Endlich – nach monatelangem Gezeter erfährt der agrarwissenschaftliche Standort Weihenstephan bei München eine Aufwertung, die ihm auch gebührt. Wenn auch Bayern innerhalb Deutschlands als das Agrarland Nummer 1 gilt, oblag der Studienzweig in den vergangenen Jahren einer nur stiefmütterlichen Fürsorge und drohte angesichts einer kontinuierlich schwindenden Studentenschar ins Abseits zu driften. Doch das soll sich ändern – mit einem neuen Zentralinstitut an der Technischen Universität München sowie der Kombination mit dem Wissenschaftszentrum in Weihenstephan und der Bayerischen Landesanstalt, mit einer Modernisierung des klassischen Studienganges Agrarwissenschaften und dessen Aufstockung mit neuen Professorenstellen. Doch ein Wermutstropfen bleibt. Denn gerade dem bedeutendsten Ressort und einst der Domäne innerhalb der Agrarwissenschaften, nämlich der Forschung und Lehre der Milchwissenschaften, droht der Exodus. Seit Jahren werden die Kapazitäten für die Milchforschung in Weihenstephan systematisch abgebaut – von einst über 70 Planstellen im Jahre 1990 waren zuletzt noch gut 40 zu zählen. So sind vakante Professuren immer noch unbesetzt oder wurden umgewidmet, und der auf die Milchindustrie ausgerichtete und praxisorientierte Studiengang „Milchwirtschaft“ fiel schon im Jahre 2000 dem Rotstift zum Opfer. Das Klagelied gerade mittelständischer und in Familienhand befindlicher Milchverarbeiter, die auf extern erarbeitete wissenschaftliche Aussagen angewiesen sind, ist unüberhörbar. Und dieses desaströse Szenario gilt bundesweit. Die milchwissenschaftlichen Hochburgen sind zertrümmert – die Milchforschung dümpelt über ein zusammenhangloses Fragmentwerk an Instituten und einzelner Professuren nur noch vor sich hin. Die Kieler Milchforschung unterlag einem gezielten Abbau, indem auch dort die freigewordenen Professuren – vormals vertreten von weltweit angesehenen Koryphäen – nicht mehr besetzt wurden. Für den Wissenschaftsrat Grund genug, die Kieler in einer „andauernden Krise“ zu sehen. Ähnliches passierte an der Universität in Gießen, wo im Jahre 2000 die „milchbezogenen Professuren“ zusammengefaßt wurden, um sich in der Veterinärmedizin wiederzufinden. Drastisches widerfuhr dem renommierten Forschungsinstitut für Molkereiwirtschaft in Oranienburg bei Berlin. Beschäftigten sich vor der Wiedervereinigung noch über 300 Wissenschaftler mit kapriziösen Fragestellungen rund um das Thema Milch, wurde die einst zentrale Institution nach Abbau und Ausgliederung als „Außenstelle“ noch vor der Jahrtausendwende aufgelöst. Noch immer stellen sich die am föderalen Finanzierungstropf hängenden Universitäten untereinander dem konkurrierenden Profilierungszwang in der Grundlagenforschung, die im übrigen nicht viel mit den staatshörigen Zielen der Bundesforschungsanstalten gemein hat. Von einem ökonomischen Ressourceneinsatz kann hierbei keine Rede sein. Aufgrund fehlender Mittel ist daher für die meisten Standorte die Luft „ganz oben“ dünn geworden – größere und essentielle Forschungsprojekte auf EU-Ebene, die eine interdisziplinäre Kooperation erfordern, sind eine Nummer zu groß. Für die anwendungsorientierte Forschung fehlen die Gelder, da sich die öffentliche Förderung eher auf die Grundlagenforschung konzentriert. Dafür stünden seitens der Milchindustrie Mittel aus dem Absatzfonds zur Verfügung, was aber wiederum geltende Regelungen vereiteln. Rund 30 Millionen Euro sind es, welche die Milchindustrie jährlich aus Abgaben auf die Milchproduktion erbringt. Doch statt diese für eine der Praxis angelehnte Forschung zu verwenden, werden die Gelder vielmehr für Informationsmaßnahmen und Vermarktungsaktivitäten verpulvert. Unsere Nachbarländer schreiben der Milchforschung hingegen eine Schlüsselrolle zu. So hat Frankreich mit der staatlichen Agrarforschungsorganisation INRA und mehreren von der Wirtschaft getragenen Instituten die größte Milchforschungskapazität in Europa. Eine ähnlich hohe „Schlagkraft“ kann auch in den Niederlanden verzeichnet werden. Unter dem Dach der Universität Wageningen sind sowohl die Grundlagenforschung als auch die angewandte Forschung sowie die universitäre Lehre eng zusammengeführt. Zudem existieren zwei von der Branche getragene Institute, die sich zuvorderst mit der Milchverarbeitungstechnologie befassen und als Auftragsorgane fungieren. Bei den Dänen sind Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung sowie die Lehre über drei Universitäten in Arenhusen (Århus) und Kopenhagen arbeitsteilig etabliert. Es ist Sache sowohl der Politik als auch der Milchindustrie, eine derart gestaltete Koordination und Kooperation einerseits und eine Ressourcenstärkung andererseits in einem Netzwerk zu verschmelzen, um die Zukunft der Milchforschung und in Folge der Milchwirtschaft in Deutschland zu sichern. Noch zählt die deutsche Milchwirtschaft, die es heute ohne eine einst übermächtige Milchwissenschaft gar nicht gäbe, mit einem Jahresumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro sowohl auf nationalem wie auch auf internationalem Parkett zu den ganz Großen. Angesichts aktueller Schätzungen, wonach für die Milchwissenschaften pro Jahr lediglich etwa 20 Millionen Euro für Sach- und Personalmittel – etwas über 80 Milchwissenschaftler sind derzeit noch beschäftigt – zur Verfügung stehen, steht dieser Status indes auf Messers Schneide. Foto: Bayerns Milchkönigin Maria Wimmer: 20 Milliarden Euro Umsatz