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Paneuropa-Picknick: Der Schub von Sopron

Paneuropa-Picknick: Der Schub von Sopron

Paneuropa-Picknick: Der Schub von Sopron

Paneuropa
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Jubelnde DDR-Flüchtlinge erreichen während des Paneuropa-Picknicks am 19. August 1989 Österreich Foto: dpa
Paneuropa-Picknick
 

Der Schub von Sopron

Am 19. August 1989 öffneten sich während des Paneuropa-Picknicks bei Sporon im Grenzgebiet zwischen Österreich und Ungarn für einige Stunden ein Tor in die Freiheit, durch das mehr als 600 DDR-Bürger flüchten konnten. Es war wie ein Ventil aufgestauter Freiheitshoffnungen. Wenige Wochen später waren die Teilung Deutschlands und Europas Geschichte.
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Der Nebel lichtet sich, die Konturen werden klarer. Zwar ist schon viel geschrieben worden über die friedliche Revolution in Deutschland und Osteuropa vor dreißig Jahren, aber erst nach und nach wird deutlich, wer in den einzelnen Ländern die wirklichen Akteure waren. Hierzulande etwa streiten Zeitzeugen darüber, ob es „das Volk“ war oder nicht doch eine kleine Gruppe Bürgerrechtler, eine Elite, die im Spätherbst die Mauer einriß.

Verdrängt wird meist der nachhaltige Schub, der von einem Ereignis an der ungarisch-österreichischen Grenze Monate vorher, im Sommer 1989, genau am 19. August, ausging. Man liest in Fußnoten vom Paneuropa-Picknick in Sopron. Aber es war dieses Treffen, das den Eisernen Vorhang für ein paar Stunden öffnete und vor Augen führte, wie marode die Trennungslinie schon war, die Europa geographisch und ideologisch durchzog.

Natürlich hatten Bürgerrechtler schon in den siebziger und achtziger Jahren immer stärker in den Satellitenstaaten des Sowjetimperiums den Willen der Menschen nach Freiheit bekundet, sei es die „singende Revolution“ im Baltikum, die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei, die Gewerkschaft Solidarność in Polen oder auch das „Demokratische Forum“ in Ungarn.

Ungarns Rolle ist kaum zu überschätzen

Bernd Posselt (63), damals engster Mitarbeiter des Kaisersohns und Europa-Abgeordneten Otto von Habsburg, kannte sie alle. Im Gespräch mit dem Autor erinnert er sich: „Viele von ihnen kamen in besonders grausame Lager und Gefängnisse, ihr Freiheitswille war aber nicht zu brechen, und sie vernetzten sich grenzüberschreitend“.

Posselt hatte damals in der Paneuropa-Union, der ältesten europäischen Einigungsbewegung, die die Teilung Deutschlands und Europas niemals anerkannt hatte und deren Präsident er heute ist, „die Aufgabe, mit all diesen verbotenen, aber sehr lebendigen Menschenrechtsgruppen konspirativ den Kontakt zu pflegen. Am besten ging das in Ungarn, das auch eine unangenehme kommunistische Diktatur war, aber wegen einer gewissen, relativen Liberalität den Spitznamen ‘fröhlichste Baracke des Ostblocks’ trug“.

Ungarns Rolle bei der Befreiung Ost-und Mitteleuropas ist kaum zu überschätzen. Es hat die Sensibilität für eigene Freiheit und fremde totalitäre Denkweisen bewahrt und wahrscheinlich ist auch das einer der Gründe, weshalb das Land heute in Brüssel von der Kommission als eine Art unbotmäßiger Prügelknabe behandelt wird.

Es gab zwei Lager in der ungarischen Regierung

Die Regimegegner aus den anderen kommunistischen Ländern fuhren damals gerne nach Ungarn in Urlaub, um mit ihren Partnern im Westen heimlich in Verbindung zu treten. Der Eiserne Vorhang war in Ungarn nicht nur ideologisch brüchig, er war auch materiell angerostet, die Holzpfähle des Grenzzauns zum Westen waren an manchen Stellen regelrecht morsch. Moskau und einige Vasallen, etwa Bukarest, Sofia und vor allem Ost-Berlin, bedrängten Budapest, die Grenze zu erneuern und zu festigen.

In der ungarischen Regierung entstanden zwei Lager. Innenminister Imre Pozsgay, der auch Kontakte zur Opposition unterhielt, nannte bereits 1988 die Grenzanlagen zu Österreich „technisch, moralisch und historisch“ überholt und im Mai 1989 die Berliner Mauer „eine Schande“.

