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Atombombenabwürfe auf Japan 1945: Apokalypse mit fadenscheiniger Begründung

Atombombenabwürfe auf Japan 1945: Apokalypse mit fadenscheiniger Begründung

Atombombenabwürfe auf Japan 1945: Apokalypse mit fadenscheiniger Begründung

Die japanische Stadt Hiroshima wurde durch die Atombombe zerstört Foto: picture alliance / AP Photo
Die japanische Stadt Hiroshima wurde durch die Atombombe zerstört Foto: picture alliance / AP Photo
Die japanische Stadt Hiroshima wurde durch die Atombombe zerstört Foto: picture alliance / AP Photo
Atombombenabwürfe auf Japan 1945
 

Apokalypse mit fadenscheiniger Begründung

Vor 75 Jahren warfen die USA im Zweiten Weltkrieg die erste Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima ab. Ihr Einsatz markierte eine Zäsur in der Kriegsführung. US-Präsident Harry Truman versuchte die Verwendung der neuen Waffe und die durch sie getöteten Zivilisten im Nachhinein zu rechtfertigen.
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Kompromißloser als in Europa setzten die amerikanischen Heeresluftstreitkräfte (USAAF) im Pazifikkrieg auf strategische Flächenangriffe mit Spreng- und Brandbomben. Anfang 1945 zerstörten sie Tokio, Nagoya, Yokohama, Kobe und Osaka. Allein in Tokio starben bis zu 150.000 Zivilisten. Am 6. und 9. August 1945 folgten zwei Atombombenabwürfe, die bis Ende 1945 in Hiroshima etwa 150.000 und in Nagasaki um die 80.000 Menschen, darunter über 8.000 koreanische Zwangsarbeiter, töteten.

Daß die japanische Kapitulation vom 14. August 1945 mit den Atombomben zusammenhängt, liegt nahe. Als Ursachen der Niederlage gelten aber die Abschnürung Japans von Rohstoffquellen und Nahrungsmittelzufuhr sowie die Dezimierung seiner Seeflotte. Selbst „Area Bombing“-Befürworter Winston Churchill kommt in seinen Memoiren zu keiner anderen Einschätzung: „Die Annahme, Japans Schicksal sei durch die Atombombe besiegelt worden, ist falsch. Die Niederlage war als Folge der überwältigenden maritimen Macht seiner Gegner schon vor dem Abwurf der ersten dieser Bomben eine Gewißheit.“

Ohne die Atombomben hätten die Japaner die Kapitulation nicht akzeptiert

Haben Hiroshima und Nagasaki den Pazifikkrieg zumindest verkürzt und den USA eine verlustreiche Bodeninvasion der japanischen Hauptinseln erspart? Die Frage läßt sich nicht losgelöst von Stalins Rolle beantworten. Er kündigte am 9. August 1945 den japanisch-sowjetischen Neutralitätspakt und ließ die Rote Armee in die seit 1932 von Japan besetzte Mandschurei einmarschieren. Dies mußte den Inselstaat um so stärker erschüttern, als Kaiser Hirohito auf eine Vermittlerrolle Stalins gesetzt hatte. 

Plausibel ist daher eine Kriegsverkürzungsthese mit zwei Kausalfaktoren, von denen jeder einzelne eine notwendige Teilursache der Kapitulation bildet. Historiker Tsuyoshi Hasegawa beschrieb das wie folgt: „Die japanischen Führer wußten, daß Japan den Krieg verlieren würde. Aber Niederlage und Kapitulation sind nicht das gleiche. Die Kapitulation ist ein politischer Akt. Ohne den Zwillingsschock der Atombomben und des sowjetischen Kriegseintritts hätten die Japaner im August niemals die Kapitulation akzeptiert.“

Truman wollte mit Japan keinen Verhandlungsfrieden

Was folgt daraus für die Frage nach der Rechtfertigung der Atomwaffeneinsätze? Sie muß von vornherein verneinen, wer die gezielte Tötung Unschuldiger entweder grundsätzlich für verboten hält oder die gezielte Tötung Unschuldiger dann für verboten hält, wenn sie lediglich der Verkürzung eines de facto bereits entschiedenen Krieges dient, oder den Einsatz atomarer Waffen grundsätzlich für verboten hält, weil er die Bedingungen der Existenz menschlicher Zivilisation (und damit auch des Moralprinzips) gefährdet.

Jeder andere Moralphilosoph und Völkerrechtler müßte fragen, ob die Atombombenabwürfe geeignet, erforderlich und alles in allem verhältnismäßig waren, den Krieg sofort zu beenden und eine größere Zahl anderer Menschen, insbesondere kämpfender Soldaten auf beiden Seiten vor dem Tod zu bewahren. Schwerpunktmäßig geht es um die Erforderlichkeit bzw. militärische Notwendigkeit. Es hätte aus der Sicht der US-Amerikaner keine per Saldo Menschenleben schonende Alternative zur Vernichtung Hiroshimas und Nagasakis geben dürfen. An dieser Voraussetzung fehlt es aber aus drei Gründen.

Die USA verlangten die bedingungslose Kapitulation

Erstens haben die Amerikaner nicht die Bedingungen eines fairen Verhandlungsfriedens ausgelotet, obwohl sie „als ein liberales demokratisches Volk“ den Japanern ein solches Angebot schuldeten (John Rawls, Philosoph und US-Marinesoldat im Pazifikkrieg). Mitte Juli 1945 erwähnte ihr neuer Präsident Harry Truman in seinem Tagebuch ein „Telegramm vom Japsenkaiser mit der Bitte um Frieden“. Statt auf diplomatischen Kanälen darüber zu verhandeln, verlangten die Amerikaner am 26. Juli 1945 die bedingungslose Kapitulation und eine das japanische Volk aufwühlende Abdankung des Tenno (zu der es später dann doch nicht kam). Der US-Präsident, so scheint es, wollte im Sommer 1945 keinen Verhandlungsfrieden.

