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Neuer Dokumentenband erschienen: Informationen von Mielkes Gnaden

Neuer Dokumentenband erschienen: Informationen von Mielkes Gnaden

Neuer Dokumentenband erschienen: Informationen von Mielkes Gnaden

Mielke, Erich Politiker (SED); Minister für Staatssicherheit der DDR 1957–89, Vollmitgl. d. Politbüros d. ZK d. SED 1976–89; 1907–2000. – Großkundgebung zum internationalen Gedenktag für die Opfer des Faschismus auf dem Bebelplatz in Ostberlin am 14. September 1980: Erich Mielke hält eine Ansprache.– Foto.
Mielke, Erich Politiker (SED); Minister für Staatssicherheit der DDR 1957–89, Vollmitgl. d. Politbüros d. ZK d. SED 1976–89; 1907–2000. – Großkundgebung zum internationalen Gedenktag für die Opfer des Faschismus auf dem Bebelplatz in Ostberlin am 14. September 1980: Erich Mielke hält eine Ansprache.– Foto.
Stasi-Chef Erich Mielke 1980 in Ostberlin: Neue Dokumente belegen seine Führungsschwäche. Foto: picture alliance / akg-images | akg-images
Neuer Dokumentenband erschienen
 

Informationen von Mielkes Gnaden

Ein jüngst erschienener Dokumentenband über die Stasi aus dem Jahr 1972 offenbart die Führungsschwäche innerhalb des Sicherheitsdienstes – und warum das DDR-Regime an den Katholiken verzweifelt ist.
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Von 1953 bis 1989 pflegte die DDR-Staatssicherheit zu ausgewählten politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Problemen an SED-Politbüromitglieder, DDR-Minister und SED-ZK-Mitglieder schriftliche Berichte zu versenden, die in der Minister Erich Mielke persönlich unterstehenden Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) verfaßt wurden. Der auf das Berichtsjahr 1972 bezogene Dokumentenband liegt nun vor. Insgesamt wurden 1972 Hunderte derartiger Berichte verfaßt, von denen 31 vollständig im vorliegenden Dokumentenband publiziert sind, während die anderen unter angegebener Internetanschrift eingesehen werden können.

Interessant sind allein schon die konkreten Adressaten, denn Erich Mielke bestimmte selbstherrlich, wem von den SED-Granden welche Informationen zugingen oder eben nicht. Dem einstigen SED-Chef Walter Ulbricht und seinem treuen Gefolgsmann Albert Norden, wiewohl beide formell immer noch Politbüromitglieder waren, ging nämlich im Jahr 1972 kein einziger Stasibericht mehr zu, somit deren völligen Bedeutungsverlust dokumentierend.

Über die Hintergründe des Selbstmordes eines NVA-Offiziers und vormaligen hauptamtlichen Instrukteurs des Zentralrates der FDJ informierte die ZAIG allein den Minister für Nationale Verteidigung Armeegeneral Heinz Hoffmann, den Leiter der Abteilung Sicherheitsfragen im ZK der SED Generaloberst Herbert Scheibe sowie die für die sicherheitsmäßige Überwachung der NVA zuständige Hauptabteilung I des MfS. Der betreffende Offizier war ein fanatischer Briefmarkensammler gewesen und hatte finanziell über seine Verhältnisse gelebt. Als man ihn ertappte, aus dem Spind eines unterstellten Soldaten 50 Mark entwendet zu haben, beging er aus Scham Selbstmord.

Am Katholizismus verzweifelt

Im Jahr 1972 stürzten gemäß Stasi-Berichten wenigstens zehn Militärmaschinen über DDR-Territorium ab, wobei fünf Piloten ums Leben kamen. Ursachen waren technische Defekte und Wartungsmängel an MiG-Maschinen. Tief blicken lassen einige Überwachungsberichte der Staatssicherheit zu Fragen der katholischen Kirche der DDR. Aus diesen Berichten ging nämlich hervor, wie schwer man sich seitens der Stasi zumindest 1972 noch tat, innerhalb der katholischen Geistlichkeit Informanten zu gewinnen.

Die evangelische Kirche war zur gleichen Zeit viel stärker informantendurchsetzt und folglich wie ein offenes Buch für die Stasi. Dieser Zustand erzeugte bei der Stasi erhebliche Unsicherheit, war doch das Jahr 1972 jenes Jahr, in welchem in der Volkskammer weitreichende Beschlüsse bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen gefaßt wurden, wobei man zu Recht mit starkem Widerstand katholischer Kirchenkreise rechnete. Auch war gemäß den geheimen Stasiberichten für die SED-Führung mit Beunruhigung in den Reihen der verbündeten Blockparteien zu rechnen.

Mielkes Opportunismus zeigt sich in einem Bericht

Einerseits wurden zu Beginn des Jahres 1972 in einer politischen Hauruck-Aktion alle in der DDR noch existierenden halbstaatlichen Betriebe, meist gegen den Willen der Eigentümer, verstaatlicht. Weiterhin erfolgten Umwandlungen im Status der bestehenden LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften), wobei künftig Leitungsstellen zu 80 Prozent mit SED-Kadern besetzt werden sollten. Nun befürchteten die Mitglieder der DBD (Bauernpartei) an Einfluß zu verlieren und zudem eine erschreckende fachliche Schwächung der LPGs unter Leitung von fachlich ungebildeten SED-Mitgliedern.

Geradezu typisch für das opportunistische Verhalten der „Silowiki“ in der DDR und speziell von Stasi-Minister Mielke ist ein längerer Bericht über sich deutlich offenbarende Führungsmängel im Ministerium des Innern, welches unter der Leitung des Altkommunisten Friedrich Dickel stand. Obwohl Dickel seine Überforderung in klaren Momenten selber erkannte, verfügte er im internen Machtgefüge der DDR über einen festen Stand, denn er war vor und im Zweiten Weltkrieg für den militärischen Geheimdienst der Sowjetunion tätig gewesen. Dennoch erwies er sich als Innenminister und Polizeichef weit überfordert, konnte sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren und fand mit seinen vielen Gehilfen und Stellvertretern kein Verhältnis.

Trotzdem war Dickel 17 Jahre später im Jahr 1989 immer noch Innenminister der DDR. Erich Mielke hatte sich nämlich gescheut, den entlarvenden Bericht über die verheerenden Zustände im Innenministerium an das Politbüro und zwar direkt an Erich Honecker zwecks Ablösung von Dickel weiterzuleiten. Ob der gerissene Mielke dies nur aus purer Solidarität mit Dickel tat oder mehr, um ein „Kompromat“ bezüglich des wegen seiner Verfügungsgewalt über die DDR-Polizei einflußreichen Innenministers Friedrich Dickel in den Händen zu haben, ist ungewiß.

Aus der JF-Ausgabe 24/25. 

Stasi-Chef Erich Mielke 1980 in Ostberlin: Neue Dokumente belegen seine Führungsschwäche. Foto: picture alliance / akg-images | akg-images
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