Vor zwei Jahren legte die amerikanische Radiant Energy Group (REG) eine erste Studie zur „Laufzeitverlängerung und Wiederinbetriebnahme deutscher Kernkraftwerke“ vor. Die Bundesregierung erklärte dann im August 2023 in ihrer Antwort auf eine AfD-Anfrage (Drucksache 20/8008), daß ihr die Studie der Radiant bekannt sei. Aber eine „Bewertung der Ergebnisse“ sei „vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung zur Beendigung der Nutzung der Atomenergie zur gewerblichen Stromerzeugung und mit dem am 15. April 2023 gemäß Atomgesetz vollzogenen Ausstieges irrelevant“, so der damalige Umweltstaatssekretär Christian Kühn. Der frühere Grünen-Vorsitzende in Baden-Württemberg ist hingegen auch nach einem Regierungswechsel weiterhin „relevant“: Im Februar dieses Jahres stieg der Tübinger Soziologe zum Präsidenten des 2014 gegründeten Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) auf.
Die REG, eine Chicagoer Strategieberatungsfirma um den Nukleartechnik-Ingenieur Mark Nelson, gibt dennoch nicht auf und legte nun eine neue Studie vor, die sich mit der Möglichkeit der Wiederinbetriebnahme von Atomkraftwerken in Deutschland beschäftigt. Darin wird auf alle wesentlichen Aspekte des komplexen Themas eingegangen und sogar zweimal auf den wichtigen Aspekt hingewiesen: „Es kommt nun allein auf den politischen Willen an. Zu den beiden dringlichsten Maßnahmen gehören ein sofortiges Rückbaumoratorium für stillgelegte Reaktoren und eine Änderung des Atomgesetzes, um den Betrieb von Kernkraftwerken wieder zu ermöglichen.“
Beste Chancen bieten die beiden AKW Brokdorf und Emsland
Die Kategorisierung und Zuordnung der stillgelegten und mehr oder weniger „zurückgebauten“ (zerstörten) AKW erleichtert die Einschätzung der Sachlage. Insgesamt 14 von einst 31 Kernreaktoren seien in einem Zustand, der eine Wiederinbetriebnahme über einen mehr oder weniger langen Zeitraum möglich und sinnvoll erscheinen läßt. Die besten Chancen (Kategorie 1) bieten die norddeutschen AKW Brokdorf und Emsland.
Zusammen haben sie eine Leistung von gut 2.745 Megawatt (MW), was bei einer 90prozentigen Auslastung einer CO₂-freien und kontinuierlich fließenden Strommenge von gut 21 Terawattstunden (TWh) im Jahr entspricht. Das sind zwar nicht die gut 28 TWh Strom, die Deutschland in diesem Jahr bislang netto importiert hat. Doch wäre es eine Entlastung des deutschen Strommarkts.
Die betriebsnotwendigen Komponenten (Reaktorgebäude und -system, Kühlkreislauf, Turbine/Generator, Turm-/Flußkühlung, Netzanbindung, Kühlwasseranschluß, Bahn-/Hafen-/Straßenanbindung) sind bei den Reaktoren in Brokdorf und Emsland intakt. Es hat praktisch noch kein Rückbau wichtiger Komponenten stattgefunden. Eine Wiederinbetriebnahme wäre in Brokdorf bereits bis Ende 2025 möglich. Die Kosten beliefen sich auf etwa eine Milliarde Euro je Kraftwerk. Der wirtschaftliche Ertrag wäre selbst bei einem Preis von 60 Euro pro MWh (Kategorie 1 und 2) oder gar 100 Euro pro MWh (Kategorie 4) ausreichend.
Neue AKWs sollten jetzt beauftragt werden
Allerdings müßte sofort mit Planung, Detailuntersuchungen und den weiteren Arbeiten begonnen werden. Dazu ist eine generelle Genehmigung und politischer Wille notwendig. Eine gute Lösung wäre es, wenn die Stromerzeugung mittels Kernenergie gesetzgeberisch bestätigt in „überragendem öffentlichem Interesse läge und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit diente“. Das würde die Genehmigungsprozedur beschleunigen – beim Windenergieflächenbedarfsgesetz der Ampel wird ähnlich argumentiert.
In Kategorie 2 sticht das AKW Grohnde (1.369 MW Leistung) heraus: Hier wurden bisher lediglich im Bereich Turbine/Generator Rückbaumaßnahmen ergriffen. Eine Wiederinbetriebnahme wäre bis 2028 möglich. Die Kosten lägen zwischen einer und drei Milliarden Euro. Bei den übrigen sechs AKW der Kategorie 2 (Gundremmingen B&C, Isar 2, Krümmel, Neckarwestheim 2, Philippsburg 2) ist die Wiederinbetriebnahme bis 2032 machbar.
