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Traum durch die Dämmerung

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Es war ein schweres Mercedes Cabriolet, das am 5. September 1954 in der Nähe von Hamburg während eines Überholmanövers durch zu hohes Fahrtempo von der Straße abkam und an einem Telegraphenmast zerschellte. Während der Beifahrer keine lebensgefährlichen Verletzungen davontrug, starb der Fahrer fünf Tage später durch einen Bruch des siebten Halswirbels. Der Tod des wohl populärsten deutschen Tenors dieser Zeit, Peter Anders, erschütterte die damalige Musikwelt. Verkörperte doch Anders mit seiner attraktiven äußeren Erscheinung, seiner strahlenden Stimme und seinem optimistischen Wesen wie kein zweiter Sänger der ernsteren Muse die Aufschwungs-Euphorie der Nachkriegsjahre. Die „Winterreise“ mitten im Inferno des Krieges Der 1908 in Essen geborene und in Posen aufgewachsene Anders durchlief die vielleicht brillanteste Sängerlaufbahn der dreißiger und vierziger Jahre. Zwar erlernte er auf Wunsch der Eltern, obwohl sich frühzeitig ein herausragendes stimmliches Talent zeigte, zunächst den Brotberuf eines Bücherrevisors und entschloß sich erst mit zwanzig Jahren, professionellen Gesangsunterricht zu nehmen: zuerst an der Berliner Musikhochschule bei Ernst Grenzebach, dem Lehrer von Max Lorenz, und anschließend bei Lulu Mysz-Gmeiner, deren Tochter er später heiratet. Max Reinhardt, dem die Stimme Anders‘ aufgefallen war, kümmert sich um sein schauspielerisches Talent. Der Weg an die Spitze begann wie üblich in der Provinz. Zunächst die ersten Buffopartien 1932 in Heidelberg, dann als lyrischer Tenor in Darmstadt, Köln und Hannover. Clemens Krauss holt ihn 1938 nach München, und 1940 hat er das Ziel erreicht, von dem ein junger Sänger damals träumte. Er wurde Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper und ständiger Gast der Salzburger Festspiele, wo er unter Karl Böhm sowohl den Tamino als auch den Tenorpart des Verdi-Requiems gestalten durfte. An der Berliner Staatsoper kam Anders in den Kreis weltberühmter Namen. Sein Biograph Friedrich W. Pauli erinnerte 1963 daran, daß der nahezu unbekante Mann aus der Provinz über Nacht neben Helge Rosvaenge, Franz Völker, Marcel Wittrisch und Max Lorenz auf der Bühne stehen durfte. Zwar sei der Staatsoper-Intentdant Heinz Tietjen bestrebt gewesen, Anders‘ „schlanke Stimme mit der strahlenden Kraft“ vorsichtig einzusetzen, den Sänger so zunächst in der zweiten Reihe plazierend. Bald habe er aber einen berückenden Belmonte, einen herrlichen Tamino gegeben. Die beiden „Wundernachtigallen“, die Dresdnerin Erna Berger und Tiana Lemnitz, die Tochter eines elsässischen Militärkapellmeisters, wurden in Mozarts „Zauberflöte“ und der „Entführung aus dem Serail“ seine ständigen Partnerinnen. Unmittelbar vor Kriegsbeginn hatte sich dann, bereichert um Maria Cebotari, Heinrich Schlusnus und Willi Domgraf-Fassbaender, an der Staatsoper jenes Ensemble herausgebildet, von dem Pauli zu Recht urteilt, „kein edleres“ lasse sich denken, und das Anders bis 1948 eine künstlerische Heimat bot. Die Zusammensetzung des Ensembles veränderte sich auch während der schwersten Kriegsjahre ab 1942 kaum. Im Rückblick scheint unvorstellbar, daß die Aufführungen inmitten der alliierten Bombardierungen Berlins mit der Präzision eines