Wöchentlich sterben in Deutschland mehr Menschen an den Folgen des Rauchens als im ganzen Jahr an Heroin. Trotzdem gelten harte Drogen überall als sehr gefährlich, während Rauchen weiterhin als Kavaliersdelikt durchgeht. Daran können auch die panischen Aufschriften auf den Packungen nichts ändern. Es gibt eben einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Kettenraucher, der an Lungenkrebs stirbt wie vor gut acht Jahren der Dichter Heiner Müller, und einem sogenannten Fixer. Der Raucher raucht, um sich das Leben zu erleichtern. Der Fixer spritzt, um sich das Leben zu ersparen. Nicht nur für bekannte Künstler gehört das Rauchen untrennbar zur geistigen Produktion. Ein Heroinabhängiger hingegen hat noch nie eine brauchbare Dichtung geliefert, weil es nichts gibt, woran er sich noch stößt. Die Droge wirkt wie ein riesiger Puffer. Dr. Walter Kindermann, Psychologe und Drogenfachmann, läßt den Siegeszug des Rauschgiftes in Deutschland 1964 beginnen – vor genau vierzig Jahren also. Seitdem haben sich die Präferenzen mehrmals geändert. Anfangs waren Haschisch und Marihuana in Mode, dann kam das synthetische LSD hinzu. In den siebziger Jahren boomte Heroin, dann Kokain, bis Ecstasy aus der Familie der Amphetamine entstand. Neuester Trend ist eine wahllose Mischung verschiedenster Rauschmittel, darunter sogar therapeutische Verordnungen wie Methadon. Ist der Drogenkonsum etwas Technisches und Modernes, ein Teil des westlichen „Machbarkeitswahns“, oder genau umgekehrt der Versuch zum „Ausstieg“, zum „Relaxen“? Uralt ist der Gebrauch von Opium in den Herkunftsländern wie Afghanistan oder China sowie das Kauen der Kokapflanze durch erschöpfte Indios in Bolivien. Da hier jedoch die technischen Mittel für eine Verarbeitung zu hochwirksamen Chemikalien fehlten, wurde die Sucht nicht zum großen gesellschaftlichen Problem. Als Hustenmittel ist Heroin im 19. Jahrhundert in Europa eingeführt worden. Insofern ist die moderne Medizin „schuld“ an dessen Mißbrauch. Morphium kam als Schmerzmittel in die Lazaretten des 1870/71-Krieges. Die Frage, ob der massive Mißbrauch sich bloß vom Angebot herleitet, oder auf typisch moderne Belastungen reagiert, ist kaum zu beantworten. Fest steht, daß alle Rauschgifte letztlich die gleiche Wirkung haben: den Konsumenten von seinen „Lebensaufgaben“, wie Alfred Adler es nannte, abzuhalten bzw. zu „erlösen“. Deshalb ist die Entwicklung hin zur Mehrfachabhängigkeit nur konsequent. Dabei werden auch pharmazeutisch hergestellte Beruhigungsmittel in großen Mengen „eingeworfen“. Bei ihrer Jagd nach dem ultimativen Glücksgefühl erkennen die Süchtigen irgendwann, daß sie von der Droge nicht mehr zu erwarten haben als Betäubung ihrer Unzufriedenheit. Doch das reicht leider vielen.