Das US-Flugzeug "Enola Gay" warf die Atombombe über Hiroshima ab Foto: picture alliance / AP Photo
Das US-Flugzeug „Enola Gay“ warf die Atombombe über Hiroshima ab Foto: picture alliance / AP Photo

Zweitens hätte Truman den sich anbahnenden Kriegseintritt der Sowjetunion gegen Japan abwarten können. Etliche Experten gingen davon aus, daß eine massive sowjetische Invasion in Japan den Krieg rasch beenden würde. Pikanterweise soll der US-Präsident vor allem deshalb zur Potsdamer Konferenz gereist sein, um Stalin zur Kriegserklärung zu bewegen. Nach dessen Zustimmung schrieb Truman euphorisch in sein Tagebuch: „Ab 15. August macht er im Krieg gegen die Japsen mit. Dann sind die Japsen perdu.“

„Ethischer Maßstab des finstersten Mittelalters“

Drittens wurde nicht versucht, die atomare Apokalypse Hiroshimas und Nagasakis durch moralisch unbedenkliche Militäroperationen zu vermeiden. Weder haben die USA eine Sprengbombenoffensive gegen militärische Ziele gestartet, deren Vernichtung ebenfalls zu einer raschen Kapitulation hätte führen oder eine vielleicht unvermeidbare Invasion zumindest hätte erleichtern können, noch haben sie das Zerstörungspotential der Atombombe über militärischen Zielen fernab von Zivilisten demonstriert. Truman folgte seinem Außenminister James F. Byrnes, der gegen die Empfehlungen fast aller Präsidentenberater den Einsatz der Horrorwaffen gegen Menschen durchsetzte.

Mindestens so verwerflich wie der Abwurf der Uranbombe „Little Boy“ auf Hiroshima war die Auslöschung Nagasakis mit der Plutoniumbombe „Fat Man“. Warum wurde Japan nach dem ersten Atomschlag keine angemessene Bedenkzeit zur Annahme der Kapitulationsforderung eingeräumt? Die ebenso banale wie beunruhigende Antwort: „Um Stalin und der Welt zu zeigen, daß die erste Bombe nicht die einzige war“ (Florian Coulmas, deutscher Japanologe). Immanuel Kants kategorischer Im-perativ: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“, wurde in Hiroshima und Nagasaki wie zuvor in Hamburg, Dresden oder Pforzheim von einer grauenhaften Instrumentalisierung des Menschen verdrängt. 

Warum waren Truman und Byrnes auf die atomare Luftkriegsstrategie fixiert? Das Argument, die „Logik des Krieges“ erzwinge den Einsatz verfügbarer Waffensysteme, verfängt schon deshalb nicht, weil US-Militärs die Abwürfe von „Little Boy“ und „Fat Man“ entschieden abgelehnt hatten. Empört schrieb Admiral William D. Leahy, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte: „Der Einsatz dieser barbarischen Waffe in Hiroshima und Nagasaki brachte in unserem Krieg gegen Japan keine materielle Unterstützung. Dadurch, daß wir sie als erste benutzten, machten wir uns den ethischen Maßstab zu eigen, der den Barbaren des finstersten Mittelalters gemein war. Man hat mir nicht beigebracht, Krieg auf diese Weise zu führen; und Kriege kann man nicht dadurch gewinnen, daß man Frauen und Kinder vernichtet.“ 

US-Präsident Harry Truman rechtfertigte den Einsatz der Atombombe mit der angeblichen Rettung seiner Soldaten Foto: picture alliance/Glasshouse Images
US-Präsident Harry Truman rechtfertigte den Einsatz der Atombombe mit der angeblichen Rettung seiner Soldaten Foto: picture alliance/Glasshouse Images

Atombombenabwürfe wurden als Zäsur empfunden

Berauscht von einem Atomtest in der Wüste von Nevada am 16. Juli 1945, wollte der US-Präsident die „Kriegsbeute“ Japan im letzten Moment wohl doch nicht mit Stalin teilen. Unterstellen wir zu seinen Gunsten, daß er sich auch als Vertreter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Pflicht sah. Nach den schlechten Erfahrungen Frankreichs und Großbritanniens mit Appeasement-Politik gegenüber Hitler wollte Truman vielleicht alles aus seiner Sicht Erforderliche tun, um stalinistischen Terror in einem sowjetisch besetzten Japan und eine weitere kommunistische Nachkriegsdiktatur zu verhindern.

Rechtfertigen kann das die Atombombenabwürfe nicht. Weltweit wurden sie als Zäsur empfunden − als Einstieg in den Albtraum von Massentötungen mit den Mitteln der Hochtechnologie. Der Präsident einer den Menschenrechten verpflichteten Demokratie mißachtete das Leben unschuldiger Japaner, die er spätestens seit dem Überfall auf die US-Kriegsmarine in Pearl Harbor für „Wilde“ hielt. Nach dem Krieg versuchte Truman, sich mit Spekulationen über verschonte US-Soldaten als Wohltäter zu inszenieren, beispielsweise am 28. April 1959 in der Columbia University: „Der Abwurf der Bomben hat den Krieg beendet, Millionen von Leben gerettet.“ Konkrete Folgeabschätzungen wie die vorhersehbare Zahl japanischer Atombombenopfer lagen dem ambivalenten Präsidenten eher fern.

JF 32/20

Die japanische Stadt Hiroshima wurde durch die Atombombe zerstört Foto: picture alliance / AP Photo
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