Altbischof Christoph Demke verkündete: „Ein Schuldbekenntnis werden Sie von mir nicht hören!“ Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) lud am 12. August zur Tagung „Kirche im Sozialismus – das Fanal von Zeitz und die evangelische Kirche in der DDR-Gesellschaft“ ins Berliner Rote Rathaus ein. Dort wurden alte Graben-kämpfe zwischen angepaßter Kirche im Sozialismus und dem Protest gegen die Erstickungsversuche des Christentums heftig, aber fair ausgefochten. Die Fronten sind scheinbar noch heute vorhanden, im zahlreich anwesenden Publikum wie auf den hochkarätig besetzten Podien. Am 18. August 1976 setzte Pfarrer Oskar Brüsewitz mit seiner Selbstverbrennung vor der Michaeliskirche in Zeitz ein Flammenzeichen im Kampf gegen den Kommunismus, das ebenso als Anklage gegen den Opportunismus der Kirchenleitungen verstanden wurde (JF 33/06). Kritische Solidarität mit dem antichristlichen Regime Nach einem Gottesdienst in der St. Marienkirche hielt der Historiker und Medien-Professor Wolfgang Stock, Vorsitzender und Mitbegründer des Brüsewitz-Zentrums, einen exzellenten Einführungsvortrag. Bald steigerte sich von Podium zu Podium die Spannung, die es dem Publikum ermöglichte, sich in die siebziger Jahre einzufühlen oder zu erinnern. Besonders der Historiker Peter Maser und der Publizist Wolfgang Templin stellten den Zeitrahmen her, in dem Brüsewitz seine Verzweiflungstat vollbrachte. Trotz Uno-Beitritt und Helsinki-Schlußakte, trotz ketzerischer Gedanken der Euro-Kommunisten und aufkommenden Aufruhrs in Polen und nicht mehr totzukriegender Opposition in der Sowjetunion erklärte der Bund Evangelischer Kirchen in der DDR mißverständlich, daß Christen in der DDR nicht gegen, nicht für, sondern als Christen im Sozialismus zu leben hätten, obwohl der totalitäre Staat nach seiner letzten Verfassungsänderung vorschrieb, daß die Jugend zu „kommunistischen Persönlichkeiten“ zu erziehen sei. Nur unter fünf Prozent der Kinder wurden getauft, noch weniger ließen sich konfirmieren. Die Zukunft des Christentums schien gefährdet. Hätte es da seitens der Kirche nicht einer härteren Gangart bedurft? Demke verteidigte zwar die alte Strategie, gab aber auch zu, daß die Formel „Kirche im Sozialismus“ die Chance zu „Vereinnahmungsstrategien“ bot und somit in die Gefahr geraten war, „Wahrheit eher zu verschleiern als deutlich auf den Tisch zu packen“. Ähnlich wie die von Altbischof Albrecht Schönherr 1994 geäußerte Ausrede, zwischen „Anpassung und Verweigerung“ habe sich „die Kirche um kritische Solidarität bemüht“, überzeugte das die anwesenden Kommunismus-Opfer kaum, die besonders in Alexander Bauersfeld ihren Sprecher fanden. Vom Podium her mahnte der Theologe Ehrhart Neubert eine „kritische Selbstreflexion“ der Kirchen bezüglich ihrer Rolle im totalitären DDR-Staat an. Öl ins Feuer der erhitzten Stimmung goß besonders der ehemalige Oberkirchenrat und Theologieprofessor Harald Schultze, der in der DDR-Regierung eine von Gott eingesetzte Ordnungsmacht sehen wollte. Und das Hitler-Regime? Als diese Frage gestellt war, kam sofort die dogmatische Unvergleichbarkeitsthese auf, die freilich bei den Opfern und Widerständlern wenig zählt. Ebenso vom Podium her, besonders vom Prediger Rainer Wagner, wurde deutlich gemacht, daß die zweite Diktatur in Deutschland zwar keine solche Masse an Mordopfern zu verantworten hat wie die erste, was sie jedoch nicht entlaste, da sie nur als Teil des kommunistischen Imperiums zu definieren sei, das seit 1917 mehr Menschenleben forderte als jede faschistische oder nationalsozialistische Diktatur. Nicht nur in Kirchenkreisen scheint in Vergessenheit zu geraten, daß die SED-Diktatur ein verbrecherisches Regime war. Einen beachtenswerten Aspekt brachte Klaus Motschmann ein, indem er die geistig-geistliche Verfassung der evangelischen Kirche seit 1945 von dem Neuansatz Karl Barths ableitete, der das deutsche Volk dazu aufrief, dem Kommunismus in Zukunft „aufgeschlossen und verständnisvoll entgegenzugehen“. Widerspruch wurde als Ausdruck „antikommunistischer Vorstellungen“ und mangelnder Bußfertigkeit oder gar als „Indiz auf den Hitler in uns“ denunziert. Zwar sei die „Kirche im Sozialismus“ der DDR-Landeskirchen vom Tisch, nicht jedoch „der Sozialismus in den Landeskirchen“ der alten Bundesrepublik. Bereits 1992 erschien ein Band mit dem aufschlußreichen Titel „Der Traum aber bleibt – Sozialismus und christliche Hoffnung“. Sozialismus bewahre ein „unaufgebbares Humanum“, so der Kirchenleiter der Rheinischen Kirche. Brüsewitz aber hat solches Gebaren in Verzweiflung gestürzt. Brüsewitz‘ Fanal brachte Kirchenleitung zum Tanzen Erhebend war, daß neben der Brüsewitz-Tochter Esther und ihrer Familie zwei enge Kollegen anwesend waren, der Theologe Dieter Ziebarth und der ehemalige Pfarrersbruder Klaus-Reiner Latk. Letzterer machte gegen die Anweisung des damaligen Sekretariatsleiters des Kirchenbundes, Manfred Stolpe, der Solidarität mit der DDR einforderte, die Selbstverbrennung im Westen bekannt. Für beide Mitstreiter war Brüsewitz ein konsequenter Prediger des Evangeliums, dem es um den christlichen Freiheitskampf ging, den er verstand „als ein Freimachen von den Dingen, die einen in dieser Welt binden“. Brüsewitz, so Freya Klier, war derjenige, der die Verhältnisse in der DDR ebenso zum Tanzen brachte wie in den Kirchenleitungen. Der UOKG-Vorsitzende Horst Schüler konnte mit der Tagung und ihren Impulsen voll zufrieden sein. Foto: Superintendent Manfred Stolpe 1987 mit Carl-Friedrich von Weizsäcker (M.) und dem „Ständigen Vertreter“ der Bundesrepublik Otto Bräutigam in Ost-Berlin: Nicht gegen den Sozialismus leben
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