Sein Kabinettskollege und Außenminister Gyula Horn, der später vielfach ausgezeichnet und vor allem von Helmut Kohl und der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Helden der Revolution hochstilisiert wurde, plädierte aus Furcht vor den sowjetischen Besatzungstruppen in Ungarn, die schon dreiunddreißig Jahre zuvor den ungarischen Volksaufstand in Blut erstickt hatten, für die Renovierung und Festigung der Grenzanlagen. Zwar hatte er gemeinsam mit dem österreichischen Außenminister Alois Mock Ende Juni ein Loch in den Grenzzaun geschnitten. Aber das war ein symbolischer Akt, nicht viel mehr als ein Fototermin. Die Grenze blieb geschlossen, der Schießbefehl galt weiter.

In dieser Situation beschloß der rumänische Diktator Ceaușescu, einen hohen Grenzzaun zwischen Rumänien und Ungarn zu errichten, um den Eisernen Vorhang wieder dicht zu machen. Das wiederum empörte Budapest und rief die ungarische Opposition auf den Plan. Der ostungarische Bürgerrechtler Lukacs Szabó entwickelte im Gespräch mit Otto von Habsburg die Idee eines die Grenze nach Rumänien überschreitenden Protest-Picknicks.

Otto von Habsburg durfte nicht anwesend sein

Als dann aber tatsächlich vom Abbau der Stacheldrähte und Minenfelder im Westen zwischen Ungarn und Österreich die Rede war, erinnert sich Bernd Posselt, „wurde das Projekt im Osten auf das nächste Jahr verschoben und das Fest für 1989 kurzerhand zur westlichen Sektion des Demokratischen Forums in der Region um Ödenburg (Sopron) verlegt“.

Imre Pozsgay und Otto von Habsburg übernahmen die Schirmherrschaft des Picknicks. Posselt: „Ich war damals in Budapest, um für die Paneuropa-Union Verhandlungen über eine befristete Grenzöffnung von etwa sechs Stunden zu führen. Die ungarische Regierung, deren Unterstützung wir brauchten, war zutiefst gespalten. Pozsgay sagte ja, Horn hingegen nein.“

Die Nervosität in Moskau und Ost-Berlin stieg, immer mehr „Urlauber“ aus der DDR sammelten sich in Budapest in Lagern der Caritas und des Diakonischen Werks. Schließlich vereinbarte man, um die „Bedeutung politisch tiefer zu hängen“, daß Otto von Habsburg und Pozsgay bei dem Picknick nicht persönlich anwesend sein, sondern vertreten werden sollten, Habsburg durch seine Tochter Walburga. Auch Posselt durfte nicht zugegen sein und hielt sich ein paar Dörfer weiter bereit.

Honecker verbreitete Falschnachrichten

Von dort beobachtete er damals und erzählt heute: „Am 19. August war es schließlich soweit: Die westungarischen Freiheitskämpfer organisierten ein Fest mit Gulasch und Musik, Walburga von Habsburg hielt im Auftrag ihres Vaters eine Rede, Hans Kijas vom Münchner Paneuropa-Büro pflanzte auf den verwaisten Wachttürmen Paneuropa-Fahnen auf, und als sich schließlich ein Holztor nach Österreich zu öffnen begann, stürmten 661 Deutsche aus der damaligen DDR in die Freiheit.“ Die ungarische Grenzpolizei schaute weg, das „von manchen befürchtete Blutbad fand Gott sei Dank nicht statt“.

Für Otto von Habsburg und Bernd Posselt war das Picknick von Sopron am 19. August ein „Schlüsselereignis, der Wendepunkt“ der Revolution in Ost-und Mitteleuropa. Drei Tage später erklärte Helmut Kohl vor der Bundespressekonferenz, die Entwicklung der letzten Wochen habe deutlich gemacht, daß die deutsche Frage „nach wie vor auf der Tagesordnung der internationalen Politik“ stehe. „Der Wille der Deutschen zur Einheit in Freiheit ist ungebrochen.“

Zwar wurde der Eiserne Vorhang noch einmal geschlossen, es galt wieder der Schießbefehl. Aber das Picknick war wie ein Ventil aufgestauter Freiheitshoffnungen, es löste vom Baltikum bis zum Balkan in einer Kettenreaktion Massendemonstrationen und auch die Massenflucht in die Prager Botschaft aus, Honecker sprach von einer „Katastrophe“ und verbreitete Fake-News über die Flüchtlinge, die angeblich mit Versprechungen, Geschenken und vielen D-Mark „überredet wurden, sich auf den Weg in den Westen zu machen“ (so in einem Interview mit dem Daily Mirror). Es half nichts. Wenige Wochen später waren er und die Teilung Deutschlands und Europas Geschichte.

JF 34/19

Jubelnde DDR-Flüchtlinge erreichen während des Paneuropa-Picknicks am 19. August 1989 Österreich Foto: dpa
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