Es ist ein Ping-Pong-Spiel der Gerichte, das heute in eine weitere Runde geht: die Frage, ob die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) verfassungskonform sind oder nicht. Nun liegt der Ball wieder in der deutschen Spielfeldhälfte, genauer: beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Ab Dienstag nachmittag verhandelt der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle eine Verfassungsbeschwerde, die unter anderem vom Wirtschaftsanwalt und früheren CSU-Vizechef Peter Gauweiler eingereicht wurde. Konkret geht es um das „Public Sector Purchase Program“, bei dem die EZB seit 2015 Staatsanleihen von Euro-Ländern kaufte, um einer möglichen Deflation zuvorzukommen. Bis Ende 2018 schüttete die Zentralbank auf diese Weise mehr als 2,5 Billionen Euro in die Finanzmärkte.
„Verletzung unserer Verfassungsidentität“
Laut dem Europäischen Gerichtshof darf die EZB ihr Mandat sogar eigenständig ausweiten. Kläger Gauweiler sieht darin das Königsrecht des Bundestags, nämlich das Budgetrecht, verletzt. „Ich halte es offen gesagt für einen Skandal, daß bis zum heutigen Tag der Deutsche Bundestag sich zwar über Kleinstbeträge streitet, aber sich mit diesem zentralen Risiko, das auf uns allen lastet, nicht beschäftigen will, geschweige denn, daß darüber abgestimmt wurde“, kritisiert der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete im „Morning Briefing“-Podcast des ehemaligen Handelsblatt-Chefredakteurs Gabor Steingart.
Gauweiler weist darauf hin, daß die Verträge von Lissabon und Maastricht es der EZB verbieten würden, eigene politische Initiativen zu ergreifen und die Haushaltsrisiken von Euro-Staaten umzuverteilen. Daß neben dem Bundeshaushalt ein Nebenhaushalt in Frankfurt entstehe, für die der Bundeshaushalt aber im Falle einer Zahlungsunfähigkeit hafte, sei eine „Verletzung unserer Verfassungsidentität“. Den Richtern ruft er zu: „Seht nach im Grundgesetz. Schaut euch die Haushaltsverantwortung an. Und schützt die europäischen Verträge vor denen, die behaupten, sie zu vollziehen.“
Neue EZB-Chefin setzt auf Anleihenkäufe
Für den CSU-Politiker, der bereits mehrfach Verfassungsbeschwerden gegen die Euro-Politik eingelegt hatte, geht es aber auch um demokratiepolitische Aspekte. „Was ist das Wahlrecht des Einzelnen noch wert, wenn die wichtigste Kompetenz des Parlaments an ganz andere Gremien, wie den EZB-Rat, die eben nicht mehr demokratisch und im günstigsten Fall expertokratisch besetzt sind, abgegeben wird?“
Das Wahlrecht verkomme so zu einer bloßen Hülle. „Dann haben wir zwar Wahlkämpfe mit schönen Plakaten und wechselseitigen Polemiken. Aber wir wählen ein Parlament, das nichts mehr zu entscheiden hat.“
Daß sich unabhängig von der Gerichtsentscheidung ein Wandel der ultralockeren Geldpolitik der EZB vollziehen wird, ist angesichts ihrer neuen Chefin indes nicht zu erwarten. Mario Draghis französische Nachfolgerin Christine Lagarde, frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds, kündigte bereits an, die Anleihenkäufe fortzusetzen.