Uhrwerkes über die Bühne gingen. Ein zufällig erhaltenes Tagebuch einer Opernenthusiastin dokumentiert, daß schon am 12. Dezember 1943, wenige Tage nach den verheerendsten Angriffen, Richard Strauß‘ „Rosenkavalier“ in Spitzenbesetzung auf dem Programm stand. Mit Rücksicht auf den „Besuch von oben“ war die (ausverkaufte) Vorstellung auf den frühen Nachmittag gelegt worden, Anders sang gemeinsam mit Cebotari und Lemnitz, denen unter diesen Umständen ein bis heute unerreichtes Duett Sophie-Octavian („Mir ist die Ehre widerfahren …“) gelang. Die große Popularität, die er nach dem Krieg genoß, läßt allerdings oft vergessen, daß er bereits vor 1945 zu den bedeutendsten lyrischen Tenören gehörte. Jürgen Kesting beschreibt die Stimme des Peter Anders der dreißiger und frühen vierziger Jahre als „hellen, lyrischen Tenor von schlankem Klanggepräge mit ungemein dichter, zentrierter und hell-strahlender Höhe mit einem silbrigen Kern“. Diese Stimme war wie geschaffen, um das romantische und spätromantische Liedgut für ein Publikum zu interpretieren, dessen Seelenlage um 1940 noch mit vielen Wurzeln tief dem 19. Jahrhundert verhaftet war. Anders‘ Glanzstücke „Traum durch die Dämmerung“ oder „Ich trage meine Minne“, überhaupt die frühen Richard-Strauß-Lieder, bringen archetypisch die deutsche Kollektivpsyche zum Ausdruck. Nicht zufällig berichtet Hitlers Sekretärin Christa Schröder, daß sie ihrem Chef im Winter 1942 von der Zauberkraft der Stimme Anders‘ so lange vorschwärmte, bis auch der von Ostfront-Krise geschüttelte „Führer und Reichskanzler“ bereit war, ihrer Magie zu erliegen. Schon am 16. Juni 1945 erstes Konzert in der Staatsoper An der Berliner Staatsoper galt Anders‘ Einsatz neben den Opernrollen vornehmlich dem Kunstlied. Während der letzten beiden Kriegsjahre, nachdem der Spielbetrieb der Staatsoper immer weiter eingeschränkt war, arbeitete er verstärkt mit der damaligen Reichsrundfunk-Gesellschaft zusammen, deren bevorzugter Tenor er damals (zusammen mit Willi Domgraf-Faßbaender) gewesen ist. Geradezu legendär ist seine Interpretation von Schuberts „Winterreise“ (am Klavier natürlich: Michael Raucheisen), die um den 10. März 1945 als letzte Aufnahme in der Masurenallee eingespielt wurde. Man fragt sich anläßlich der einzigartigen interpretatorischen und tontechnischen Qualität dieser Referenzaufnahme, wie es um das Musikleben im Dritten Reich bestellt gewesen sein mußte, wenn es selbst in den letzten Kriegswochen im Berliner Inferno noch gelang, erstklassige Künstler zu Tonaufnahmen von Schubert-Liedern zusammenzubringen. Die teilweise rabaukenhaften Auslassungen, die der selbsternannte Experte für die „Musik im Dritten Reich“, Michael H. Kater (Toronto), über diese durch die Emigration kaum in Mitleidenschaft gezogene Musikkultur zur Deutung anbietet, sind jedenfalls weit davon entfernt, deren Faszinationsmacht zu begreifen. Auch nach Kriegsende blieb Anders an der Staatsoper. Trotz chaotischer Bedingungen im Sommer 1945, ließen sich Berlins Sänger nicht entmutigen. Bereits am 16. Juni: mit einem Konzert der Staatskapelle Berlin mit den Sängern Peter Anders und Erna Berger. Seine erste Opernrolle nach dem Zusammenbruch gestaltet er als Herzog in Verdis „Rigoletto“ am 10. September 1945. Seine Stimme war nun hell, strahlend, von unvergleichlichem Adel, wie seine Interpretation