Die stärkste Erscheinung in der Politik des Widerstandes“ nannte ihn Roland Freisler, der Scharfrichter des „Volks“-Gerichtshofs. Theodor Heuß, dem Kollegen im Reichstag der Weimarer Republik, erschien er als „aus dem Holz der Marschälle Napoleons geschnitzt“, und er dachte dabei an den Saarländer und Napoleon-Marschall Michel Ney. Leber war 1891 als Sohn eines Arbeiters im Elsaß geboren worden. Mit einem Stipendium konnte er in Freiburg die Oberrealschule besuchen und nach dem Abitur dann dort Volkswirtschaft studieren. Mit 22 Jahren trat er 1913 in die SPD ein. Im August 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Schon 1915 wurde er Leutnant und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Im Rückblick von 1918 erschien ihm der Krieg freilich als „der große Fluch meiner Generation“, 1920 schloß er das Studium in Freiburg mit einer Dissertation über „Die ökonomische Funktion des Geldes“ ab. Mit dreißig Jahren wurde er 1921 Chefredakteur des sozialdemokratischen Lübecker Volksboten. Die Hansestadt wurde zu seiner neuen Heimat, die er dann von 1924 bis 1933 für seine Partei im Reichstag vertrat. Leber gehörte in der SPD zur jungen Politikergeneration, die unter dem Eindruck des Kriegserlebnisses die ideologische und politische Erstarrung der Partei und vieler ihrer Funktionäre beklagte und bekämpfte. Mit Carlo Mierendorff und Theo Haubach, auch sie Parteifreunde aus der Kriegsgeneration und später im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, gehörte er zu den Erneuerern, die nicht mehr der marxistischen Endziel-Utopie huldigten, sondern in der SPD die notwendige fortschrittliche Kraft bei der Lösung der drängenden innen- und außenpolitischen Probleme der jungen Republik sahen. „Europa krankt am Versailler Frieden und am Nationalismus“, der Satz faßte Lebers politisches Credo in der ersten Zeit seiner politischen Tätigkeit zusammen. Nicht nur wegen seiner elsässischen Herkunft wurden die deutsch-französische Verständigung im Zeichen des Locarno-Vertrags und die europäische Einigung zum Kernbestand seiner politischen Einsichten. Das hinderte ihn aber nicht daran, als Mitglied des Reichswehrausschusses des Reichstages im Gegensatz zur Mehrheit seiner Partei und Fraktion für eine realistische Militärpolitik (etwa im Zusammenhang mit dem Bau eines Panzerkreuzers) und überhaupt für ein positives Verhältnis zwischen der SPD und der Reichswehr als der bewaffneten Macht der Republik einzutreten. Längst schon hatten die Nationalsozialisten Leber als gefährlichen politischen Gegner erkannt, der Einfluß auf die Massen hatte. Als er am 23. März 1933 als wiedergewählter Abgeordneter den Reichstag betreten wollte, wurde er verhaftet. Auch ihn führte der Weg nun für vier Jahre durch die Gefängnisse und Konzentrationslager der totalitären Diktatur. Im Juni 1933 schrieb er im Gefängnis seine „Gedanken zum Verbot der deutschen Sozialdemokratie“ nieder, eines der wichtigen Quellenzeugnisse der Zeitgeschichte, weil es deutlich macht, daß die Weimarer Republik nicht nur dem nationalsozialistischen Extremismus und der nationalistischen Rechten erlag, sondern auch das politische Versagen der republikanischen Kräfte in die Gesamtbilanz des Scheiterns der Republik einbezogen werden muß. Leber beklagte sich bitter über das Versagen seiner Partei und ihrer überalterten Führung durch ihr „Verharren an der Ankerkette des Marxismus“. Sie hatte damit eine „chinesische Mauer“ errichtet, hinter der sie die neue soziale Wirklichkeit seit dem Kriege nicht mehr zu erkennen vermochte. Lebers Gedanken erinnerten immer wieder an die Ideen des jungen sozialdemokratischen Staatsrechtslehrers Hermann Heller, der – ebenfalls Jahrgang 1891, in Teschen in Oberschlesien geboren und Kriegsteilnehmer – als Angehöriger des jungsozialistischen