Der Kinderbuchautor Janosch kann nur schwer verbergen, daß in ihm ein undamentalistischer Ökologe schlummert. Jede der Geschichten, die seine Helden, der kleine Bär und der kleine Tiger, durchleben, ist durchtränkt mit „grüner“ Ideologie. Am sinnfälligsten tritt das dem kindlichen Lesepublikum zwischen 5 und 95 im „Großen Tiger-Atlas“ vor Augen. Auf ihrer virtuellen Reise um die Erde finden die Herren Bär und Tiger immer wieder Gelegenheit, sich schaudernd vom angeblichen homo „sapiens“ abzuwenden. So in Indien, wo der kleine Tiger wegen der nahezu gelungenen Ausrottung seiner Artgenossen den Menschen „ewige Rache“ schwört, so auch in Südamerika, wo angesichts der Vernichtung von Pflanzen und Tieren des Regenwaldes der kleine Bär seinen anthropologischen Pessimismus im drastischen Credo bündelt: „Der Mensch ist eine Sau.“ Daß ökologische Reflexionen vielleicht nicht zufällig immer wieder beim Borstenvieh enden, bestätigt auch Osha Gray Davidsons Wissenschaftsreportage über „Das rätselhafte Sterben der Meeresschildkröten“. Was haben diese mythischen, atemberaubend schönen Geschöpfe mit Schweinen zu tun? Nun, diese 100 Millionen Jahre alte Art, Reptilien mit „archaischer Aura“, steht vor dem Aussterben, weil die Symbiose von Mensch und Schwein ihr den Garaus bereitet. Doch diese Erklärung steht erst am Schluß von Davidsons detektivischer Suche nach den Ursachen für eine geheimnisvolle Krankheit, deren Auftreten erstmals in den dreißiger Jahren bei Grünen Meeresschildkröten registriert wurde. Es handelt sich um Fibropapillomatose, abgekürzt FP. Sechs von sieben Arten der Meeresschildkröten sind damit heute infiziert. Diese Viruserkrankung führt binnen kurzer Zeit zu inneren und äußeren Metastasenbildungen und raschem Exitus der davon befallenen Tiere. Das wahre Ausmaß der Epidemie, die Davidson als Indikator gewaltiger biologischer Zerstörungen wertet, enthüllt sich dem Leser leider erst im letzten Drittel des Buches. Zuvor muß er sich durch viel redundantes Geschwätz quälen, das symptomatisch ist für angelsächsische Sachbuchprosa, die sich gern anbiedernd „unterhaltsam“ gibt. Aber nachdem Davidson uns mit allen – fraglos höchst verdienstvollen – Schildkrötenforschern zwischen Hawaii und Florida, mit ihrer Physiognomie wie mit ihren persönlichen Eigenheiten bis hinunter zur Vorliebe, den Kaffee nicht mit Milch, sondern mit Kaffeeweißer zu genießen, vertraut gemacht hat, führt er die verwirrenden Fäden zusammen und kommt endlich zu den bestürzenden harten Fakten, um derentwillen man seinem Werk eine möglichst weite Verbreitung wünscht. Und mit den alarmierenden Fakten betreten die Schweine wieder die Bühne. Wie diese Nutztiere des Menschen die Meeresökosysteme belasten, demonstriert Davidson am Beispiel des US-Bundesstaates North Carolina. Bis Anfang der achtziger Jahre dominierten dort mittelgroße Familienbetriebe die landwirtschaftliche Infrastruktur, Farmen, die durchschnittlich 250 Schweine aufzogen. Zwischen 1983 und 1993 ist davon wenig übriggeblieben. Statt dessen triumphiert die fabrikartige Massentierhaltung, „in der riesige Konzerne mit den Bauern vertraglich vereinbarten, 20.000 Schweine in einem einzigen Arbeitsablauf zu produzieren“. 1997 gab es deshalb in North Carolina erstmals mehr Schweine als Menschen: „Und fast alle Schweine konzentrierten sich im östlichen Drittel des Bundesstaates – an Flüssen und Bächen, die in Küstengebieten und Mündungen entwässerten.“ Die gigantischen Abwassermengen befördern die Algenblüte sowie die Ausbreitung giftiger Mikroorganismen, die die Intaktheit der großen Meeresökosysteme bedrohen. Das Seehundsterben in der Nordsee ist eine Folge dieser Entwicklung, die wir vor unserer Haustür erleben konnten. Die Meeresschildkröten sind davon betroffen, weil die mit giftigen Mikroorganismen verseuchten Algen und Seegräser ihre Nahrungsquellen bilden. Beim Abweiden dieser Algenbänke schließt sich für sie also ein tödlicher Kreislauf. Die heute mit Tumoren übersäten, verehrungswürdigen Fabelwesen, deren Bestand seit dem 17. Jahrhundert ohnehin schon infolge widerwärtigster Schlächtereien, „fortwährender Blutbäder“, dezimiert wurde, weisen nach Davidsons Ansicht Deformationen auf, die dem Menschen schon bald selbst bevorstehen, wenn er fortfährt, sich an den marinen Ökosystemen des blauen Planeten zu vergehen. Ein Euro des Kaufpreises fließt an die von Davidson gegründete Turtle House Foundation zur Rettung der Meeresschildkröten. Man kann aber auch dem Deutschen Meeresmuseum in Stralsund eine kleine Spende zukommen lassen, wo eine Karettschildkröte und drei zur Meditation einladende Grüne Meeresschildkröten darauf warten, daß ihnen ein größeres Aquarium gebaut wird. Osha Gray Davidson: Sanfte Riesen. Das rätselhafte Sterben der Meeresschildkröten. Marebuchverlag, Hamburg 2003, 328 Seiten, Abbildungen, 26,90 Euro