahl zugrunde legt: Die Operation Meetinghouse II war der opferreichste einzelne Luftangriff aller Zeiten, was die Menge der sofort Getöteten betrifft. Sie übertraf in dieser Hinsicht sogar die späteren Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Jedoch starben wohl mehr Einwohner von Hiroshima an den Spätfolgen.
Bei dem verheerenden Schlag vom 10. März wollte LeMay es indes nicht belassen: Am 13. und 15. April sowie am 23. und 25. Mai 1945 ließ er seine Bomber noch vier weitere Flächenangriffe mit Brandbomben auf Tokio durchführen – im Zuge der vorletzten Mission kamen dann sogar 558 B-29 zum Einsatz. Bei den erneuten Angriffen starben wiederum einige zehntausend Zivilisten, und 1,8 Millionen verloren darüber hinaus ihr Zuhause. Am Ende lag die Hälfte der japanischen Hauptstadt in Trümmern, weshalb das XXI. Bomber Command Tokio von der Liste der lohnenden Ziele strich. Danach fanden lediglich noch einige Präzisionsangriffe auf Flugzeugwerke, Erdölraffinerien und ähnliche Objekte statt – der letzte am Tag der japanischen Kapitulation.
Zweifellos ein Kriegsverbrechen
Bei den Flächenangriffen auf die zivile Wohnbebauung in Tokio handelte es sich zweifellos um Kriegsverbrechen, für die LeMay wohl gehängt worden wäre, wenn er nicht auf der Seite der Sieger gestanden hätte. Das konzedierte der General nach Kriegsende sogar selbst, und einer seiner Stabsoffiziere, der spätere US-Verteidigungsminister Robert McNamara, pflichtete ihm bei. Zumal die B-29 unter LeMays Befehl neben Tokio auch noch Osaka, Kobe und 60 weitere große japanische Städte zu rund zwei Dritteln in Schutt und Asche gelegt hatten. Aber Curtis LeMay war eben kein Deutscher oder Japaner.
Deshalb wartete nicht der Galgen auf ihn, sondern ein Karriereaufschwung, an dessen Ende er zum ranghöchsten Offizier der U.S. Air Force avancierte. In dieser Eigenschaft plädierte LeMay immer wieder vehement für atomare Präventivschläge gegen die Sowjetunion, weswegen McNamara seinen früheren Vorgesetzten nach der Kuba-Krise in den Ruhestand drängte.