BONN. Der Preisanstieg bei Lebensmitteln ist für viele Bürger existenzbedrohend. Viele Menschen müssen bereits auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. Für jeden sechsten Deutschen ist die Lage existenzbedrohend, wie eine repräsentative Umfrage der „Postbank“ ergab. Denn viele haben keine Ersparnisse.
Etwa 2.100 ausgewählte Bürger über 18 Jahren wurden befragt, wie sich die Inflation auf ihre Finanzen auswirkt. Lediglich 3,6 Prozent gaben dabei an, nichts oder wenig davon zu bemerken. 58,1 Prozent gaben an, daß sich ihre Ausgaben deutlich gesteigert hätten. Und beinahe 17 Prozent sagten, sie könnten aufgrund der gestiegenen Preise kaum noch ihre Lebenshaltungskosten bezahlen. Sie geraten demnach in existenzielle Not.
Besonders bei Lebensmittelpreisen ist die Inflation spürbar. Im Februar waren diese 21,8 Prozent teurer als im Vorjahresmonat. Anfang 2022 gaben lediglich elf Prozent an, derart stark von der Teuerung betroffen zu sein. Insgesamt neun Prozent berichteten damals, noch keine finanziellen Einbußen zu spüren.
Haushalte mit geringen Einkommen sind besonders betroffen
Besonders stark betroffen sind Haushalte mit geringem Einkommen. Bei jenen, deren Nettoeinkommen unter 2.500 Euro pro Monat lagen, sind laut Umfrage 26,1 Prozent in existenzieller Not. Bei Haushalten, die mehr verdienen, ist es jeder Zehnte.
Von den Ärmeren sind derzeit 41,3 Prozent gezwungen, ihre Rücklagen aufzulösen, um die täglichen Ausgaben bestreiten zu können. Knapp jeder Dritte, dessen Nettoeinkommen unter 2.500 Euro im Monat liegt, hat jedoch keine finanziellen Reserve. Sieben von zehn Befragten reagierten auf die Teuerungen auch dadurch, indem sie weniger kaufen.
Der Chefanlagestratege der Postbank, Ulrich Stephan, hält diese Entwicklung für gefährlich. Prinzipiell sei Inflation ein ökonomisches Problem, indem sie relative Preise verzerre und Investitionen unkalkulierbar mache. „Steigt die Inflation jedoch auf Höhen wie im vergangenen Jahr, wird sie tatsächlich zu einem gesellschaftlichen und sozialen Thema, weil die Menschen echte Kaufkraftverluste hinnehmen müssen“, sagte er der Welt. Die Inflation führe dann unter Umständen zu „Verteilungsdiskussionen“ und im schlimmsten Fall zu „gesellschaftlichen Spannungen“.
Mehrheit befürchtet schlechteren Lebensstandard
Die Gefahr solcher Spannungen wachse auch, weil inzwischen Pessimismus über die wirtschaftliche Situation um sich greife. Laut der Umfrage glauben lediglich 11,6 Prozent, daß sich ihr Lebensstandard zukünftig verbessern wird.
Nur etwa 31,8 Prozent gehen wiederum davon aus, daß der Lebensstandard künftig stabil bleiben wird. Mehr als die Hälfte, 51,6 Prozent, rechnen sogar damit, daß dieser sich in der Zukunft deutlich oder zumindest etwas verschlechtern werde.
Größter Kaufkraftschwund seit 1949 ist da
Die Löhne können diese Tendenz derzeit nur ungenügend auffangen. Denn obwohl die Gehälter im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent gestiegen sind, ergab sich für die Arbeitnehmer im Durchschnitt ein Minus von 3,1 Prozent. Viele Gewerkschaften versuchen derzeit, Lohnerhöhungen durchzusetzen, beispielsweise im öffentlichen Dienst oder bei der Post.
Dieser Kaufkraftschwund ist der Größte innerhalb eines Jahres seit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Dabei handelt es sich bereits um das dritte Minusjahr hintereinander. Schon in den beiden Jahren zuvor hatte es leichte Reallohnverluste gegeben. Auch Lohnerhöhungen könnten sich dabei negativ auswirken. Zwar würden sie die Reallohnverluste teilweise ausgleichen, könnten jedoch Unternehmen zwingen, ihrerseits Preise zu erhöhen.
Der Leiter des Bereichs Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank, Mathias Beil, bezeichnete dies als „Spirale“, die durch die Forderungen der Gewerkschaften gestartet werde. Als Folge werde das Thema Inflation noch eine Weile „fester Begleiter“ der Geschehnisse bleiben.
Entwicklung geht zu Lasten einkommensschwacher Menschen
Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, haben die Notenbanken kürzlich die Zinsen erhöht. In der Euro-Zone könnte der Leitzins bis auf vier Prozent steigen, in den USA möglicherweise bis auf sechs Prozent.
Angestrebt wird dabei eine Rezession. Die würde zwar die Inflation bremsen, allerdings zugleich auch die Zahl der Arbeitslosen erhöhen und Menschen weiter vermehrt zum Sparen zwingen. Auch dieses Szenario würde demnach zu Lasten einkommensschwacher Menschen gehen. (lb)