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„Der Staatsapparat muß weg!“

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Der Kollaps des isländischen Finanzsystems und der Landeswährung, der Krone, offenbart auch das Scheitern eines „neoliberalen“ Modells, das die segensreichen Wirkungen einer freien Marktwirtschaft auf den Finanzbereich übertragen hat. Die liberal-konservative Selbständigkeitspartei, die seit 1991 mit Koalitionspartnern die Regierung in Reykjavík stellt, wurde seit den achtziger Jahren von Männern geführt, die sich der Devise verschrieben hatten: „Báknið burt!“ („Der Staatsapparat muß weg!“) Mit Davíð Oddsson, der sich selbst als Anhänger von Milton Friedman und Friedrich August von Hayek sieht, ist diese Ideologie 1991 an die Macht gekommen. In seiner langen Regierungszeit bis 2004 haben Wirtschaft und Gesellschaft eine umfassende Deregulierungskur erfahren. Durch die Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist Island seit 1994 in den EU-Markt integriert. Die privatisierungs- und wettbewerbsfördernde Brüsseler Gesetzgebung der EU hat zur Freisetzung der Marktkräfte in vielen Bereichen geführt. Auch die staatlichen Banken wurden in den Jahren 1998 bis 2003 privatisiert. Die globalisierten Finanzmärkte haben den Eigentümern und Direktoren der privatisierten Banken anfangs gewinnträchtige, aber zugleich hochriskante Geschäfte ermöglicht. Durch billige Auslandskredite und eine überbewertete Krone vervielfachte sich ihr Geschäftsvolumen. Dem Vorbild des US-Fed-Chefs Alan Greenspan folgend haben Regierung und Notenbank den Finanzmarktkräften freien Lauf gelassen und den Banken erlaubt, „auf Pump“ bis zum Zehnfachen des isländischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu wachsen. Globalisierungskritische oder altliberale Ökonomen hatten frühzeitig auf die Gefahren dieser Entwicklung hingewiesen, doch es wurde nichts unternommen — bis es zu spät war (JF 43/08). Es zeugt von der Ahnungslosigkeit in der Führung der Selbständigkeitspartei, wenn erst kürzlich einer ihrer Haupt­ideologen, der Politologe Hannes Hómsteinn Gissurarson, ein Buch herausgab, in dem er behauptete, Island könne das reichste Land der Welt werden, wenn es sich nur zum Ziel machte, zu einem der führenden Finanzdienstleistungsplätze der Welt zu werden. Dazu müßte die 313.000-Einwohner-Insel allerdings weiterhin außerhalb der EU und der Eurozone bleiben. Doch die Achillesferse des isländischen Wachstumsmodells der letzten 15 Jahre war und ist die Króna, die kleinste konvertible Währung der Welt. Seit 2001 ist die Preisstabilität die gesetzlich vorgeschriebene Hauptaufgabe der Notenbank. Ausländisches Kapital ist in den Boom-Jahren reichlich ins Land geflossen — in Form billiger Kredite und als Investitionen in neue Aluminiumhütten. Dadurch wurde die Krone enorm aufgewertet, was Importe verbilligte und den Konsum der Isländer, aber auch die Inflation anheizte. Das Außenhandelsdefizit wuchs unaufhörlich. Als Mittel gegen die Überhitzung der Wirtschaft und die Inflation erhöhte die Notenbank den Leitzins — auf zuletzt 15,5 Prozent. Doch der Zugang von Firmen und Haushalten zu Niedrigzins-Darlehen in ausländischer Währung war dank der starken Krone weiter fast unbegrenzt — und das hat den „Abkühlungseffekt“ der Leitzinsanhebungen abgeschwächt. Durch die hohen Kronen-Zinsen wuchs der Einfluß des ausländischen Spekulationskapitals, wodurch das Ungleichgewicht in der Geldpolitik nochmals verschlimmert wurde. Dieses Kapital strömte dann auch sehr schnell wieder aus Island hinaus, nachdem die Subprime-Krise in den USA die Risikobereitschaft der Spekulanten auf den Finanzmärkten schlagartig minimiert hatte. Dies hat schließlich auch die isländischen Banken, die sich ständig durch neue Auslandskredite refinanzieren mußten, in die Defensive getrieben. Privatisierer steuern nun die größte Verstaatlichungsaktion In dieser neuen Situation war das, was vorher für die isländischen Banken die Ausgangsbasis für ihr schnelles Wachstum bildete, zu ihrer größten Schwäche geworden: In der auf der Króna basierenden und von einer „laissez-faire“-Politik geführten kleine isländische Volkswirtschaft kann die Notenbank nur Kronen drucken — nicht aber die Währungen, in denen der größte Teil der Geschäfte der Banken stattfindet. Die kleine isländische Notenbank kann aber nicht — wie etwa die US-Fed, die Nippon Ginko oder die Europäische Zentralbank — glaubwürdig als lender of last resort („Kreditgeber der letzten Zuflucht“) fungieren. Nun ist mit dem Kollaps der verschuldeten Privatbanken und ihrer Wiederverstaatlichung sowie dem Wertverlust der Krone (bislang 70 Prozent gegenüber dem Euro) zugleich die „laissez-faire“-Politik der Selbständigkeitspartei kollabiert — zumindest in den Augen vieler desillusionierter Isländer, die um ihr Erspartes und ihren guten Ruf im Ausland gebracht worden sind. Und so verwundert es inzwischen nicht mehr, daß der Ruf nach einer baldigen EU- und Euro-Mitgliedschaft heute stärker ist als je zuvor. Das in diesen Tagen vereinbarte Milliarden-Nothilfeprogramm des Währungsfonds (IWF) sollte diesen Weg ebnen helfen. Die Ironie der Geschichte ist, daß dieselben Männer, die unter dem Schlachtruf „Báknið burt!“ in die Politik gingen — Notenbankchef Oddsson und Premier Geir Hilmar Haarde — jetzt die größte Verstaatlichungsaktion in der Geschichte der Republik managen. In Relation zum BIP ist die Verstaatlichung von Glitnir, Landsbanki und Kaupthing sogar dramatischer als alle bisherigen Verstaatlichungsaktionen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der sich selbst als politischen Lehrling des Máximo Líder Fidel Castro sieht. Straßenbahn in Island, leere Geldbörse: Niedrigzinskredite in Yen, Hochzinsanlagen in Kronen — der Curreny Carry Trade konnte auf Dauer nicht gutgehen

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