Das von NSDAP und DNVP bei der Eröffnung des neugewählten Reichstages am 21. März 1933 eingebrachte „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das seinen Namen dem „Reichs-Ermächtigungsgesetz“ vom 8. Dezember 1923 entliehen hatte, schien in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland auf den ersten Blick kein völliges Novum darzustellen. In den krisenhaften Anfangsjahren der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1923 waren mehrfach Ermächtigungsgesetze erlassen worden, die der jeweiligen Reichsregierung für einen begrenzten Zeitraum das Recht einräumten, Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. In der Weltwirtschaftskrise ab 1930 beschritten die Regierungen Brüning, von Papen und Schleicher lieber den Weg der außerordentlichen Regierungsgesetzgebung durch Notverordnungen des Reichspräsidenten nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, was ebenfalls darauf hinauslief, daß die Exekutive an sich der Volksvertretung vorbehaltene legislative Vollmachten ausübte.
Übertragung der legislativen Gewalt auf die Exekutive
Doch das am 23. März vom Reichstag mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete und am Folgetag in Kraft getretene neue „Ermächtigungsgesetz“ übertrug in unendlich größerem Ausmaß als je zuvor die legislative Gewalt auf die Exekutive. Zwar blieb die Ermächtigung formal weiterhin befristet, aber schon der gewährte Zeitraum von vier Jahren übertraf bei weitem den der vorangehenden, meist nur für wenige Monate erteilten Ermächtigungen. Vor allem aber war die auf die Koalitionsregierung Hitler übertragene gesetzgeberische Kompetenz von jeder Kontrolle des Reichstags befreit und inhaltlich nahezu uneingeschränkt.
Sie umfaßte nicht nur das Recht zum Beschluß normaler Reichsgesetze (inklusive der Haushaltsgesetze und Kreditbewilligungen), sondern gestattete diesen Regierungsgesetzen auch, von der Verfassung abzuweichen. Zudem konnte die in Artikel 3 vorgenommene Befreiung von den Bestimmungen der Weimarer Verfassung über die Reichsgesetzgebung dahin ausgelegt werden, auch Verfassungsänderungen auf dem Wege der Regierungsgesetzgebung seien gestattet. Nur allgemein formulierte Vorbehalte gegenüber den Rechten des Reichspräsidenten und den Einrichtungen von Reichstag und Reichsrat setzten der gesetzgeberischen Allmacht der Regierung unscharfe Grenzen.
Mit dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 war die Weimarer Reichsverfassung faktisch außer Kraft gesetzt worden. Das war bereits den meisten der zeitgenössischen Politikern und juristischen Kommentatoren klar. Nicht nur Carl Schmitt verstand dies als „Ausdruck des Sieges der nationalen Revolution“ und nahm es zum Anlaß für die eigene Konversion zum Nationalsozialismus. Ende 1933 erklärte er, in der Sache einig mit der Mehrheit der deutschen Staatsrechtslehrer, das Gesetz vom 23. März sogar zum „vorläufigen Verfassungsgesetz des neuen Deutschland“.
Versuch eine breite Massenbasis zu bilden
Politisch entsprach 1933 diese grundstürzende Änderung durchaus der Absicht der Urheber des Ermächtigungsgesetzes, und zwar nicht nur der Nationalsozialisten, sondern auch ihrer deutschnationalen und rechtskonservativen Koalitionspartner in der am 30. Januar vom Reichspräsidenten berufenen Regierung der „nationalen Konzentration“. Die seit 1930 geübte Praxis der außerordentlichen Gesetzgebung durch Notverordnungen des Reichspräsidenten, die vom Reichstag nachträglich kassiert werden konnten, war Ende 1932 an ihre Grenzen gestoßen. Von Papen und auch Reichspräsident von Hindenburg hatten nicht zuletzt deshalb Hitler mit ins Boot geholt, um endlich eine breite Massenbasis zur Verfügung zu haben, die nicht etwa ein Regieren mit stabilen parlamentarischen Mehrheiten, sondern die endgültige Entmachtung des Parlamentes zwecks Aufbau eines autoritären Staatswesens möglich machen sollte.
Am Ende profitierte bekanntlich allein Hitler von diesen Bestrebungen. Für die endgültige Durchsetzung der nationalsozialistischen Machtansprüche war zwar die noch vom Reichspräsidenten ausgefertigte sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar von größerer Bedeutung als das Ermächtigungsgesetz des Reichstages. Sie suspendierte die persönlichen Grundrechte und eröffnete die Möglichkeit zur Gleichschaltung der Länder. Sie legitimierte so das terroristische Vorgehen der Nationalsozialisten gegen jedweden politischen Gegner und gestattete indirekt auch die Marginalisierung ihrer Koalitionspartner. Durch das Ermächtigungsgesetz selbst erhielt aber die faktisch bereits längst zuvor in Gang gesetzte vollständige NS-Machtergreifung international und national den Anschein einer gewissen rechtlichen Kontinuität und Legitimität, was zweifellos die Absorption der alten Funktionseliten in das nun entstehende Dritte Reich erheblich erleichterte.