Die Wiederinbetriebnahme der fünf AKW der Kategorie 3 (Biblis A&B, Grafenrheinfeld, Neckarwestheim 1, Unterweser) wäre in jedem Fall günstiger und schneller möglich als Forschung, Planung, Genehmigung und Erstellung von AKW-Neubauten. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung neuer Reaktortypen sollten diese dennoch geplant und gebaut werden. So gerät Deutschland technisch nicht noch mehr ins Hintertreffen.
Neue Verfahren mindern atomarem „Restmüll“
Notwendig ist auch die Wiedereinstellung von Ingenieuren und Technikern. In Deutschland werden 300 bis 400 Arbeitskräfte pro Reaktor benötigt. Eine erhebliche Anzahl von ihnen ist auch noch heute in den Kraftwerken tätig, die zurückgebaut werden. Da die Wiederinbetriebnahme und die notwendigen Vorbereitungen je nach Kraftwerkskategorie zeitlich gestaffelt erfolgen, können Mitarbeiter der Kategorien 2 und 3 zunächst an der Wiederinstandsetzung der AKW in Brokdorf, im Emsland und in Grohnde mitwirken.
Im AKW Brokdorf sind noch Kernbrennstäbe für ein Jahr Betriebsdauer vorrätig. Der Hersteller Westinghouse bestätigte, innerhalb weniger Monate Brennstäbe in nötigem Umfang liefern zu können. Die normale Lieferdauer beträgt zwölf bis 15 Monate. Der entstehende Atommüll muß gelagert und entsorgt werden – unter Aufsicht des BASE. Wobei neue Verfahren (Transmutation) im Zusammenhang mit atomarem „Restmüll“ und seine Verwendung in Reaktortypen neuerer Bauweise Energiereserven erschließen, die Toxizität verringern sowie die Lagerzeit erheblich verkürzen können.
Wiederinbetriebnahme-Programm stillgelegter Kernkraftwerke
Die veröffentlichte Meinung ist hingegen ein größeres Problem. Derzeit sind laut Umfragen nur noch 23 Prozent der Befragten strikt gegen die Kernkraft. Zwei Drittel möchten, daß sie weiter genutzt wird. Das Ampel-Aus am 6. November wäre eine Chance für die Umkehr des Atomaustiegs. Bis zur geplanten Neuwahl des Bundestags am 23. Februar 2025 scheint sich aber in Fragen der „Energiewende“ nichts Wesentliches zu ändern. Ob es danach zu einer Neuorientierung kommen wird, steht in den Sternen. Sollte ein Kanzler Friedrich Merz auf die Grünen und/oder die SPD angewiesen sein, stehen die Chancen „gut“, daß sich beim Atomausstieg nichts Grundlegendes ändern wird.
Die Vorstände der großen Energiekonzerne votieren mehr oder weniger offen für die Beibehaltung des Ausstiegs aus der Kernenergie. Sie argumentieren mit technischen Allgemeinplätzen. Vor allem aber sind sie mit ihrer Meinung von der rot-grünen Idee geprägt, daß nur ein Deutschland ohne Kern- und Kohlekraft ein Land sei, das den klimapolitischen Notwendigkeiten entspricht. Deshalb ist von dieser Seite nicht mit Unterstützung eines „Wiederinbetriebnahme-Programms stillgelegter Kernkraftwerke“ zu rechnen.
Solange die Politik den Weg pro Kernenergie nicht frei macht, werden sich kaum private Investoren finden, die die Idee der AKW-Wieder und Neuinbetriebnahme – wie Microsoft und Google in den USA – aufgreifen, um nachhaltig gutes Geld zu verdienen und vor allem steuerbaren, gleichmäßig fließenden Strom für den Eigenbedarf zu produzieren. Eine prosperierende Industrienation, wie Deutschland es lange Jahrzehnte war, eine angesehene Industrienation, die Güter für die weltweite Nachfrage herstellt und verkauft, benötigt aber eine Form der verläßlichen, verfügbaren, kontinuierlich fließenden Energie. Daß der Atomstrom auch noch praktisch „CO₂-frei“ ist, belegt, daß es bei der „Energiewende“ in Deutschland nicht um das „Klima“ oder die „Rettung der Welt“ geht, sondern einzig und allein um ideologisch motivierte Traumtänzerei.