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100. Geburtstag: Ein junger Mann aus dem langen 19. Jahrhundert

100. Geburtstag: Ein junger Mann aus dem langen 19. Jahrhundert

100. Geburtstag: Ein junger Mann aus dem langen 19. Jahrhundert

100. Geburtstag
 

Ein junger Mann aus dem langen 19. Jahrhundert

Vor 100 Jahren, am 9. August 1909, wurde der Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz geboren. Der Diplomat und entschiedene Hitler-Gegner wollte als Sprecher des „anderen“, aber sich gleichberechtigt wähnenden Deutschland mit den Entscheidungsträgern in London Kontakt aufnehmen und suchte vergeblich den „ehrenvollen Frieden“.
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Wallasch, Medien, Gesicht

Bei nicht wenigen jener „Verschwörer“, die am 20. Juli 1944 ihr Leben wagten, um Hitlers Herrschaft zu brechen, fällt auf, daß diese die Söhne sehr alter Väter waren. Marion Gräfin Dönhoff, eine unscheinbare Randfigur, die sich nachträglich aber nur zu gern in die Mitte ihrer „Freunde aus dem Widerstand“ setzte, war ihnen wenigstens in diesem einen Punkt sehr ähnlich, denn der Vater der ostpreußischen Adeligen zählte bei ihrer Geburt 1909 respektable 64 Lenze.

Wer ihr die Hand gab, langte sogar gleich durch ins Zeitalter der Französischen Revolution, denn ihr Großvater war Jahrgang 1797. Auch Adam von Trott zu Solz hätte, als er am 9. August 1909 das Licht der Welt erblickte, zu seinem vier Wochen vorher zum preußischen Kultusminister ernannten Vater August (1855–1938) eher Opa sagen dürfen.

Man könnte daher annehmen, daß solche Familien das „lange“ 19. Jahrhundert noch weit über das Ende der Hohenzollern-Monarchie hinaus konservierten. Natürlich nicht im Sinne von „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben“. Derart „reaktionäre“ Loyalitäten schmolzen nach 1918 selbst im preußischen Adel rasch ab, erst recht bei „neupreußischen“ Kurhessen wie den Trotts. Viel entscheidender war indes die Bewahrung weltanschaulicher, politischer und sozialer Orientierungen, die fest im alteuropäischen Wertekosmos wurzelten. Hier ist darum der fundamentale Bruch zwischen „zwei Kulturen“ auszumachen.

Die vergebliche Hoffnung auf eine alternative Außenpolitik

Hier standen sich Jahrgangsgenossen wie Trott und die SS-Granden Heydrich, Kaltenbrunner, Best, Six, Ohlendorf, Schellenberg wie Bewohner verschiedener Galaxien gegenüber. Die „Generation der Unbedingten“, wie der Reemtsma-Historiker Michael Wildt das „Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes“ getauft hat, erfuhren die Kriegsniederlage von 1918 und die chronische Malaise der Weimarer Republik als kleinbürgerliche „Durchbeißer“ ungleich elementarer als ihre in Watte gepackten Kommilitonen wie Stauffenberg, Trott, Moltke oder Haushofer mit ihren quasi ererbten Ansprüchen auf Latifundien, auf Lehrstühle, Diplomatenkarrieren, höchste Militärränge oder Ministerposten.

Daraus resultierte zweierlei Politikverständnis. Der Typus Trott verharrte in der Welt des 19. Jahrhunderts und seinen außenpolitischen Vorstellungen. Die Harmonie gleichberechtigter Nationalstaaten, das völkerrechtlich im jus publicum europaeum geregelte „Konzert“ europäischer Mächte, in das mit den USA und der UdSSR für sie nur weitere, das System nicht sprengende Wettbewerber eingetreten waren, der allzeit zwischen diesen Nationen mögliche, aber normierte „Duellkrieg“, das, aller Säkularisierung zum Trotz, noch fortbestehende homogene christliche Wertefundament, die belastbaren Rudimente des aristokratischen Kosmopolitismus, die Internationalität des zivilisatorischen Minimums, der Umgangsformen oder Bildungsreminiszenzen, die es Trott, dem Sohn einer Mutter mit US-Ahnenreihe, erlaubten, sich unter Angelsachsen en famille zu wähnen – kurz: in all dem, was den Heydrichs und Kaltenbrunners Hekuba war. >>

Sie erlebten die russische Oktober-, die deutsche Novemberrevolution sowie das Versailler Diktat, das den Bruch mit dem solidarischen jus publicum europaeum besiegelte, mitsamt den traumatisierenden Folgen unzweifelhaft als „Weltwende“ (Hermann Stegemann), als Ouvertüre zum „Weltbürgerkrieg“ (Ernst Nolte). An die Stelle der Nationen, die auf den gleichen christlich-humanistischen Wertekanon schworen, traten für sie unvereinbare totalitäre Heilslehren, die Staaten in Weltanschauungsparteien verwandelten. Lenins mörderisch-reduktionistisches „Wer wen?“ gab hier den Takt genauso vor wie Wilsons demokratistischer Universalismus.

Von hier bis zu Adolf Hitlers Credo „Weltmacht oder Untergang“, zu Protokoll gegeben am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, war es nur noch ein sehr kleiner Schritt.Das ist der zeithistorische Kontext, in dem der früh entschieden als NS-Gegner sich profilierende, in Göttingen an Hegels Rechtsphilosophie geschulte Jurist und Rhodes-Stipendiat, seit 1940 im Auswärtigen Amt tätige Adam von Trott zu Solz sich zutraute, alternative Außenpolitik zu kreieren und als Sprecher des „anderen“, aber sich gleichberechtigt wähnenden Deutschland mit den Entscheidungsträgern in London – noch im Juli 1939 mit Neville Chamberlain – und, im Oktober 1939, in Washington ins Gespräch zu kommen.

Die Ausschaltung der alten Eliten war einkalkuliert

Ein Irrtum, dem außer Trott ähnlich ambitionierte Hitler-Gegner wie Ulrich von Hassell, Carl Goerdeler, Albrecht Haushofer oder Ewald von Kleist erlagen. Es gab „nach München“ unter den an den Hebeln der Macht sitzenden britischen und US-amerikanischen Politikern niemanden mehr, der das Deutsche Reich nicht als Weltanschauungsstaat wahrnahm, niemanden, der es als gleichberechtigtes Völkerrechtssubjekt anerkannte, und niemanden, der einer auf „Vernichtungssieg“ und „unconditional surrender“ eingeschworenen Strategie des One-World-Demokratismus Churchills und Roosevelts die Gefolgschaft verweigert hätte.

Dieses Weltanschauungslager kalkulierte die Ausschaltung jener „alten Eliten“ Preußens und Deutschlands gnadenlos mit ein, denen auch der im Dienste des „Unbedingten“ Franz-Alfred Six stehende, bis zuletzt, im Juni 1944 in Schweden, konspirativ „um einen ehrenvollen Frieden“ ringende Trott zugehörte. Die oft so leichtfertig gebrauchte Vokabel „Tragödie“ scheint daher für das Schicksal des am 26. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichteten jungen Alteuropäers nicht zu hoch gegriffen.

JF 31-32/09

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