Suspendierung aller persönlichen Grundrechte
Die Selbstabdankung des Reichstages am 23. März 1933 gilt allgemein als Tiefpunkt deutscher Parlamentsgeschichte, zumal zum Erreichen der für ein verfassungsänderndes Gesetz nötigen Zweidrittelmehrheit die Stimmen von NSDAP und DNVP nicht ausreichten. Nach 1945 ist deshalb über die Ja-Stimmen auch des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei sowie der (liberalen) Deutschen Staatspartei ebenso heftig gestritten worden, wie die SPD den Ruhm für sich in Anspruch nahm, als einzige Partei die Zustimmung im Plenum (Ergebnis 441 zu 94 Stimmen) verweigert zu haben, da die Kommunisten bedingt durch die Wegnahme der rechtmäßigen Stimmrechte nicht mehr an der Abstimmung beteiligt waren. Doch kann unterstellt werden, daß die Regierung Hitler – die um die Zustimmung zumindest des Zentrums heftig geworben hatte, um einen breiten nationalen Konsens vorspiegeln zu können – durchaus Wege gefunden hätte, ein entsprechendes Gesetz über kurz oder lang auch ohne die explizite Zustimmung der bürgerlichen Parteien durchzubringen.
Ausnahmezustand wurde zur NS-Herrschaftstechnik
Die Nationalsozialisten hatten bereits im Vorfeld des 23. März durch die Verhaftung und den Ausschluß der KPD- und eines Teiles der SPD-Abgeordneten deutlich demonstriert, daß sie zu diesem Zweck zu Gewalt und Gewaltandrohung, aber auch zu allerlei Geschäftsordnungstricks zu greifen in der Lage waren. Vor diesem Hintergrund ist schlußendlich auch die Frage gegenstandslos, ob das Ermächtigungsgesetz legal zustande kam oder nicht, zumal es seinen eigentlichen Profiteuren niemals auf Legitimität oder Legalität ankam, sondern höchstens auf den entsprechenden Anschein.
Das Ermächtigungsgesetz verdrängte mit seinem Inkrafttreten sofort vollständig das Regieren per präsidialem Notverordnungsrecht und bildete die formale Grundlage für nahezu die ganze nach dem März 1933 erfolgte Reichsgesetzgebung. Der Reichstag, dem formal weiterhin ein eigenes Gesetzgebungsrecht zustand, übte dies auch nach seiner endgültigen Gleichschaltung per NS-Einheitsliste im Herbst 1933 nur noch in Ausnahmefällen aus. Außer zu den Verlängerungen des Ermächtigungsgesetzes 1937 und 1939 wurde er nur noch in fünf weiteren Fällen zur „Gesetzgebung“ herangezogen. Praktisch handelte es sich dabei um ähnlich rein akklamative Akte wie bei den gelegentlich inszenierten Volksabstimmungen.
Da wir heute daran gewöhnt sind, daß sich Staatshandeln vor allem in Gesetzesform vollzieht, neigen wir dazu, die Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes im Dritten Reich eher zu überschätzen. Zwar war es für die Etablierung der Diktatur von einiger Relevanz. Doch nach 1934 und vollends nach Kriegsausbruch nahm die Frequenz der Reichsgesetzgebung und damit auch die reale Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes rasch ab – was nicht verwundert. Denn in Gesetzesform zu handeln, widersprach dem Kern des Selbstverständnisses des nationalsozialistischen Regimes.
Hitler selbst scheute jede Form institutioneller Einbindung wie der Teufel das Weihwasser, und aus ebendiesem Grund wurde das „vorläufige Verfassungsgesetz“ vom März 1933 niemals auch nur ansatzweise durch eine neue nationalsozialistische Verfassung ersetzt. Als die erste Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes anstand, wurde zwar im Reichsinnenministerium seine Ablösung durch ein neues „Gesetz über die Reichsgesetzgebung“ vorbereitet, das diese in Vorwegnahme einer zukünftigen NS-Verfassung endgültig in die Hände des „Führers“ legen wollte. Doch auch vor dieser präjudizierenden Bindung scheute Hitler in letzter Minute zurück und befahl die bloße Verlängerung des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Sein Reich sollte kein Staat in irgendeinem „verfaßten“ Sinne sein, in dem er selbst irgendwelchen Normen zu folgen hätte.
Der „Führer“ und die verschiedenen NS-Klüngel kultivierten lieber den permanenten „Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik“ (H. Mommsen). Im Krieg, dem realen Ausnahmezustand schlechthin, verdrängte der „Maßnahmestaat“ vollends den zumindest noch formalen „Gesetzesstaat“ (F. Neumann) und reduzierte den realen Wert des Ermächtigungsgesetzes auf nahezu Null. Formlose Führererlasse und -entscheide sowie temporäre Verabredungen zwischen konkurrierenden Instanzen traten an die Stelle von Reichsgesetzen.
Am 10. Mai 1943 wurde schließlich auch das Ermächtigungsgesetz selbst durch einen bloßen Führererlaß ein letztes Mal verlängert. Die Reichsgesetzgebung war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon nahezu zum Erliegen gekommen. Die formale Aufhebung des Ermächtigungsgesetzes durch den alliierten Kontrollrat am 20. September 1945 war dann nur noch das verspätete Begräbnis eines lange Verstorbenen.