des Hoffmann in einer Gesamtaufnahme von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ unter Artur Rother von 1946 beweist. Während der Berlin-Blockade entschied sich Anders 1948 an die Hamburgische Staatsoper zu wechseln, der er bis zuletzt verbunden blieb. Um 1950 begann der Tenor, sich das dramatisch-heldische Fach zu erschließen. Engagements im Ausland sowie eine ständig ansteigende Zahl von Rundfunk-Verpflichtungen verlangten ihm eine weitere (Stimm)-Bandbreite ab. Besonders Operettenaufnahmen waren seiner Popularität förderlich. Er war nach 1945 eher ein zurückhaltender, brav-naiver Operetteninterpret, viel von der Intensität der Kriegszeit war verloren. Allenfalls für diese Schaffenszeit gilt daher das Urteil Jürgen Kestings (in seinem Standardwerk „Die großen Sänger des Jahrhunderts“), wonach Anders ein „zuverlässiger, sympathischer Sänger“ gewesen sei, „der nicht über jene Gediegenheit hinaus kam, die zeittypisch war und sich auch im deutschen Film jener Zeit zeigte“. Vielleicht wird so die Frage beantwortet, warum man ihn außerhalb des deutschsprachigen Raums nie richtig zur Kenntnis nahm. Unüberhörbar war zudem, daß seine Stimme nicht sonderlich voluminös war, in hohen Lagen spröde, allerdings in dieser Höhe schneidend und sich so stets durchsetzen konnte. Im heldischen Fach konnte er aber dennoch 1950 als Bacchus in Strauß‘ „Ariadne“ wie auch 1951 als Stolzing in den „Meistersingern“ in Edinburgh und London überzeugen. Seine Gipfelleistung in diesem Genre stellt die Rundfunkaufnahme des „Lohengrin“ von 1952 dar. Seine Stimme ist hier metallisch-durchschlagkräftig, läßt jedoch eine gewisse Zartheit und Brüchigkeit hören, was die Frage aufwirft, ob sein geplanter Weg zum Heldentenor seinen Möglichkeiten entsprach. Diese Weiterentwicklung zu verfolgen, verhinderte Anders‘ allzu früher Tod, denn für 1955 war der Sprung auf Bayreuths Grünen Hügel vorgesehen. Vor dem Sprung auf Bayreuths Grünen Hügel Es bleibt das Resümee: Allen kleinen technischen Schwächen seiner Stimme in seiner „heldischen Phase“ steht eine für die damalige Zeit neuartig-ungezwungene, weitgehend pathosfreie, von ehrlicher Einfühlsamkeit geprägte Singkunst gegenüber. Welch merkwürdige Koinzidenz, daß der einzige ihm vergleichbarer Nachfolger im lyrischen Fach, Fritz Wunderlich (der ihn allerdings in der Höhe an Volumen überragte), 1966 ebenso durch einen Unfall, wenn auch in der Wohnung, ums Leben kam. Anders mag in einer musikalischen Gegenwart, in der nach Sergiu Celibidaches Tod (1996) die romantische Tradition allein durch den Dirigenten Christian Thielemann und die Sopranistin Waltraud Meier weiterlebt, nicht mehr so präsent sein. Doch könnte sein 50. Todestag die Erinnerung an diesen „Tenor des Wirtschaftswunders“, wie er im Beiheft einer jetzt von Zweitausendeins vertriebenen Edition irrigerweise genannt wird, wie auch seine jugendlich-optimistische Erscheinung beleben. Denn immerhin muß auch der kritische Kesting einräumen: „Als das Opernhaus Unter den Linden in Trümmer fiel, konnte Peter Anders Anspruch darauf erheben, der beste lyrische Tenor deutscher Zunge zu sein.“ Fotos: Wilhelm Furtwängler (l.) und Peter Anders bei Proben: Hell, strahlend und von unvergleichlichem Adel, Peter Anders: Nicht nur „Tenor des Wirtschaftswunders“

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