Wo endet investigativer Journalismus und wo beginnt Verrat? In Zeiten von Whistleblowern wie Edward Snowden oder Julian Assange stellt sich diese Frage immer wieder neu. Doch auch in der Weimarer Republik beschäftigte das Thema bereits die Juristen. So bildete ein Artikel in der Wochenzeitschrift Weltbühne den Auftakt für ein Verfahren, das auch an dem Stellenwert der Pressefreiheit rüttelte.
Am 12. März 1929 veröffentlichte die von Carl von Ossietzky herausgegebene Weltbühne einen Artikel des Journalisten Walter Kreiser. Darin befaßte er sich mit dem geheimen Aufbau der deutschen Luftwaffe, was nach Artikel 163 des Versailler Vertrages verboten war. Die Reichswehr umging dies jedoch und arbeitete auch mit der Sowjetunion im Verborgenen an der Wiederaufrüstung.
Der Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ sparte zwar die deutsch-russische Zusammenarbeit aus, sein Inhalt schlug dennoch hohe Wellen in Deutschland und war ein politischer Skandal. Auf über fünf Seiten beschrieb Kreiser die Aufrüstungsbemühungen, die unter anderem auf dem Flugplatz Johannisthal-Adlershof in Berlin stattfanden.
Die Reichsregierung steckte in einem Dilemma
Daraufhin wurden Kreiser und von Ossietzky nach dem Spionagegesetz wegen des Verrats militärischer Geheimnisse angeklagt. Der Vorwurf lautete, sie hätten geheimes Wissen über die Landesverteidigung veröffentlicht und weitergegen.
Die damalige Reichsregierung unter Kanzler Wilhelm Marx (Zentrums-Partei) befand sich in einem Dilemma. Sollte sie in dem Verfahren auf ein scharfes Vorgehen der Justiz drängen, wäre dies ein Eingeständnis, daß die veröffentlichten Informationen der Wahrheit entsprächen. Ein Ignorieren der Vorgänge barg andererseits die Gefahr weiterer Veröffentlichungen. Sie entschied sich für die erste Option, allein schon, um das Bekanntwerden der Kooperation mit der Sowjetunion zu verhindern.
Der Prozeß, der unter Ausschluß der Öffentlichkeit im November 1931 stattfand, war nach zwei Verhandlungstagen beendet. Kreiser und von Ossietzky wurden zu jeweils 18 Monaten Haft verurteilt. Das Gericht folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach die Informationen in dem Artikel stimmten und der Geheimhaltung unterlagen. In der Begründung wurde auch betont, die Angeklagten hätten als Staatsbürger ihrem Land die Treue zu halten. Zudem dürften sie nicht eigenmächtig die Verletzung internationaler Verträge anprangern – nichts anderes stellte die geheime Aufrüstung schließlich dar. Die beiden Verurteilten waren demnach zu Spionen geworden.
Spiegel-Affäre weckte Erinnerungen
Die zeitgenössische ausländische Presse kritisierte das Urteil scharf. Sie verwies auf milde Urteile gegen NSDAP-Mitglieder in jenen Jahren, die in Gewalttaten verwickelt waren. Rückblickend zeigt der Vorgang, wie nichtjuristische Argumente – „Treupflicht des Bürgers“ und „Staatswohl“ – Einzug in die Prozesse hielten.
Der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky kommentierte das Urteil in der Weltbühne sarkastisch. Das Urteil habe für „eine reizvolle Abwechslung gesorgt: Wir verließen den Saal nicht als Landesverräter, sondern als Spione.“
Während der sogenannten Spiegel-Affäre 1962, als die Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wegen des Verdachts des Landesverrats gegen das Nachrichtenmagazin vorging, wurden Erinnerungen an den „Fall Weltbühne“ wach. Die Proteste der Bevölkerung zeigten, daß sich in der Gesellschaft ein Bewußtsein entwickelt hatte, wann in die Pressefreiheit eingegriffen wird.