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Simpler Blick auf komplexe Materie

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Seit Jahren konzentriert der Hamburger Historiker Christian Gerlach seinen Forscherehrgeiz darauf, die „Männer des 20. Juli“ wenn nicht als „Massenmörder“, so doch wenigstens als deren Komplizen zu stigmatisieren. In einem von Hannes Heer, dem Organisator von Jan Philip Reemtsmas skandalöser Anti-Wehrmachtsausstellung, 1995 herausgegebenen Sammelband („Vernichtungskrieg“) hatte Gerlach seine Thesen zur „Verstrickung“ von Angehörigen des militärischen Widerstandes gegen Hitler erstmals griffig formuliert. Anhand einiger Befehle und Meldungen rückt er darin vor allem Henning von Tresckow, den Stabschef der Heeresgruppe Mitte, ins Zentrum seiner Kritik. Tresckow erscheint in dieser Deutung wie eine perfektionierte Kopie des ewig „Erschießen!“ brüllenden „Nazi“-Offiziers billigster Hollywood-Streifen. Denn gerade dieser idealtypische Preuße, der für die westdeutsche Widerstands-Historiographie nach 1945 zu den glaubwürdigsten Exponenten eines „Aufstands des Gewissens“ zählte, habe mitgeholfen, den Vernichtungswillen der im Rücken der Ostfront operierenden SS-Kommandos in die Tat umzusetzen. Gerlachs Interpretation, die Günther Gillessen in der FAZ als Mischung aus „Collage und Pamphlet“ klassifizierte, provozierte selbst bei jenen, die gewöhnlich keine Gelegenheit zu volkspädagogischer Entrüstung auslassen, heftigste Ablehnung: von der „Selbstgerechtigkeit der Nachgeborenen“ sprachen plötzlich sogar Gräfin Dönhoff und Richard von Weizsäcker. Doch erst Christian Gerlachs 1.000seitige Untersuchung über die deutsche „Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944“, die 1999 unter dem plakativen Titel „Kalkulierte Morde“ erschien, führte zu einer tiefergehenden fachwissenschaftlichen Kritik an seiner willkürlichen Art der Quellenauswahl und -auswertung (JF 11/01). Die so genährten Zweifel an der Seriosität des zum Umfeld Reemtsmas zählenden Zeithistorikers Gerlach werden nun in einem der jüngsten Hefte von Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (1/02), dem Organ des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, deutlich verstärkt. Dort nehmen Hermann Wentker, Mitarbeiter in der Berliner Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte, und der Münsteraner Historiker Klaus Jochen Arnold zu Gerlachs Thesen Stellung. Wentker kommt dabei Gerlach auffällig weit entgegen, wenn er urteilt, zwar nicht die „Mittäterschaft bei antijüdischen Massakern“, aber der Partisanenkrieg, der die „nationalsozialistische Vernichtungspolitik“ nur bemäntelte, sei das Feld der Kooperation zwischen den oppositionellen, die „Bedürfnisse der Truppe“ verabsolutierenden Militärs um Treskow und Heinrich Himmlers Weltanschauungskriegern gewesen. Arnold hält auch solche Zugeständnisse gegenüber einem Historiker für unangebracht, der die Partisanenbekämpfung im Osten kategorisch für „verbrecherisch“ erklärt und sie allein von „systematischem Vernichtungswillen“ gesteuert sieht. Mit den völkerrechtlichen Voraussetzungen wie mit den militärischen Notwendigkeiten hat sich Gerlach deshalb wohlweislich nicht beschäftigt. So lastete er etwa Tresckow eine Erschießung von 100 Geiseln als Beteiligung am „organisierten Massenmord“ an, die bei Klaus Jochen Arnold als völkerrechtlich zulässige harte Repressalie gilt, mit der die deutsche Wehrmacht im August 1942 auf einen Anschlag antwortete, dem neben deutschen Eisenbahnern auch 100 Russen zum Opfer gefallen waren, die von den sowjetischen Partisanen als „Landesverräter“ ermordet wurden. Arnold weist zudem nach, wie Gerlach nicht nur die Zusammenhänge zwischen dem exorbitanten Anstieg der Partisanenüberfälle und den darauf reagierenden Wehrmachtsaktionen konsequent ausblendet, um sich seine monokausale Auffassung vom alles beherrschenden deutschen „Vernichtungswillen“ nicht selbst zu destruieren, sondern wie hartnäckig er die sogleich am 22. Juni 1941 einsetzende völkerrechtswidrige Kampfesweise der Roten Armee ignoriert. Dabei geht Gerlach so weit, eine Aufzeichnung Fritz-Dietlof von der Schulenburgs, die dessen Bedenken dokumentiert, die sowjetische Brutalisierung mit ähnlichen Methoden zu entgelten, ins Gegenteil zu verkehren. So mutiere bei Gerlach Schulenburgs Sorge um anständiges Verhalten zur Komplizenschaft bei verbrecherischer Kriegführung. Arnold läßt es sich nicht entgehen, an ähnlich schwere Schnitzer zu erinnern, nach deren Aufdeckung Gerlach inzwischen kleinlaut zurückrudern mußte. Im Fall von Tresckows Vorgesetztem, Feldmarschall Fedor von Bock, hatte er behauptet, dieser habe von SS-Gruppenführer von dem Bach-Zelewski „besondere Anerkennung“ erfahren. Da die SS-Einheiten aber noch keine Feindberührung hatten, werde sich der Gruppenführer wohl für Bocks Hilfe beim Judenmord bedankt haben. Ausgerechnet im britischen Public Record Office liegt der von Arnold zitierte Entlastungsbeweis: ein abgefangener Funkspruch von dem Bach-Zelewskis, der zweifelsfrei belegt, daß sich die SS-Einheiten im Kampf mit durchgebrochenen sowjetischen Einheiten befanden. Als nicht weniger haltlos erweise sich Gerlachs Unterstellung, Bock und Tresckow hätten von Kriegsbeginn an davon gewußt, daß die Aufgabe der Einsatzgruppen die „unterschiedslose Ermordung jüdischer Menschen“ gewesen sei und deshalb nichts dagegen unternommen, weil „partiell Übereinstimmung mit den verbrecherischen Zielsetzungen“ Adolf Hitlers und Heinrich Himmlers herrschte. Arnold erinnert daran, daß die Hauptaufgabe von Sicherheitspolizei und SD in den ersten Wochen des Rußlandkrieges gerade nicht die „unterschiedslose“ Ermordung, sondern die polizeiliche Bekämpfung des Gegners war. Und selbst dafür gab es bei den führenden Köpfen der Heeresgruppe nur insoweit Zustimmung, wie diese Bekämpfung sich im Rahmen des völkerrechtlich Erlaubten hielt. Von einer auch nur „partiellen Zustimmung zu Morden an der jüdischen Bevölkerung“ seien Fedor von Bock und seine Offiziere „weit entfernt“ gewesen. Nach eingehender Prüfung der Methode Gerlachs, Quellen derart zu präparieren, daß sie seine politischen Vorgaben bestätigten, kann Arnold von einer „simplifizierenden“ Forschungsperspektive sprechen, die die Prozeßhaftigkeit der Entwicklungen und die komplexen Hintergründe genauso unterdrücke wie den Wissensstand der Zeitgenossen. Komplexe Charaktere wie Henning von Tresckow könnten auf Gerlachs Niveau jedenfalls nicht angemessen erfaßt werden.

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