Hofgeismarer Kreises eine neue Zuordnung von Sozialismus und Nation forderte und mit dem Programm eines „nationalen Kultursozialismus“ den Versuch unternahm, die durch Krieg, Inflation und Wirtschaftskrise proletarisierten Mittel- und Kleinbürgerschichten nicht dem Nationalsozialisten anheimfallen zu lassen. Auch in der Kritik der „geradezu grotesken Vorstellungen von Massenherrschaft“ in der SPD, die der „freien Konkurrenz der kämpferischen Persönlichkeiten und starken Charaktere“ in der Politik keinen Raum ließen, stimmte Leber mit Heller überein. Nach seiner Freilassung aus dem KZ 1937 trat Leber bald mit alten sozialdemokratischen Freunden wie Wilhelm Leuschner und Ernst von Harnack wieder in Verbindung. Sie stimmten mit Leber darin überein, daß aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik nach dem Sturz des Nationalsozialismus an die Stelle eines schwächlichen Parteienregimes eine starke, mit Autorität ausgestattete Regierung treten mußte. Über Leuschner kam Ende 1943 Lebers Verbindung zum bürgerlichen Widerstandskreis um Carl Goerdeler zustande, dessen liberal-konservative Vorstellungen Leber freilich nicht teilen konnte. Nach Carlo Mierendorffs Tod bei einem Luftangriff in Leipzig im Dezember 1943 trat Leber im Kreisauer Kreis auf Wunsch James von Moltkes an dessen Stelle. Die dortigen vor allem theoretischen Erörterungen waren jedoch nicht nach dem Geschmack Lebers. Wichtiger wurde daher die Verbindung mit Claus von Stauffenberg, in dem Leber die letzte Hoffnung auf einen militärischen Staatsstreich erblickte. Zwischen dem süddeutschen Aristokraten und politischen Soldaten und dem Arbeiterführer kam rasch ein von gegenseitiger Wertschätzung bestimmtes Vertrauensverhältnis zustande. Beide teilten die Überzeugung, daß es nach einem gelungenen Umsturz nicht um eine bloße Restauration Weimarer Verhältnisse gehen durfte, sondern ein wirklicher geistiger und politischer Neuanfang nötig war. Von Lebers gereifter politischer Erfahrung und seinem Einfluß auf breite Volksschichten erwartete Stauffenberg deren Gewinnung nach dem Umsturz. Nach Stauffenbergs Vorstellung hätte Leber früher oder später an die Stelle Goerdelers als Reichskanzler treten sollen. Es gehört zu den Verhängnissen des deutschen Geschicks um den 20. Juli, daß diese Konstellation eines Zusammenwirkens der beiden nach Herkunft und Alter so unterschiedlichen und doch so gleichgearteten Männer keine Möglichkeit der Verwirklichung finden konnte. Ende Juni 1944 war das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) auf die Spur von Lebers Untergrundarbeit gekommen. Am 5. Juli wurde er verhaftet. Stauffenberg ließ Annedore Leber sagen: „Wir sind uns unserer Pflicht bewußt. Ich hole ihn raus!“ Zwei Wochen später scheiterte der Anschlag und damit der Umsturzversuch der Patrioten. Am 20. Oktober wurde Leber vom sogenannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Da man von ihm weitere Informationen erhoffte, wurde er erst am 5. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. In seinem letzten Gruß an die Freunde schrieb er: „Für eine so gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis. Wir haben getan, was in unserer Macht gestanden hat. Es ist nicht unser Verschulden, daß alles so und nicht anders ausgegangen ist.“ Dorothea Beck: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Siedler Verlag, Berlin 1983, Seiten, Abbildungen, Euro Gustav Dahrendorf (Hrsg.): Ein Mann geht seinen Weg. Schriften, Reden und Briefe von Julius Leber. In dieser Reihe wurden bisher Edurad Wagner, Karl-Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke und Carl-Heinrich von Stülpnagel porträtiert. Foto: Julius und Annedore Leber, Lübecker Bucht 1927: „Freie Konkurrenz der kämpferischen Persönlichkeiten und starken Charaktere“