Wie schlimm die Weltfinanzkrise in diesem noch Jahr wird, kann derzeit niemand seriös vorhersagen. Fundiert sind hingegen die Prognosen über die weltweit feststellbaren Zunahmen von Seuchen unter landwirtschaftlich gehaltenen Nutztieren – diese berechtigen zu der Aussage, daß wir uns im „Jahr der Seuchen“ befinden. Denn die Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit läßt nichts Gutes erhoffen.
Beispielsweise vermeldeten 2007 die Gesundheitsbehörden einiger GUS-Länder eine gegenüber dem Vorjahr deutliche Zunahme gefährlicher Viren- und Bakterienerkrankungen. So waren mehrere Provinzen Kirgisistans von der Maul- und Klauenseuche, der Brucellose sowie von Milzbrand und Tollwut betroffen, während Tadschikistan die Schafpest registrieren mußte. Ferner machte im vergangenen Jahr die afrikanische Schweinepest (Pestis Africana Suum) in Abchasien, Südossetien sowie in Georgiens angrenzenden Republiken wie Tschetschenien und Armenien erstmalig von sich reden. Nachdem in Westsibirien bereits 2005 die Vogelgrippe des Typs H5N1 aufgetreten war, wurde sie mittlerweile auch in der russischen Schwarzmeerregion Krasnodar, der südrussischen Teilrepublik Adygeja sowie sogar in Moskau registriert. Sowohl in Polen als auch im rumänischen Donaudelta wurde die gefährliche Viruserkrankung ebenfalls diagnostiziert.
Für Schlagzeilen sorgte das Milzbrandauftreten im ostfranzösischen Hochburgund (Franche-Comté), wo die tödlichen Bakterien urplötzlich in 21 Rinderbetrieben festgestellt wurden. Rinderhalter im Westen Englands und in Wales indes schlugen wegen der stark grassierenden Rindertuberkulose Alarm. Laut Expertenangaben hat sich die Befallsrate gegenüber 2007 um mehr als 20 Prozent erhöht. 2008 mußten rund 120.000 Bullenkälber mit dem Schußapparat auf unsägliche Art und Weise „entsorgt“ werden.
Zudem bleibt die Blauzungenkrankheit (JF 8/04), die Schafe, Ziegen und Rinder heimsucht, das Dauerthema in den europäischen Ländern, obwohl die im vergangenen Jahr gestartete Zwangsimpfung von den Behörden als Erfolg verbucht wird. Denn die Impfkampagne richtete sich explizit gegen den bislang in Europa anzutreffenden Serotypus 8, also nur einem von sage und schreibe 24 bekannten Serotypen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis eine neue Variante auftauchte (JF 14/07). So halten in Frankreich seit vorigem Jahr etwa 200 Neuerkrankungen des Serotyps 1 die Veterinärbehörden in Schach.
Daß nun Veterinäre und nicht zuletzt Landwirte angesichts drohender Seuchenzüge das nackte Grauen packt, liegt weniger an dem todbringenden Unheil, welches allenfalls durch das Vogelgrippevirus oder das Milzbrandbakterium in einem Tierbestand einbrechen kann. Vielmehr sind es die subakuten und chronisch verlaufenden Infektionskrankheiten wie beispielsweise die Rinderpest oder die Brucellose, die schwere Allgemeinstörungen oder massive Fruchtbarkeitsprobleme hervorrufen und zu beträchtlichen ökonomischen Einbußen führen können.
Aktuelle Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) beziffern den Schaden durch die Maul- und Klauenseuche allein in Großbritannien auf bis zu 30 Milliarden Dollar. SARS, eine durch Viren hervorgerufene schwere Form der Lungenentzündung, verursachte in China, Singapur und Kanada bislang ein monetäres Desaster in Höhe von etwa 50 Milliarden Dollar.
Angesichts solcher ökonomischer Dimensionen scheint es gerechtfertigt, wenn nun auch die Bundesregierung den Kampf gegen die zunehmende Bedrohung aus dem Mikrokosmos aufnimmt. Mit einer Fläche von fast 80.000 Quadratmetern, 89 Laboratorien und 163 Stalleinheiten entsteht für etwa 300 Millionen Euro auf der Insel Riems das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, welches eine der modernsten Forschungsanstalten weltweit werden könnte.
Indes ist es keine Plage dieser Tage, daß Viren und Bakterien ganze Tierbestände ausrotten und den Menschen immer wieder vor neue Herausforderungen stellen. Tollwut beispielsweise zählte schon lange vor der Zeitenwende zu den bekannten Infektionskrankheiten; Ätiologie und Diagnostik, Prophylaxe und Therapie der meisten Infektionen wurden überwiegend im 19. Jahrhundert beschrieben.
Es mag auch nicht sonderlich verwundern, wenn sowohl die Klassiker unter den Seuchen als auch die ursprünglich eher auf tropische Regionen beschränkten Krankheiten wieder bzw. nun auch in unseren Gefilden grassieren. Wie die FAO mutmaßt, sind es zuvorderst der Klimawandel sowie der zunehmende Reise- und Güterverkehr, welche die Ausbreitung von pathogenen Erregern begünstigen. Anfällig ist auch die Tierproduktion per se geworden. Weltweit steigt die Zahl exzessiv konzentrierter Viehbestände insbesondere in der Schweine- und Geflügelproduktion. In Industriestaaten sind Geflügelhaltungen mit bis zu 50.000 Tieren keine Seltenheit; selbst in Entwicklungsländern ist der Trend zur industrialisierten Tierproduktion festzustellen.
Auch die zunehmende Intensivierung im Tier- und Warenverkehr kann epidemiologisch nicht ohne Folgen bleiben. Wenn jährlich etwa 25 Millionen Schweine zwischen den Kontinenten hin- und hergekarrt werden, können dann Übertragungen von Krankheiten gänzlich ausgeschlossen werden? Nicht unerwähnt dürfen auch die Unmengen an Tierdung bleiben, die – von Natur aus mit Pathogenen behaftet und in aller Regel ohne Behandlung auf die Felder verteilt – als Infektionspotential für freilebende Säuger und Vögel gelten. Das Jahr 2009 als das Jahr der Seuchen auszurufen, ist daher bestenfalls eine symbolische Geste für den Beginn einer neuen Seuchenära von bis dato unbekannter Dimension.
Foto: Vogelpocken: Bald auch Wildtierkrankheiten in den Ställen?